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Politik

"Reichsbürger" in Uniform

Marc Saha
31. Oktober 2016

Nach dem tödlichen Polizei-Einsatz gegen einen "Reichsbürger" in Georgensgmünd wurde bekannt, dass sich im Polizeidienst "Reichsbürger" befinden. Paradox, denn eigentlich lehnen sie den Staat ab, für den sie arbeiten.

Deutschland Symbolbild Reichsbürger
Sie schlüpfen auch in echte Polizeiuniformen: sogenannte "Reichsbürger"Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Es war ein trauriger Anlass, der der Polizei am Wochenende die Gefahr vor Augen führte, die zurzeit von sogenannten Reichsbürgern ausgeht. In der Nürnberger Lorenzkirche gedachten Polizisten ihres Kollegen, der bei einem Einsatz vor knapp zwei Wochen von einem "Reichsbürger" im bayrischen Georgensgmünd erschossen worden war. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte in seiner Trauerrede, die tödlichen Schüsse auf den Polizisten seien ein "Angriff auf unsere Werte, den Rechtsstaat, uns alle". Sie müssten Anlass sein, "gegen sogenannte Reichsbürger mit aller Konsequenz vorzugehen und ihnen sämtliche Waffen zu entziehen".

Und tatsächlich ermitteln bundesweit Polizisten seit vergangener Woche verstärkt - auch in eigener Sache. Sie suchen "Reichsbürger" in ihren Reihen, also Polizisten, die gegen den Staat sind, den sie eigentlich schützen sollen. Die Zahl der Disziplinarverfahren gegen Polizisten, die im Verdacht stehen, der "Reichsbürger"-Szene nahezustehen, habe sich bundesweit in kurzer Zeit vervielfacht, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Aktuell gebe es demnach bundesweit 15 Disziplinarverfahren. Bayerns Polizei ist Spitzenreiter dieses Rankings; dort wurde vergangene Woche bereits der sechste mutmaßliche "Reichsbürger" suspendiert. In Sachsen-Anhalt laufen zurzeit vier Disziplinarverfahren gegen mutmaßliche "Reichsbürger in Uniform", drei von ihnen sind bereits vom Dienst suspendiert. Nordrhein-Westfalen prüft demnach zwei neue Verdachtsfälle, womit sich die Zahl der entsprechenden Disziplinarverfahren dort auf vier verdoppeln könnte. In Berlin ist ein Polizist als "Reichsbürger" suspendiert. Die Bundespolizei führt derzeit zwei Disziplinarverfahren.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann: "Reichsbürger"-Schüsse auf Polizisten sind "Angriff auf unsere Werte, den Rechtsstaat, uns alle".Bild: picture alliance/dpa/D. Karmann

"Reichsbürger" glauben an Fortbestehen des Deutschen Reiches

Wer sind diese "Reichsbürger"? D i e "Reichsbürger" gibt es nicht, vielmehr handelt es sich um eine zersplitterte, sich zum Teil widersprechende Szene ohne Vorsitzenden oder Hierarchie, die nur eines eint: Wer dazugehört, erkennt die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an und glaubt stattdessen an das Fortbestehen des Deutschen Reiches. Ihrer Meinung nach besteht das Deutsche Reich bis heute fort - also auch in den Grenzen von 1937. Die Bundesrepublik Deutschland halten sie für eine GmbH.

Manche Reichsbürger haben sogar eigene Fantasiepapiere - "Reichsausweise" -, die sie wie einen amtlichen Personalausweis mit sich führen. Sie haben "Staaten" wie die "Exilregierung Deutsches Reich" oder den "Freistaat Preußen" gegründet. Die "Reichsbürger" sprechen staatlichen Institutionen wie Gerichten oder eben der Polizei die Legitimität ab und erkennen amtliche Bescheide nicht an. Sie zahlen oft keine Steuern oder Bußgelder, nerven Behörden mit Widersprüchen oder ellenlangen schriftlichen Einlassungen. Dirk Wilking, der für das Land Brandenburg einen Leitfaden zum Umgang mit "Reichsbürgern" geschrieben hat, beschreibt den Kern ihres Vorgehens so: "Sie versuchen, den Staat zu delegitimieren, ihm das Recht abzusprechen, dass er überhaupt existiert oder irgendetwas darf." Die Bandbreite reiche bis hin zu Drohungen mit Gewalt oder Strafanzeigen.

Die Bewegung setzt sich aus teils lose verstreuten, teils sektenartig organisierten Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremisten und Querulanten zusammen. Gerade diese Heterogenität der Reichsbürgerschaft macht es den Behörden schwer, die genaue Zahl zu ermitteln. Eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei den Innenministerien und Sicherheitsbehörden der Länder ergab, dass der "Reichsbürger"-Bewegung bundesweit mindestens 1.100 Personen zuzuordnen sind. Allerdings fehlten aus 7 der 16 Bundesländer noch konkrete Angaben.

"Entweder man ist dafür oder dagegen"

Marcus da Gloria Martins, Pressesprecher der Polizei MünchenBild: picture-alliance/dpa/L. Schulze

Beamte legen bei Dienstantritt einen Eid auf das Grundgesetz ab - auch Polizisten. "Reichsbürger" lehnen das Grundgesetz schon deshalb ab, weil sie den Staat dahinter nicht anerkennen. Ein Meineid? "Reichsbürger" bei Kripo und im Wachdienst - ausgerechnet beim Hüter des Grundgesetzes und Inhaber des Gewaltmonopols? Für Marcus da Gloria Martins, Sprecher der Polizei München, dessen Behörde selber kürzlich erst einen "Reichsbürger in Uniform" suspendiert hat, ist das eigentlich nicht möglich, wie er der Deutschen Welle sagte: "Die Haltung von 'Reichsbürgern' kollidiert zu 100% mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, auf der Polizeibeamte stehen. Beides geht nicht. Entweder man ist dafür oder dagegen. Die Reichsbürger werden ja ausgerechnet von dem Staat alimentiert, den sie ablehnen oder abschaffen wollen."

