1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gefahr Populismus - was schützt die Demokratie?

26. Oktober 2024

Populistische Parteien wie die AfD in Deutschland erleben weltweit immer größeren Zuspruch. Offenen, pluralistischen Gesellschaften sagen sie den Kampf an. Wie kann die Demokratie geschützt werden?

Björn Höcke zeigt mit dem Zeigefinger nach vorne
Björn Höcke, AfD-Landesvorsitzender von Thüringen, darf laut Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnet werdenBild: Bodo Schackow/dpa/picture alliance

Populismus hat viele Gesichter, aber das Muster ist immer gleich. Egal ob im Weltbild eines Donald Trump in den USA, eines Narendra Modi in Indien oder eines AfD-Politikers Björn Höcke in Deutschland: Immer geht es um vermeintliche Eliten, die sich gegen das Volk verschworen haben. Und es geht um die Abwertung von Teilen der Gesellschaft als vermeintliche "Volksfeinde". "Sie" gegen "uns". Die da "oben" gegen uns hier "unten".

Klimakrise, Kriege, die rasend voranschreitende Digitalisierung: Populistische Bewegungen machen der verunsicherten Gesellschaft ein Heilsversprechen: Wählt uns, dann wird alles besser, wird alles wieder wie früher. Sie selbst inszenieren sich dabei als starke, charismatische Führer, die alles richten werden. Und wenn ihre eigenen Regelverstöße im Rechtsstaat ins Visier genommen werden, erklären sie Gerichte und andere demokratische Institutionen kurzerhand zu "Feinden des Volkes". 

Auch der Thüringer Landesvorsitzende der Alternative für Deutschland, AfD, Björn Höcke, kokettiert mit dieser Führerrolle als vermeintlicher Retter Deutschlands. "Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert, davon bin ich überzeugt", schreibt Höcke in seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss". Und Höcke preist einen Imagefilm, den rechtsextreme Medienmacher über ihn produziert haben. Der Film stilisiert Höcke als den vermeintlichen Friedenskaiser Friedrich Barbarossa aus dem 12. Jahrhundert. Laut einer alten Sage schläft der Kaiser in einer Höhle des deutschen Kyffhäuserberges, bis er nach langer Zeit erwacht, um mit seinen Getreuen das Reich zu retten.  

Gegen Gleichheit und Diskriminierungsfreiheit

Der Aufstieg der populistischen Parteien ist zu einer ernsten Herausforderung für demokratische Staaten geworden. Das meint auch der renommierte deutsche Politikwissenschaftler, Hans Vorländer: "Was wir sehen, ist, dass zentrale Werte von Rechtspopulisten in Frage gestellt werden, wie zum Beispiel die Gleichheit, die Würde der Menschen oder das Recht auf Diskriminierungsfreiheit."

Vorländer forscht seit vielen Jahren über das Phänomen Populismus. "Es wird notwendig sein, dass wir verstehen, dass rechtspopulistische Parteien nicht so einfach verschwinden werden. Wir müssen lernen damit umzugehen" analysiert er im Gespräch mit der DW. "Das ist in Deutschland schwieriger als in anderen Ländern, weil wir erlebt haben, dass solche Kräfte die Demokratie zerstören können."

Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol Anfang 2021Bild: Julio Cortez/AP Photo/picture alliance

Weltweit warnen Wissenschaftler und Politiker vor der Verwundbarkeit offener Gesellschaften. Der Sturm von fanatischen Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 hat gezeigt, wie begründet diese Warnungen sind.

Auch in Deutschland mehren sich Beweise, wie gefährlich die AfD für den Rechtsstaat werden kann. Anfang September wurde in Thüringen mit der AfD zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine rechtsextreme Partei in einem deutschen Bundesland zur stärksten politischen Kraft gewählt. Parteivorsitzender Höcke ließ sich von seinen Anhängern feiern. In der ersten Parlamentssitzung nach der Wahl demonstrierte die AfD, wie sie mit dem neuen Einfluss umgehen will. Der Leiter der Sitzung war ein AfD-Politiker, der gegen eindringliche Mahnungen des Landtagsdirektors den Willen der Parlamentarier ignorierte. Erst ein Gericht konnte das Treiben stoppen.

Aber trotz aller Forschung über die Gefahren und trotz aller Medienberichte über Lügen, Verschwörungstheorien und gefährliche Propaganda, die von Populisten verbreitet werden: Ihr Aufstieg geht bislang scheinbar ungebremst weiter. Was also tun?

Studie: Investitionen helfen gegen Rechtspopulismus

Für Europa hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft eine interessante Lösung herausgearbeitet: investieren. Das Institut untersuchte den Einfluss von öffentlichen Investitionen in strukturschwachen Regionen Europas auf rechtspopulistische Parteien. Das Ergebnis der Studie vom April 2024: In geförderten Regionen sank der Stimmenanteil rechtspopulistischer Parteien um 15 bis 20 Prozent. Vereinfacht gesagt bilanzieren die Studienmacher: "100 Euro EU-Regionalförderung pro Kopf reduzieren den Stimmanteil rechtspopulistischer Parteien in einer Durchschnittsregion also um 0,5 Prozentpunkte."

Wissenschaftler, wie Hans Vorländer von der Technischen Universität Dresden, sind sich einig, dass die Politik sehr viel mehr in politische Bildung investieren muss, wenn sie insbesondere junge Menschen gegen populistische Angebote in den sozialen Medien schützen will. Für demokratische Parteien wird es dabei schwieriger, die Erstwähler zu erreichen, so Vorländer, weil sie an integrierender Kraft verlieren würden. "Wir müssen sehen, dass die Parteiendemokratie an Struktur und Stärke verliert. Die Parteiendemokratie wandelt sich in eine Bewegungsdemokratie, die sehr viel volatiler ist."

Die Bindungen an Parteien sind nicht mehr so dauerhaft und eng, wie sie es einmal waren. Experten fordern daher, dass die Menschen in einer Gesellschaft auch abseits von Wahlen stärker in die politische Willensbildung eingebunden werden sollten. Der Soziologe Steffen Mau zum Beispiel plädiert für sogenannte Bürgerräte. Menschen ganz verschiedener Weltanschauungen sollten zusammenkommen, sich mit politischen Fragen auseinandersetzen und Lösungen finden. Dadurch würden extreme Positionen eingehegt.

Ultima Ratio: Verbotsverfahren

In Deutschland wird auch die ultimative Maßnahme gegen die Gefährdung der Demokratie debattiert: ein juristisches Verbotsverfahren gegen die AfD. Seit Jahren bestätigen und sammeln Gerichte, Sicherheitsbehörden und zivile Organisationen Beweise für die Gefährlichkeit der Partei. Doch ein Parteienverbot hat in Deutschland hohe rechtliche Hürden. Es müsste durch den Bundestag, den Bundesrat oder die Bundesregierung beantragt werden. Geprüft wird es dann durch das höchste deutsche Gericht; das Bundesverfassungsgericht. In der Geschichte der Bundesrepublik wurden erst zwei Mal Parteien verboten. Zuletzt im Jahr 1956. Oftmals scheiterten die Verbotsanträge.

Der Politikwissenschaftler Vorländer hält einen solchen Antrag für vertretbar: "Die demokratischen Parteien müssen deutlich machen, dass sie bereit sind, Grenzen aufzuzeigen. Und sie sollten auch nicht davor zurückschrecken, das durch das Verfassungsgericht klären zu lassen."

Auf ein Wort... Populismus

42:30

This browser does not support the video element.