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Gedämpfte Hoffnung auf einen Neuanfang

Roman Goncharenko2. Oktober 2014

Der durch Proteste erzwungene Machtwechsel in der Ukraine steht vor dem Abschluss. Nach der vorgezogenen Präsidentenwahl im Mai wird nun Ende Oktober ein neues Parlament gewählt. Der Sieger steht jetzt schon fest.

Plenarsaal des ukrainischen Parlaments (Foto: Evgeny Kotenko/RIA Novosti)
Bild: picture-alliance/dpa

Während im Osten des Landes trotz formeller Waffenruhe geschossen wird, wählen die Ukrainer am 26. Oktober ein neues Parlament. Fünf Monate nach der vorgezogenen Präsidentenwahl werden die Abgeordneten der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, ebenso vorzeitig gewählt. Es ist der "Neustart", den die oppositionellen Demonstranten im vergangenen Winter gefordert hatten. In den abtrünnigen Gebieten um Donezk und Luhansk soll später gewählt werden, wobei eine Wahl in den separatistischen Gebieten unmöglich sein dürfte.

Nach 1994 und 2007 ist es die dritte vorgezogene Parlamentswahl in der jüngsten Geschichte der Ukraine. Diesmal sei sie "existenziell wichtig", meint Viktor Samjatin vom Kiewer Rasumkow-Zentrum für wirtschaftliche und politische Studien. "Es geht darum, ob die Ukraine als Staat überleben kann", sagte der Experte der Deutschen Welle. Insgesamt kämpfen 29 Parteien um 450 Sitze. Gewählt wird je zur Hälfte über Parteilisten und Direktmandate.

Präsident auf der Überholspur

Petro Poroschenko stellt sein Reformprogramm "Strategie 2020" vorBild: Reuters/Valentyn Ogirenko

Der Sieger steht seit Monaten fest: Petro Poroschenko. Das Bündnis des Präsidenten ("Poroschenkos Block") liegt in Umfragen vorn. Es dürfte rund ein Drittel der Stimmen bekommen. Dabei wurde es erst Ende August 2014 auf der Basis der Poroschenko-Partei "Solidarität" gegründet.

Der Milliardär Poroschenko ist damit ein Von-Null-auf-Hundert-Mann der ukrainischen Politik. Seine bisherige Partei "Solidarität", die in dem neuen Bündnis aufgegangen ist, existierte bisher nur auf dem Papier und war nicht im Parlament vertreten. Für Poroschenko als Präsidenten scheint diese Wahl besonders wichtig. Laut Verfassung haben das Parlament und die Regierung mehr Macht als der Staatschef. Poroschenkos Ziel sei daher eine eigene Mehrheit, sagen Beobachter. Diese könnte mit Direktmandaten und Koalitonspartnern erreicht werden.

Rückkehr der Generation Juschtschenko

Der Präsident bemühte sich, Premierminister Arsenij Jazenjuk für seine Partei zu gewinnen. Doch die beiden konnten sich nicht einigen. Statt Jazenjuk führt nun der Kiewer Bürgermeister und Boxweltmeister Vitali Klitschko "Poroschenkos Block" an. Die bereits im Parlament vertretene Klitschko-Partei UDAR (Schlag) ist zu einer tragenden Säule im Poroschenko-Bündnis geworden.

Ob Klitschko als Spitzenkandidat oder der ehemalige Innenminister Juri Luzenko als Parteichef, "Poroschenkos Block" besteht teilweise aus Politikern aus der Zeit des prowestlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Damit kehrt eine Generation zurück, die bis 2010 an der Macht war. Für öffentliche Aufregung sorgen zwei neue Namen: Mustafa Najem und Serhij Leschtschenko. Die landesweit bekannten Journalisten der Online-Zeitung "Ukrainska Prawda" waren bei den oppositionellen Protesten von Anfang an dabei.