Die Anziehungskraft eines Jobs bei Behörden, die "Reichsbürger" eigentlich nicht ernst nehmen, stellt auch Sebastian Fiedler vom "Bund Deutscher Kriminalbeamter" im Deutsche Welle-Interview vor Rätsel: "Es ist offenbar nicht nur der Polizeidienst, sondern die gesamte öffentliche Verwaltung attraktiv für diese Fehlgeleiteten. Das ist in dem Fall natürlich besonders paradox und schizophren, da ja die staatlichen Organe der Bundesrepublik von diesen Ideologen abgelehnt werden."

Joachim Widera, Gründer der Partei Deutsche Zukunft mit etwa 30 aktiven Mitgliedern und eigenen Ausweisen und einer Reichsbürgerflagge am Haus, begrüßt es im Interview mit der Deutschen Welle, dass "Reichsbürger" für den Staat Dienst tun: "Wenn diese Personen sich zum Deutschen Reich bekennen, können sie, wie jeder andere Bürger agieren; sie sollten es sogar. Es ist legitim, als Person im öffentlichen Dienst zu arbeiten und seine Gesinnung zum Deutschen Reich zum Ausdruck zu bringen. Dies fordert sogar das Recht der freien Meinungsbildung im Grundgesetz."

Sie erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht an - "Reichsbürger"Bild: Imago/Future Image

Sich als "Reichsbürger" auszugeben, ist nicht strafbar. Aber als Beamter zugleich "Reichsbürger" zu sein, schon. Und da werde, so Münchens Polizei-Sprecher da Gloria Martins, die Polizei tätig und suspendiere Beamte. In München wurde vergangene Woche ein 26-jähriger Streifenpolizist aus dem Dienst entfernt, dem Vernehmen nach hatte er sich im Kollegenkreis auffällig geäußert. "Solche Leute haben in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Polizei nichts zu suchen", beschied der Münchener Polizeipräsident Hubertus Andrä.

Kommissar Zufall half

Andere "Reichsbürger" in der Polizei sind nur durch Zufall entdeckt worden. In Berlin hatte ein Beamter privat an einer entsprechenden Demonstration teilgenommen. In Sachsen-Anhalt etwa hatte ein Polizisten-Paar dem Gebührenbescheid einer Behörde widersprochen mit der Begründung, das deutsche Recht gälte nicht; woraufhin die Behörde deren Vorgesetzten informierte. Der "Spiegel" berichtete über den bayrischen Polizeihauptkommissar Harald S., der Seminare für Bereitschaftspolizisten gibt. Zugleich lehne er aber auch den Staat ab. Sein Pech: Ein Gespräch, das er mit einem bekannten Verschwörungstheoretiker führte, landete als Video bei Youtube. Nach einem weiteren Vergehen wurde er wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue suspendiert. Auch Joachim Widera, der sich selber nicht als "Reichsbürger" bezeichnet, kennt einen Polizeihauptkommissar, der ihm ideologisch nahe steht: "Ihm habe ich mein Buch 'Der simulierte Staat' vorgestellt und ihm mitgeteilt, was die BRD ist und was sie nicht ist. Sein Kommentar darauf: 'Das wissen wir!' Auf die Frage, warum er nichts dagegen unternimmt, antwortete er: weil es ihm gut ginge."

Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des "Bund Deutscher Kriminalbeamter" BDKBild: picture alliance/Eventpress Stauffenberg

Die Suche nach Staatsleugnern im Staatsdiener-Gewand wird weiter gehen. "Ich denke, dass Sondermaßnahmen kaum nötig sein werden, weil derzeit jede Kollegin und jeder Kollege äußerst aufmerksam mit diesem Phänomen umgeht. Verdachtsfälle werden umgehend untersucht und die disziplinarrechtlichen Reaktionen nehme ich als durchaus stringent wahr", so Sebastian Fiedler vom "Bund Deutscher Kriminalbeamter" zur Deutschen Welle. Auch die Polizei-Gewerkschafter seien in dieser Frage einig darin, dass Menschen, die dieser Ideologie anhängen, nichts in Reihen derjenigen zu suchen hätten, die das Gewaltmonopol des Staates vertreten. 

Wie gefährlich "Reichsbürger" sind, ist umstritten. Der Fall Georgensgmünd zeigt, dass auch Waffenbesitzer in ihren Reihen zum Äußersten greifen. Was ist da von "Reichsbürgern" zu halten, die durch ihren Job als Polizist legalen Zugang zu und regelmäßigen Umgang mit Schusswaffen haben? Polizei und auch die Innenminister hätten das Phänomen "Reichbürger" unterschätzt, meint Polizei-Gewerkschafter Fiedler: "Es wurde sicherlich das Ausmaß und die vereinzelte Gewaltbereitschaft unterschätzt. Das wird nach den fürchterlichen Ereignissen nun nicht mehr passieren. Es ist immer wieder ein Trauerspiel, dass es häufig erst zu Opfern kommen muss, bis sich wirksam etwas ändert."

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