Neuwahlen gefährden Sanierung der Deutschen Bahn
18. November 2024Tyler Bosselman trägt einen dunkelblaue Weste, in seiner Sonnenbrille spiegelt sich die Landschaft Süddeutschlands, durch die er seinen Regionalzug steuert. Auf einer der Strecken, auf denen der 24-jährige Lokführers fährt, wird derzeit gebaut.
Die vielbefahrene Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim bekommt neue Weichen und Signale, damit der Zugverkehr wieder flüssiger wird. Ende Dezember möchte man damit fertig sein. "Ich erhoffe mir, dass wir dadurch insgesamt wieder zuverlässiger werden", sagt Bosselman.
Die Riedbahn bildet den Auftakt zum Neustart der Deutschen Bahn: Nach Frankfurt sollen Hannover, Hamburg und andere vielbefahrene Teilabschnitte folgen. Die sogenannte Generalsanierung umfasst 40 Baustellen und soll die Bahn bis 2030 wieder pünktlich machen. Verkehrsminister Volker Wissing sprach zum Start im Sommer vom "größten Sanierungs- und Modernisierungsprogramm der letzten Jahrzehnte."
Alptraum statt Neustart?
Doch die geplante Auferstehung der Bahn könnte zum Alptraum zu werden. Denn mit dem Bruch der Ampelkoalition und den Neuwahlen Ende Februar wackeln nun auch die Sanierungspläne, oder besser gesagt: die Finanzierungspläne.
So warnte bereits der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft EVG, Martin Burkert, dass ohne Haushalt viel Geld für die Generalsanierung fehle. "Jahrelange Planungsarbeit, um die Infrastruktur endlich auf Vordermann zu bringen, um damit die Pünktlichkeit und die Kapazität des Netzes zu verbessern, steht nun auf dem Spiel", sagte Burkert der Deutschen Presseagentur.
Dass die Generalsanierung dringend notwendig ist, weiß Tyler Bosselman ganz genau. Der Lokführer kämpft sich täglich mit seinem elektrisch betriebenen Regionalzug durch den Knotenpunkt Frankfurt. "Das ist wie im Casino. Du hast in der Hauptverkehrszeit keine Garantie, dass du pünktlich ankommst", sagt Bosselman, der auch der Gewerkschaft angehört.
Vor allem die häufig verspäteten Fernzüge verhageln Bosselman die Bilanz. Denn während die Regionalzüge noch einigermaßen pünktlich sind, kommt fast jeder dritte Fernzug in Deutschland mittlerweile zu spät. Dennoch, die schnellen Intercity-Züge haben meistens Vorfahrt. Dann muss der junge Lokführer auf einem Ausweichgleis warten, bis die Fernzüge an ihm vorbei sind. "Man kann sich den Tag im Kalender eintragen, an dem man in den Frankfurter Hauptbahnhof einfährt, ohne abgebremst zu haben", sagt Bosselman.
Andere Länder investieren deutlich mehr in die Schiene
Wie groß der Sanierungsstau ist, zeigt sich nicht nur an der Unpünktlichkeit. So ist das Schienennetz der Bahn in den letzten Jahrzehnten deutlich geschrumpft, doch die Zahl von Gütern und Passagieren, die darauf unterwegs sind, ist gestiegen. Tyler Bosselman sieht die Ruinen der DB-Geschichte jeden Tag. Als er eine Stahlbrücke passiert, zeigt er auf stillgelegte, vermooste und verrostete Gleise. "Mit ein paar Euro könnte man die aktivieren und deutlich mehr Betrieb ermöglichen", sagt Bosselman.
Im Vergleich zu anderen Ländern investiert Deutschland relativ wenig in sein Streckennetz. Laut der Allianz pro Schiene sind es 115 Euro im Jahr für jeden Einwohner. Das klingt erstmal viel, doch Länder mit einem deutlich pünktlicheren Schienenverkehr wie Österreich oder die Schweiz stecken das drei- bis vierfache in ihre Eisenbahn.
Die dauerhafte Unterfinanzierung macht sich bemerkbar. So hat auch der Bundesrechnungshof die DB zum "Sanierungsfall" erklärt. Demnach hat es der Eigentümer der Deutschen Bahn, also die Bundesrepublik, in "drei Jahrzehnten versäumt, wichtige eisenbahnpolitische Fragen zu beantworten".
Fällt die Generalsanierung aus?
Die Generalsanierung sollte nun eine Antwort sein. Doch wenn sich der Haushalt für 2025 wegen des Koalitionsbruchs immer weiter nach hinten schiebt, stehen einige Projekte auf der Kippe. Bisher hat die Bahn in den kommenden drei Jahren je nach Berechnung mit 30 und 50 Milliarden Euro aus dem Topf der Bundesregierung gerechnet. Doch mit dem Ende der Koalition könnten diese Pläne hinfällig sein.
Der Eisenbahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin geht aber auf DW-Nachfrage davon aus, dass die Mittel bestehen bleiben. "Eine Streichung durch eine neue Regierung erscheint mir politisch sehr unwahrscheinlich, aber auch die schon jetzt drohende Verschiebung der Bauprojekte ist natürlich eine Katastrophe."
Der junge Lokführer Tyler Bosselman macht sich angesichts der Neuwahlen keine großen Sorgen: "Die Bahn wird schon weiter Geld bekommen, wir gehören ja zur kritischen Infrastruktur." Von einem schwungvollen Neustart der Bahn geht er aber nicht mehr aus. "In Deutschland hat die Straße schon immer Vorrang vor der Schiene gehabt und deshalb habe ich das Gefühl, dass bei der Bahn doch eher gekürzt wird", so der 24-Jährige.
Bosselman will aber positiv bleiben. "Wenn man sich die Politik heute anschaut, da ist so viel negative Energie und dem möchte ich nicht nachgeben. Es gibt immer etwas, an das man glauben kann." Er will sich weniger beschweren und vielmehr die Deutsche Bahn von innen heraus verändern. Zum Jahresende schließt er deshalb seinen Meister für Bahnverkehr ab. "Das könnte der Türöffner sein, um in eine Führungsrolle einzutreten", sagt er selbstbewusst.
Und manchmal bietet sein Arbeitgeber auch Anlass zur Hoffnung. So soll die Riedstrecke laut Deutscher Bahn ab Mitte Dezember wieder befahrbar sein. Trifft das zu, wäre der erste Abschnitt der Generalsanierung der Deutschen Bahn somit noch vor Neuwahlen fertig - und das pünktlich wie geplant.