Mossul ist vom IS befreit - doch für die Bewohner der irakischen Metropole ist der Schrecken damit noch lange nicht vorbei. Gefährliche Sprengkörper bleiben eine tödliche Falle, vor allem Kinder sind gefährdet.
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Es war die "Hölle auf Erden", sagt der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Ra'ad al-Hussein. Der selbsternannte "Islamische Staat" (IS) habe während seiner Herrschaft in Mossul schwere Kriegsverbrechen begangen. Zehntausende Menschen seien vertrieben und als Schutzschilde missbraucht worden. Seit 2014 hatte die Terrormiliz die irakische Metropole in ihrer Gewalt. Nach monatelangen Kämpfen hat die irakische Armee die Stadt nun zurück erobert, seit Montag gilt sie als vom "Islamischen Staat" befreit - auch wenn sich noch einzelne Kämpfer in der Stadt aufhalten sollen.
Die Schlacht um Mossul hat eine zerstörte Stadt hinterlassen: Über Monate wurden Häuser und Straßenzüge in Schutt und Asche gelegt, Selbstmordattentäter sprengten sich in die Luft, Scharfschützen lieferten sich an den Straßenecken Gefechte. Rund eine Million Menschen konnten aus der irakischen Stadt fliehen.
Sprengkörper lauern in der Stadt
Mit dem Sieg über den IS steigt nun die Zahl der Menschen, die wieder zurück in ihre Heimatstadt wollen. Etwa 200.000 konnten nach Angaben der Hilfsorganisation "Handicap International" wieder in ihre Häuser zurückkehren, in den kommenden Wochen werden noch viel mehr Menschen erwartet.
Das Vermächtnis der Landminen
Trotz vieler Versuche, Landminen international zu verbieten, liegen Millionen noch immer in mehr als 50 Ländern vergraben. Ein falscher Schritt kann tödliche Folgen haben. Wie können Minen am besten entschärft werden?
Bild: DW/Y. Castro
Über zehn Millionen Landminen weltweit
Es gibt keine genauen Informationen darüber, wie viele Landminen weltweit im Boden lagern. Doch es wird geschätzt, dass es Millionen sind. Sie liegen dort auch nach den Kriegen und gefährden das Leben der Menschen. Die sogenannte Ottawa-Konvention, die den Gebrauch, die Lagerung, die Produktion und den Handel mit Antipersonen-Minen verbieten will, hat 162 Mitglieder.
Bild: picture-alliance/dpa
Der "Mine Kafon": Minenräumung der Zukunft
Er sieht aus wie eine Pusteblume und wird auch vom Wind angetrieben: der "Mine Kafon". Er wurde von Massoud Hassani aus Afghanistan entwickelt und hat 175 kreisförmige Plastik-Teller, die an Bambus-Stangen befestigt sind. Er ist in etwa so groß und schwer wie ein durchschnittlicher Mann und bringt Minen zum explodieren, wenn er vom Wind über Landschaften geweht wird.
Bild: Massoud Hassani
"Mine Kafon": Minenbekämpfung mit dem Wind
Hassanis Inspiration für seinen "Mine Kafon" kam von einem Spielzeug aus seiner Kindheit, das ebenfalls von Wind angetrieben wurde. Dank des niederländischen Verteidigungsministeriums wird der Prototyp gerade getestet und weiterentwickelt. Ein Forschungs- und Entwicklungsteam verbessert momentan das Design, um es nicht nur sicherer, sondern auch tauglich für alle Gelände zu machen.
Bild: Massoud Hassani
Fliegende Minenzünder
Hassani (rechts) arbeitet zudem an einer "Mine Kafon Drohne", die Minen durch Sensoren aufspüren und mit einem ausfahrbaren Arm packen kann, um sie dann an einem sicheren Ort zu zünden. Laut Hassani ist die Erfindung, die noch optimiert wird, schneller und kostengünstiger als bereits existierende Technologien. Sie könnte dabei helfen, die Welt in Zukunft von Landminen zu befreien.
Bild: picture-alliance/dpa/R. de Waal
Ein Näschen für Minen
Die belgische NGO APODO züchtet Ratten, die Minen riechen können und schon in mehreren Ländern eingesetzt werden. Mit ihrem extrem guten Geruchssinn werden die Tiere trainiert, den Sprengstoff Trinitrotoluol aufzuspüren. Das macht das Beseitigen von Landminen schneller und hilft dabei, das Land wieder nutzbar zu machen. Laut der NGO sind bisher keine Ratten bei der Arbeit gestorben.