Die hohen Umfragewerte des Poroschenko-Blocks seien das Ergebnis mehrerer Faktoren, meint der Experte Samjatin. "In erster Linie verbinden viele Wähler mit Poroschenko eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ostukraine." Auch Poroschenkos Reformprogramm "Strategie 2020" komme offenbar gut an. Darin verspricht der Präsident unter anderem die Ukraine in die EU zu führen.

Der Mann mit der Mistgabel

Doch die Lage in der Ostukraine könnte für Poroschenko zum Verhängnis werden. Seine Entscheidung, den Separatisten große Autonomie einzuräumen, wird von manchen als Fehler kritisiert. Von einer "Kapitulation" spricht zum Beispiel Oleh Ljaschko, Rechtspopulist und Anführer der "Radikalen Partei". In Umfragen liegt die Partei auf Platz zwei und könnte mehr als zehn Prozent bekommen. Der 41-Jährige stellt sich gerne als kompromisslosen Patrioten dar. Ljaschko lässt sich mal mit einer Mistgabel, dem Symbol der Bauernaufstände, mal mit einer Kalaschnikow fotografieren. Auf seiner Wahlliste stehen auch Prominente, wie die Sängerin und Eurovision-Teilnehmerin Slata Ognewitsch.

"Die heutigen Wähler von Ljaschko haben 2012 die nationalistische Partei 'Swoboda' (Freiheit) gewählt", sagt der Experte Samjatin. "Swoboda" dagegen müsse heute um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Auch der "Rechte Sektor", eine 2014 gegründete rechtsnationale Partei, dürfte laut Umfragen die Fünf-Prozent-Hürde kaum überwinden. Während "Swoboda" und der "Rechte Sektor" auch starke rechtsextreme Flügel und eine ideologische Basis haben, gilt das für Ljasckos "Radikale Partei" nicht. "Er ist ein Populist", meint Samjatin. Ljaschko wird gerne handgreiflich und macht mit Sprüchen wie "Tod dem Innenminister" von sich reden.

Timoschenko und Jazenjuk gehen getrennte Wege

Arsenij Jazenjuk ist seit Ende Februar Regierungschef der UkraineBild: Reuters

Als Poroschenkos Gegnerin positioniert sich auch die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit ihrer Partei "Batkiwschtschina" (Vaterland). Sie dürfte weniger Stimmen bekommen als 2012. Damals saß Timoschenko nach einem international kritisierten Prozess im Gefängnis, ihre Partei wurde vom heutigen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk angeführt. Diesmal gehen Timoschenko und Jazenjuk getrennte Wege. Der Ministerpräsident führt sein eigenes Wahlbündnis, die "Volksfront", an. Mehrere Politiker aus dem Timoschenko-Lager haben sich ihm angeschlossen.

Als große Verlierer bei dieser Wahl gelten Anhänger des nach Russland geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Viele haben sich in einem "Oppositionellen Block" vereint. Ob sie den Einzug ins Parlament schaffen, ist fraglich. Ihre Stammwähler leben auf der von Russland annektierten Krim und in der Ostukraine. Das Gleiche gilt für die Kommunisten.

Junge Politiker streben ins Parlament

Vor diesem Hintergrund steht fest: Im neuen Parlament dürfte es zum ersten Mal eine breite prowestliche Mehrheit geben. Getrübt werden die Hoffnungen auf einen Neuanfang dennoch. "Es gab bei dieser Wahl leider noch keinen richtigen Wettbewerb der Ideen und Programme", meint der Experte Samjatin.

Kritiker monieren außerdem, dass über Direktmandate erneut korrupte Politiker ins Parlament einziehen könnten. Neue kleine Parteien wie "Samopomitsch" (Selbsthilfe) des Bürgermeisters Andij Sadowy aus dem westukrainischen Lwiw dürften es dagegen schwer haben. Dabei sind es genau diese Kräfte, die den Machtwechsel vorangetrieben haben.

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