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Geliebt, bewundert und gehasst - Indiens einzige Ministerpräsidentin

2. November 2009

Auch 25 Jahre nach ihrem Tod ist das politische Erbe Indira Gandhis in Indien lebendig. Ihr Name lässt niemanden kalt.

Indiens "Eiserne Lady" - Vor 25 Jahren wurde Indira Gandhi ermordet.Bild: AP

Der 31. Oktober 1984: Die Nachricht von der Ermordung Indira Gandhis stürzt Indien ins Chaos. Die Menschen liegen sich weinend in den Armen, Entsetzen überall. Unruhen brechen aus. Der Volkszorn richtet sich gegen die Sikhs, mehr als 3000 von ihnen werden - nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen - aus Rache grausam ermordet. Denn die Täter, die Indira Gandhi töteten - ihre eigenen Leibwächter - waren beide Sikhs. Bhishma Narain Singh, einer der engsten Vertrauten Indira Gandhis, erinnert sich an den Tag ihres Todes: "Als ich die schlimme Nachricht bekam, konnte ich es zuerst gar nicht glauben," sagt Singh. "Ich war so geschockt. Es zeriss mir das Herz. Sie war eine große politische Persönlichkeit. Was kann es also Schlimmeres geben, als eine solche Figur zu verlieren. Ich konnte den ganzen Tag nichts essen."

Bis heute ein Aushängeschild

In jedem Wahlkampf greift die indische Kongresspartei auf ihre Ikone Indira Gandhi zurück.Bild: AP

Die Mutter Indiens wurde sie genannt, oder Indiens eiserne Lady. Trotzdem war Gandhi während ihrer politischen Karriere immer eine ambivalente Figur. Ihr Vater, Jawaharlal Nehru, war ein Weggefährte Mahatma Gandhis und Indiens erster Premierminister. Er kämpfte für die Unabhängigkeit und führte Indien in eine eigenständige Zukunft. Für seine kranke Frau Kamala und die junge Indira hatte er kaum Zeit. Die Tochter galt als in sich gekehrt, aber auch als zähe Kämpferin und große Visionärin, die schnell lernte. Als sie in den 1950er Jahren ihre ersten Schritte in der Kongresspartei machte, witzelte man noch über sie und nannte sie "eine stumme Puppe". Doch ihre scharfen, pointierten Reden, ihre Kompromisslosigkeit und ihr stetes Hinterfragen machten die so zart wirkende Indira zu einem politischen Schwergewicht. Nach dem Tod ihres Vaters wurde sie 1964 Informationsministerin - ein Schlüsselministerium.

Perfekte Diplomatin

Gandhi vertrat Indien in der Welt als erste und bisher einzige Ministerpräsidentin des Landes.Bild: AP

Der amerikanische Präsident Richard Nixon, mit dem Indira eine Hassliebe verband, nannte sie einmal eine schlaue Füchsin. Ein Kompliment. Ihr Weggefährte Bhishma Narain Singh sagt, dass es ihm nie gelungen sei, Indira Gandhis Charakter zu ergründen:
"Sie hatte eine sehr liebevolle, weibliche Seite. Gleichzeitig konnte sie aber auch naiv wie ein Kind sein. Wie Jugendliche, die manchmal besonders emotional sind, war auch sie. Und dann wiederum konnte sie sehr ernst sein, sehr nachdenklich, wie es ältere Menschen eben sind."

1966 wurde Indira Gandhi zum ersten Mal Premierministerin. 1971 kam es zum Krieg mit Pakistan. Die Regierung in Islamabad ging mit großer Härte gegen Aufständische in Ost-Pakistan, dem heutigen Bangladesch vor. Hunderttausende Menschen flohen vor den Massakern nach Indien, das die Separationsbewegungen hinter den Kulissen unterstützte. Pakistan verlor den Krieg und musste kapitulieren. Bangladesch entstand. Indira Gandhi wurde gefeiert, sie war die Heldin der Nation und von nun an unumstritten. "Die Glanzvolle", bedeutet ihr Name, ein Synonym für die Hindu-Göttin Lakshmi, die Wohlstand und Glück verheißt.