Bild: Getty Images/T. Weidman
Minenschnüffler bei der Arbeit
Nicht nur Ratten haben ein Näschen für Minen, sondern auch Hunde. Nach monatelangem Training können auch sie Sprengstoff aufspüren. Das Marshall Legacy Institute führte das Hunde-Programm 1999 erstmals ein. Seitdem haben Hunde fast 45 Quadratkilometer an verseuchtem Land durchforstet. Mittlerweile werden mehr als 900 Hunde in 24 Ländern weltweit eingesetzt, Minen aufzuspüren.
Bild: Getty Images/AFP/S. Loeb
Kriegsgerät gegen Minen
Es sieht aus wie eine Kombination aus einem Panzer und einem Mähdrescher und so funktioniert er auch. Dieses Aardvark-Gerät zur Landminen-Entfernung ist mit 72 Ketten ausgerüstet, die über den Boden rasseln und dabei Minen zum explodieren bringen, ohne dass das Fahrzeug oder der Fahrer zu Schaden kommen. Das Gerät kann pro Tag eine Fläche abdecken, die so groß ist wie vier Fußballfelder.
Bild: Aardvark
Lang währende Gefahren
Sobald sie einmal begraben sind, sind Landminen mehr als 50 Jahre lang aktiv. Dabei sind sie nicht nur eine Gefahr für Menschen, die mit ihnen in Berührung kommen. Sondern sie erschweren auch die Rückführung von Flüchtlingen und Vertriebenen und verlangsamen die Entwicklung und den Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren.
Bild: picture-alliance/dpa
Verletzungen ein Leben lang
Es gibt nur noch 11 Länder, unter anderem China und Russland, die weiterhin Landminen produzieren. Ein großer Schritt zur Minen-Bekämpfung wurde seit der Umsetzung der Ottowa-Konvention also schon getan. Doch es liegen noch Herausforderungen vor uns allen, solange Minen im Boden begraben liegen und Menschen töten, verstümmeln und entstellen.
Bild: DW/Y. Castro
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Doch die Lebensgefahr für sie ist noch nicht vorüber, warnt die Hilfsorganisation. Denn zahlreiche Sprengkörper und explosive Kriegsreste könnten die Zivilbevölkerung noch Jahre und Jahrzehnte gefährden. Ein falscher Schritt kann so das Leben kosten - oder zumindest zu schwerwiegenden Behinderungen führen. Besonders die Zeit kurz nach Kriegsende, wenn noch wenige Räumungsarbeiten stattgefunden haben, sei gefährlich. Die Hilfsorganisation will deshalb die Zivilbevölkerung und die Hilfskräfte für den Umgang mit Blindgängern sensibilisieren.
Auch für die österreichische Hilfsorganisation "Gemeinsam gegen Landminen" ist die Schulung der Menschen wichtig. "Man muss vor allem Kinder und Jugendliche warnen: Sie sollen Minen auf keinen Fall selbst mit einem Steinwurf entschärfen - das ist lebensgefährlich", sagt Geschäftsführerin Iwona Tscheinig der DW: "Am besten markiert man die Stelle und meldet sie dem Militär." Gerade in Vierteln, in denen die Zerstörung besonders groß sei, dort, wo viele Tote gefunden wurden, sei die Gefahr von explosiven Kriegsresten hoch. Wie lange es dauern wird, bis eine Stadt wie Mossul von Sprengkörpern weitestgehend befreit sei, sagt Tescheinig, sei noch nicht abschätzbar. Die Arbeit habe schon begonnen.
Tödliches Kriegserbe
Schon seit Jahrzehnten ist der Irak von Landminen durchsetzt. Nach Angaben des Vereins "Demira. Deutsche Minenräumer" liegen in dem Land etwa 20 Millionen Landminen und zwischen 2,6 und 6 Millionen Blindgänger - eine direkte Folge des Iran-Irakkriegs und der Golfkriege. Damit gehört der Irak zu den am stärksten belasteten Ländern weltweit.
Hinzu kommt, dass man nicht genau weiß, wo sich die Landminen befinden. Eine Räumung wird damit noch einmal deutlich erschwert - mit schrecklichen Folgen: Laut "Demira" wurden bereits tausende Menschen im Irak durch Munitionsreste getötet oder verletzt. Die genaue Anzahl der Opfer ist nicht bekannt, da keine Statistiken über die Unfälle geführt werden. Häufig sind Zivilisten die Opfer, darunter auch viele Kinder.
Mossul wird also, trotz der Rückeroberung durch die irakische Armee, wohl über Jahre lebensbedrohlich für seine Einwohner bleiben. Im Irak wird jedenfalls eine Woche lang die Befreiung gefeiert, wenn auch vielleicht nicht immer ganz freiwillig: Die Feiern wurden staatlich angeordnet.