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Politik

Geboren 1989

Greta Hamann15. Oktober 2014

Vor 25 Jahren fiel die Mauer. Jetzt ist Deutschland erwachsen. Und mit der Einheit ist eine ganze Generation groß geworden, die das geteilte Deutschland nie erlebt hat. So wie DW-Autorin Greta Hamann.

Ein kleines Kind geht in der Mitte seiner Eltern. Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Geschichtliche Jahreszahlen konnte ich mir nie so gut merken. Außer einer. 1989. Das Jahr, in dem die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland fiel. Das Jahr, in dem ich auf die Welt kam. Als der erste Grenzübergang für DDR-Bürger geöffnet wurde, war ich gerade sechs Monate alt und während meine Mutter die Nachricht darüber im Fernsehen sah, schlief ich sabbernd in ihren Armen.

Bewusst begegnete mir die Mauer das erste Mal im Vorgarten eines Hauses in einem Wohnviertel in Recklinghausen (meine kleine Schwester nannte es "Schrecklinghausen"), einer Stadt im Ruhrgebiet, wo ich aufgewachsen bin. Dort stand es, dieses Stück Mauer und löste in mir keinerlei Gefühle aus - außer vielleicht die Verwirrung darüber, dass manche Menschen sich lieber ein altes Stück Beton in den Garten stellen, als ein paar schöne Blumen zu pflanzen.

"Steht die Mauer noch?"

Greta Hamann hatte nicht viel mit dem Osten zu tunBild: DW/Greta Hamann

Mit 16 ging ich als Austauschschülerin nach Brasilien. Der erste Tag an der fremden Schule und die Frage: "Steht die Mauer noch?" Und: "Wie ist das Leben in Alemanha oriental (Deutsch: Ostdeutschland)?". Ich spreche kein Portugiesisch, gucke doof und wundere mich was Deutschland mit dem Orient zu tun hat - und von was für einer Mauer spricht die da? Meine Mitschülerin versucht es weiter. Irgendwann verstehe ich. Sie spricht von der DDR. Nein, antworte ich, die Mauer sei weg. Mehr konnte ich mangels Portugiesischkenntnissen und Wissen über die Geschichte meiner eigenen Heimat nicht dazu sagen.

Einige Jahre später dann an die Uni. Eine Kommilitonin, mit der ich mich näher anfreundete, kam aus einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, direkt am Meer. "Oh toll, Strand!", dachte ich. "Ja, ich bin aus dem Osten", sagte sie. Ich war verdutzt. Stimmt. Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Die Kategorien Ost- oder Westdeutschland existierten für mich schlicht nicht. Deutschland - das war für mich immer klar - ist ein Land. Wenn ich jemanden kennen lerne, der aus Ostdeutschland kommt, ist das für mich nichts anderes als wenn jemand in Bayern oder Niedersachen aufgewachsen ist. Natürlich gibt es regionale Unterschiede, wir sprechen mit unterschiedlichen Dialekten, haben verschiedene Dinge in unserer Kindheit und in unseren Schulen erlebt. Trotzdem teilen wir doch mehr als uns unterscheidet.

"Tut doch nicht so, als sei alles in Ordnung"

Leider sind nicht alle Deutschen dieser Meinung. Vor allem die, die aus dem Osten kommen: "Tut doch nicht so, als sei alles in Ordnung" heißt eine aktuelle Veröffentlichung der größten deutschen Wochenzeitung "Die Zeit". Ich fühle mich ertappt. Also doch nicht alles gut?

In der Reihe erzählen junge Ostdeutsche, was im geeinten Deutschland ihrer Meinung nach immer noch schief läuft. Beziehungsweise, was sie an den Wessis nervt: "Na, bist du wieder in Dunkeldeutschland?" wird da der eine von seinem westdeutschen Kommilitonen gefragt, wenn er in die Heimat fährt. Die andere klagt über die arroganten Wessis, die den Osten kaum kennen und doch glauben so viel zu wissen. Und der nächste meint, die Einheit, sei nur eine Einbahnstraße: "Was durfte Ostdeutschland einbringen? Wenig."

Als die Mauer fiel, war Greta Hamann sechs Monate alt.Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Anruf bei Professor Klaus Schröder. Er leitet den Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin und setzt sich tagtäglich mit dem Thema auseinander: "Viele Ostler sagen die Westler - und die Nordrhein-Westfalen insbesondere - interessieren sich nicht für uns. Die haben kein Interesse an unserer Geschichte und an unseren Geschichten. Und das ist ja auch so." Ich gehöre also einer besonders ignoranten Gruppe Deutscher an, stelle ich fest.

Immer mehr Junge denken, die Wiedervereinigung sei geglückt

Köln Hauptbahnhof. Ich schlendere durch den Kiosk. Da liegt die aktuelle "Neon", Deutschlands größtes Magazin für junge Leute. "78 % der jungen Erwachsenen glauben an die große Liebe. Jeder Zweite hält soziale Gerechtigkeit für das wichtigste Ziel der Politik. Jede fünfte Frau rasiert sich die Arme. Das sind wir!" schreit mir die Titelseite in grellen Farben entgegen. 1000 junge Leute zwischen 18 und 35 Jahren hat das Magazin befragt, zu verschiedenen Themenbereichen.

Auch zur deutschen Einheit. 14 Prozent glauben, dass Ost- und Westdeutschland sich stark unterscheiden. 2005 dachten das noch mehr als doppelt so viele. Nächste Frage: "Wie beurteilst du die deutsche Wiedervereinigung?" 47 Prozent glauben sie sei geglückt, vor sechs Jahren meinten das nur 14 Prozent der Befragten. Und nur ein ganz geringer Teil ist heute der Meinung, die Wiedervereinigung sei komplett in die Hose gegangen: vier Prozent.

Ganz so schlimm kann es also doch nicht sein, denke ich erleichtert. Die Tendenz, die diese Umfrage zeigt, ist eindeutig: Es geht voran mit uns. Und dass Deutschland eine Einheit ist, werden heute die Wenigsten bestreiten. Wir müssen einfach ein paar Jährchen abwarten, uns weiter kennen lernen, Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West abbauen und irgendwann können wir die Besser-Wessis im Geschichtsbuch parken, direkt neben den Bildern der friedlichen Revolution. Wir werden uns freuen über den Mauerfall und lachen über die komischen Vorurteile, die es mal gab.

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