Geburtshaus der Steiff-Stofftiere
23. Dezember 2009
Ein Stofftier ist nicht einfach nur irgendeins von vielen Spielzeugen, sagt Martin Frechen, Hauptgeschäftsführer von Steiff. "Nach der Mutter hat das Stofftier im Entwicklungsprozess des Kindes die zweitwichtigste Rolle, wenn man von der klassischen Rollenverteilung ausgeht, dass der Vater arbeitet und die Mutter zu Hause bleibt." Kuscheltiere seien für Kinder lebendig. Und daher gäbe es eigentlich bei jedem Kind ein besonderes Stofftier, das immer da sein muss. So manche dieser besonderen Tiere kommen aus Bayern, genauer gesagt aus Giengen an der Brenz. Hier hat die Firma Steiff ihren Sitz. Sie ist eine der bekanntesten und ältesten Stofftierhersteller der Welt und eines der ältesten Familienunternehmen in Deutschland.
Über 100 jährige Tradition
Als Mutter von zwei Söhnen und Käuferin etlicher Stofftiere hat mich das neugierig gemacht und so bin ich per Bahn ins tiefe Bayern gefahren, um mir den Geburtsort der "Vater-Konkurrenten" anzuschauen. Bärentatzen auf dem Fußweg führen mich vom winzigen Bahnhof direkt bis zur Firmenpforte. Hier in Giengen hat Margarete Steiff vor 130 Jahren in ihrem Filzwarengeschäft kleine Elefanten genäht, die als Nadelkissen dienen sollten. Zwar wurden diese "Elefäntle" gern gekauft, allerdings nicht, um sie mit Nadeln zu spicken, sondern für Kinder. Damit hatte die im Rollstuhl sitzende, aber tatkräftige Magarete das erste Stofftier erfunden.
In den folgenden Jahren wuchs ihre Firma mit den genähten Tieren. Der berühmte Teddy-Bär tauchte 1902 in der Steiff-Tierwelt auf. Ein Neffe von Margarete, nämlich Richard Steiff, soll ihn geschaffen haben - so zumindest die Firmenangaben. Inzwischen ist die Familie Steiff nicht mehr aktiv im Unternehmen tätig. Neue Stofftiere werden heute von Designern entwickelt. Einen von ihnen treffe ich in der oberen Etage der Fabrikhalle, in einem weitläufigen Raum mit mehreren Tischen. Durch die großen Fenster fällt das nebelige Winterlicht auf Stofftiere. In allen Formen und Farben bevölkern sie Schreibtische, Regale, den Boden und die Fensterbänke. Mitten drin Dietmar Simon.
Design nach dem Bauch
Die Entwicklung von Stofftieren finde heute noch immer genauso statt, wie zu Zeiten von Margarete Steiff, erklärt mir Simon. "Wir haben eine Idee und setzen diese Idee dann in einen zweidimensionalen Schnitt um. Von dem lassen wir ganz schnell einen Prototypen herstellen und schauen dann, ob der unserer Vorstellung entspricht." Im Idealfall tut er das. Wenn nicht, dann werden die Schnitte geändert. Dieser Vorgang werde so oft wiederholt, "bis sich die Vorstellung und der Prototyp dann irgendwo decken", sagt Simon weiter.
Nur wenige Tiere werden also bei Steiff am Computer entworfen, die meisten entstehen aus dem Bauch. Und dieses Bauchgefühl muss jahrelang entwickelt werden. Simon, der inzwischen seit 17 Jahren Stofftiere für Steiff entwirft, ist einer von sieben Designern. Ihre Tier-Schablonen aus Pappe hängen im hinteren Teil des Raumes dicht an dicht. Ich folge aber erstmal den Pappschablonen in die Musterproduktion eine Etage tiefer. Hier werden die Prototypen genäht. Und auch hier sitzen, stehen, liegen überall Stofftiere, daneben Kisten mit Material, Kisten voller Arme oder Beine oder Köpfe, Kisten mit fertigen Tieren - und natürlich die Näherinnen, die an den Prototypen arbeiten. Es sieht aus wie in einem Weihnachtswichtel Betrieb.
Der Rückweg aus China
Hauptgeschäftsführer Martin Frechen begleitet mich durch die Produktion. "Die Produkte sind reine Handarbeit", erklärt er. Automatisierung sei bis auf den Zuschnitt gar nicht möglich. Es dauert acht bis zwölf Monate, bis jemand in der Lage sei, die Stofftiere von Steiff so zu nähen, wie es die Firma wünscht. "Und das müssen die Leute in den eigenen Manufakturen erstmal lernen."
Das ist auch ein Grund, warum die Firma seit Sommer 2007 ihre Produktion aus China zurückholt, erklärt Frechen. Dorthin war Steiff gegangen, weil das Geschäft mit den Sammlern um die Jahrtausendwende nicht mehr gut lief. Für Kinder aber war Steiff sehr teuer. Wie manch anderes Unternehmen wählte auch Steiff den Weg nach China, um so die Kosten zu senken. Aber: Es hat nicht geklappt. Unter anderem, weil die monatelang angelernten Näherinnen schnell bereit waren, ihren Arbeitgeber zu wechseln, sobald sie woanders mehr verdienen konnten. Inzwischen werden die in Giengen genähten und abgesegneten Prototypen in Tunesien und Portugal hergestelllt - in Steiff-eigenen Nähbetrieben.
Knopf und Fahne
Die Qualitätskontrolle findet aber wie eh und je in Giengen statt. Genauer gesagt bei Eberhard Krebs, den ich im hinteren Teil des Firmengeländes treffe. Er kontrolliert unter anderem, wie leicht die Tiere in Flammen aufgehen können und unterzieht sie so manchem Härtetest. So müsse ein Stofftier auch Streit-resistent sein, also aushalten, das ein Kind am linken Arm und ein anderes Kind am rechten zieht. "Das versuchen wir auf der Maschine zu simulieren und liegen da bis zum einem Faktor vier höher, als es uns die Norm im Hinblick auf Zugfestigkeit vorschreibt", erklärt Krebs schmunzelnd.
Wenn die lieben Kuscheltierchen die Extrem-Behandlung bei Eberhard Krebs überleben, dann bekommen sie den berühmten Steiff-Knopf mit Fähnchen ins Ohr. Und so gekennzeichnet treten sie ihren Weg in die Kinderzimmer an - vor allem in deutsche, britische, amerikanische, japanische, schweizerische, österreichische und französische. Übrigens: Wenn der Zahn der Zeit und die brachialen Spielmethoden der Kinder doch zu sehr am Steiff-Tier genagt haben, dann gibt es immer noch eine letzte Rettung: In der Klinik in Giengen flickt Isolde Beck so manchen der Lieblinge wieder zusammen.
Autorin: Insa Wrede
Redaktion: Zhang Danhong