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Geburtenzahlen dramatisch gesunken

Rolf Wenkel17. März 2006

Nachdem die Geburtenrate in Deutschland auf den niedrigsten Stand seit 1945 gefallen ist, suchen Experten nach den Ursachen und den Verantwortlichen - sowie Auswegen aus der Misere.

Zu wenige Anreize, Kinder zu bekommen: Junge Mütter in DeutschlandBild: AP

Die Geburtenzahl in Deutschland ist nach Expertenangaben auf den niedrigsten Stand seit 1945 gefallen. Der Bielefelder Bevölkerungsforscher Herwig Birg sagte am Dienstag (14.3.), seinen Berechnungen zufolge seien im vergangenen Jahr 686.000 Kinder geboren worden. Einer Schätzung der Tageszeitung "Die Welt" zufolge kamen 2005 sogar nur knapp 676.000 Kinder zur Welt. Die Zeitung hatte die Geburtenzahlen der ersten neun Monate mit den Werten des letzten Quartals 2004 ergänzt, und beruft sich auf Prognosen des Statistischen Bundesamtes. Danach ging die Zahl der Neugeborenen gegenüber dem Vorjahr um 4,2 Prozent zurück. 2004 waren in Deutschland noch 706.000 Neugeborene zur Welt gekommen. Im Vergleich zum Jahr 1964, als in der Bundesrepublik und in der DDR mit insgesamt 1,357 Millionen Kindern ein Geburtenrekord erreicht wurde, hat sich die Zahl der Babys sogar halbiert.

Auswirkungen von Babyboom und Pillenknick

Hat den "Pillenknick" zu verantworten: Die Anti-Baby-PilleBild: dpa - Report

Für Experten ist diese Entwicklung allerdings keine Überraschung. Denn im Gegensatz zu Konjunkturprognosen lassen sich über die Bevölkerungsentwicklung sehr exakte Voraussagen machen. Das liegt daran, dass das meiste, was man für eine solche Vorhersage braucht, schon längst passiert ist. Nach dem Babyboom der 60er Jahre kam das, was man in Deutschland den "Pillenknick" nennt - ein drastischer Rückgang der Geburtenrate. Und was die Demographen seit Jahren beobachten, ist eine Folge dieses Pillenknicks: Die nicht geborenen Mädchen fehlen jetzt als Mütter. Es sind einfach nicht genug Eltern da.

Verantwortung der Regierungen

Andere Beobachter machen allerdings auch die Regierung für die Misere verantwortlich. Diese habe vier Jahrzehnte lang die falsche Familienpolitik betrieben, meint Malte Ristau-Winkler, Abteilungsleiter Familienpolitik im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Den Familien ginge es gut, auch wenn in den Medien oft etwas anderes verbreitet würde. "Es gibt viele positive Erkenntnisse, zum Beispiel, dass Menschen noch nie so zufrieden waren mit ihrer eigenen Familie wie heute." Das Verhältnis zwischen den Generationen sei besser als früher, und der Zusammenhalt in der Familie trotz häufiger räumlicher Distanz enger. "Die subjektive Zufriedenheit der Menschen in und mit ihren Familien ist sehr groß. Und auch das Lebensmodell 'Familie' ist nach wie vor sehr attraktiv." Viele Jugendliche wollten eine ähnliche Familie gründen wie ihre Eltern.

Um die Bevölkerungszahl annähernd gleich zu halten, müsste jede Frau im Schnitt zwei Kinder bekommen. Die Geburtenrate in Deutschland liegt jedoch seit Jahren bei rund 1,3 Kindern pro Frau. In Skandinavien und in Frankreich sind die Geburtenraten signifikant höher - obwohl dort nicht mehr Geld für Familienförderung ausgegeben wird als in Deutschland.

Familienpolitik

"Wie mit der Gießkanne": Familienförderung in Deutschland

In den vergangenen 50 Jahren seien die Familien in erster Linie durch Transferleistungen und steuerliche Entlastungen gefördert worden, weiß Ristau-Winkler. "Das war gut gemeint und ist auch sicherlich von vielen Familien sehr gut aufgenommen worden. Nur: die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist doch sehr begrenzt gewesen im Verhältnis zu dem, was andere Länder gemacht haben."

Bislang wurde Familienförderung in Deutschland mit der Gießkanne betrieben. Das Erziehungsgeld und die Kinderfreibeträge, die man von seinem steuerpflichtigen Einkommen abziehen konnte, hatten bestenfalls den Charakter eines Almosens.

Das skandinavische Modell

Das soll jetzt durch das so genannte Elterngeld anders werden. Dieses werde bereits in Skandinavien erfolgreich eingesetzt und weise eine Reihe von Vorteilen auf, erklärt Ristau-Winkler. So bringe es fast allen Familien deutlich mehr Geld als vorher, und verhindere den materiellen Absturz einer Familie, wenn ein Verdiener eine Zeit aussteige. "Zum Dritten ermöglicht es die wirtschaftliche Selbständigkeit beider Partner, weil der Partner, der für ein Jahr in Elternzeit geht, tatsächlich eine Leistung vom Staat bekommt, die annähernd das ersetzt, was er oder sie vorher verdient hat."

Zudem, ist sich Malte Ristau-Winkler sicher, müsste die Infrastruktur zur Betreuung von Kindern erheblich verbessert werden. Und auch in der Bildungspolitik müsse viel passieren. Denn je länger die Ausbildungszeiten sind, je später der Einstieg in den Beruf erfolgt, desto enger würde für viele Frauen das Zeitfenster, in dem sie sich für Nachwuchs entscheiden könnten. So könne innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre mit dieser Mischung aus Veränderungen in der Infrastruktur und in der Zeitpolitik, sowie mit neu ausgerichteten Geldleistungen wieder eine Geburtenrate von 1,7 erzielt werden.

Bessere Aussichten

Ristau-Winkler ist sich dessen bewusst, dass dadurch die bereits entstandenen negativen Trends nicht kompensiert werden können. "Aber das wird uns in den demographisch harten Jahren, die uns bevorstehen, etwa im Bezug auf die Rentensicherung ab dem Jahr 2030, erheblich helfen." Denn wenn es gelänge, dass bis dahin wieder mehr Kinder geboren würden, dann stünden diese wieder auf dem Arbeitsmarkt, als Steuerzahler, und als Entwickler von Produktivität in dieser Gesellschaft zur Verfügung.

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