Aus dem Krieg zwischen Indien und Pakistan 1971 entstand das heutige Bangladesch.Bild: picture-alliance/ dpa

Gandhi polarisiert noch heute

Für Indiens Frauenbewegung ist Gandhi eine umstrittene Figur. Auf der einen seite natürlich ein Vorbild für ihre Geschlechtsgenossinnen, ein Symbol für Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Erfolg. Doch die Aktivistin Madhu Kishwar sieht die "Mutter Indiens" in einem anderen Licht. "Indira Gandhi war eine starke und mächtige Frau", sagt Kishwar. "Aber sie hat gerade die Frauen in der Politik, die ihr gefährlich werden könnten, bedrängt, zum Beispiel die Frauen, die für die Unabhängigkeit und Freiheit Indiens gekämpft hatten. Sie wollte doch nur zeigen, dass sie der einzige wahre "Mann" ist in einem Kabinett, in dem sozusagen nur "Frauen" sitzen. Alle Männer sollten vor ihr zittern.“

Den Sturm auf den Goldenen Tempel von Amritsar, die vielen Todesopfer und die folgenden Unruhen hatte Gandhi zu verantworten.Bild: dpa

So sehr ihre Gegner sie hassten, so sehr wurde sie von ihren Anhängern geliebt. Und ihre Erfolge verwundern noch heute. Indira Gandhi leitete die Grüne Revolution ein. Sie modernisierte die marode Landwirtschaft. Indien war nicht mehr abhängig von Hilfslieferungen und konnte sich nunmehr selbst versorgen. Ihr Patriotismus ist legendär. Indira kämpfte gegen die Armut und das Kastenwesen. Und sie machte Indien nach einem ersten Atomtest 1974 zur Nuklearmacht. Um den Aufschrei und die Empörung innerhalb der internationalen Gemeinschaft scherte sie sich nicht. Auch ihr Kleidungsstil und ihre markante Frisur sorgten für Furore. Irgendwann warb die Kongresspartei sogar mit dem Wahlspruch "India is Indira and Indira is India" ("Indien ist Indira und Indira ist Indien").

Doch ihr Glanz begann zu bröckeln, als Indira Gandhi 1975 den Ausnahmezustand verhängte. Ein Gericht in Allahabad hatte ihr zuvor Unregelmäßigkeiten bei ihrer Wahl als Abgeordnete ins Parlament vorgeworfen. Im Zuge dieser Vorwürfe war es zu Ausschreitungen im Land gekommen. Noch Jahre später rechtfertigte Gandhi ihr hartes Vorgehen gegen die Proteste: "Die Entscheidung, die ich getroffen habe, war vom Kabinett und vom Parlament bestätigt worden. Meine Entscheidung wurde nicht nur akzeptiert, sondern auch begrüßt, und zwar von der gesamten Nation." Keine Spur von Bedauern über die folgenden Massenverhaftungen und die Zensur aller Medien.

Blutbad beim Sturm auf den Goldenen Tempel

Indira Gandhis Bestattung: Nach ihrer Ermordung übernahm Sohn Rajiv den Posten des Regierungschefs.Bild: dpa

Ihre politischen Gegner prangerten an, dass Indira Gandhis Führungsstil immer mehr von Angst und einer daraus resultierenden unverhältnismäßigen Härte geprägt war. Bei den Wahlen 1977 verlor sie mit ihrer Kongresspartei nach elf Jahren im Amt haushoch. Doch 1980 kam sie erneut an die Macht. Die letzten Jahre ihres Lebens waren geprägt durch die Unruhen im Bundesstaat Punjab an der Grenze zu Pakistan. Im allerheiligsten Sikh-Tempel, dem Goldenen Tempel von Amritsar, hatten Separatisten Waffen gehortet. Sie wollten im Punjab einen unabhängigen Sikh-Staat gründen. Gandhi gab den Befehl zur Stürmung des Tempels. Hunderte von unschuldigen Menschen, auch Frauen und Kinder, kamen am 5. Juni 1984 ums Leben.

Verklärt über den Tod hinaus

"Wenn ich jetzt sterben sollte, dann wird jeder Tropfen meines Blutes die Nation weiter stärken" - wie eine Vorahnung verkündete die eloquente Indira Gandhi dies in einer Rede wenige Tage von ihrem Tod. Am 31. Oktober 1984 wurde sie von ihren beiden Sikh-Leibwächtern ermordet.

Autorin: Priya Esselborn
Redaktion: Nicola Reyk