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Warum arbeiten so wenige Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland?

20. Februar 2024

Mehr als eine Million Ukrainer sind vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet. Die wenigsten arbeiten. Liegt das daran, dass sie vom Bürgergeld leben können, oder gibt es noch andere Gründe?

Eine Frau hält bei einer Jobmesse für ukrainische Geflüchtete einen Messeplan mit der ukrainischen Flagge
Es gibt viele Gründe, weshalb wenige ukrainische Geflüchtete im deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassenBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Für Michael Kretschmer, den Ministerpräsidenten von Sachsen, ist die Lage klar: "Wenn wir sagen, Deutschland ist ein Zuwanderungsland, dann sind es beispielsweise die Ukrainer, die am leichtesten in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind", sagte der CDU-Politiker Mitte Februar. "Aber es arbeiten nur 20 Prozent, weil sie nicht arbeiten müssen."

Auch in anderen Parteien gibt es solche Stimmen. Man habe es den Ukrainern in Deutschland "zu nett" gemacht, so Matthias Jendricke, SPD-Landrat aus dem thüringischen Nordhausen, ebenfalls in einem Zeitungsinterview. "Dann ist einfach das Sofa gemütlicher als der Deutschkurs."

5,5 Milliarden Euro Bürgergeld

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine haben in Deutschland Anspruch auf Bürgergeld, also die Grundsicherung für Arbeitslose. Alleinstehende bekommen 563 Euro pro Monat. Bei Paaren sind es 506 Euro pro Person. Für Kinder werden altersabhängig 357 bis 471 Euro pro Monat bezahlt. Der Staat übernimmt außerdem die Krankenversicherung, die Kosten für die Unterkunft, also Miete und Heizkosten, und es gibt Geld für Wohnungseinrichtung und für den Schulbedarf.

Ukrainische Flüchtlinge auf einer Kundgebung in München im Sommer 2023Bild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner rechnet damit, dass im Haushalt 2024 für Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland zwischen 5,5 und sechs Milliarden Euro Bürgergeld zu veranschlagen sind.

Weniger Unterstützung in anderen Ländern

Gut sechs Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine waren laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) Mitte Februar 2024 in ganz Europa registriert. Die meisten in Deutschland (1,13 Millionen), gefolgt von Polen (956.000), Tschechien (381.000), Großbritannien (253.000), Spanien (192.000),Italien (168.000) und den Niederlanden (149.000).

Polen zahlt Unterstützung nur in den ersten drei Monaten, danach sind die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine weitgehend auf sich selbst gestellt. In Tschechien gibt es nach fünf Monaten umgerechnet noch 130 Euro pro Monat. Noch weniger staatliche Hilfe bekommen Flüchtlinge in Großbritannien.

Polen: Mehr Steuereinnahmen als Hilfszahlungen

In Polen und Tschechien arbeiten rund zwei Drittel der ukrainischen Kriegsflüchtlinge, in Großbritannien mehr als die Hälfte. In Deutschland ist es nur jeder Fünfte. Diese Zahlen hat der Soziologe Dietrich Thränhardt im November 2023 für eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zusammengetragen. Doch es liege nicht an den Sozialleistungen, stellt der emeritierte Professor an der Universität Münster fest. Denn auch in Dänemark (78 Prozent), gefolgt von Schweden und den Niederlanden (mehr als 50 Prozent) arbeiten mehr Ukrainer als in Deutschland, und dort gibt es dauerhaft Geld vom Staat.

Aufgrund des hohen Personalmangels finden In italienischen Krankenhäusern Fachkräfte aus der Ukraine schnell ArbeitBild: Matteo Nardone/Pacific Press Agency/imago images

Arbeit hat Priorität

Die Studie weist nach, dass besonders viele Menschen in Ländern arbeiten, in denen es einen einfachen Zugang zum Arbeitsmarkt gibt. Polen und Tschechien, aber auch Dänemark, die Niederlande und Irland haben einfache digitale Verfahren, bei denen der gesamte Rechts- und Sozialstatus mit einer Anmeldung abgedeckt wird. In den Niederlanden wurden Zeitarbeitsfirmen eingebunden, um so schnell wie möglich Arbeitsstellen zu vermitteln. In Italien und der Slowakei können ukrainische Ärztinnen und Ärzte und Pflegepersonal ohne Weiteres eingestellt werden.

Deutschland, Österreich und die Schweiz, also die deutschsprachigen Länder, haben sich hingegen am Asyl-System orientiert und dabei viele Beschränkungen und hohe Zugangshürden übernommen. Komplizierte Verfahren, mit denen berufliche Qualifikationen, akademische Abschlüsse und Doktortitel überprüft und anerkannt werden müssen. Die beteiligten Ämter sind überlastet. Alles kostet viel Zeit.

Erst die Sprache, dann der Job

In Deutschland wird großer Wert auf den Spracherwerb gelegt. In dem Wissen, dass ein gutes Deutsch für höher qualifizierte Jobs wichtig ist. Viele Kriegsflüchtlinge sind gut ausgebildet, beinahe jeder Zweite hat studiert. Sie bringen berufliche Voraussetzungen mit, die den deutschen Fachkräftebedarf lindern könnten.

Deutschland: Leben nach der Flucht

05:19

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In Ländern mit einer hohen Arbeitsintegration würden die meisten Kriegsflüchtlinge tatsächlich im Niedriglohnsektor arbeiten, so der Soziologe Thränhardt. "In keinem europäischen Land ist es bisher gelungen, die gute Ausbildung der Ukrainer*innen in größerem Maße fruchtbar zu machen. Sie arbeiten überwiegend in eher gering bezahlten Berufen, in Hotels und Gaststätten, bei einfachen Dienstleistungen, in der Landwirtschaft, bei Zeitarbeitsfirmen." In den Niederlanden und Polen seien zudem Fälle von sexueller und krimineller Ausbeutung und von Übervorteilung und Unterbezahlung dokumentiert.

Deutsch ist eine schwere Sprache

Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Januar 2024 noch rund 124.000 Teilnehmende in Integrations- und Sprachkursen gemeldet. Drei Viertel von ihnen sollen im kommenden halben Jahr damit fertig sein. Darauf Bezug nehmend prognostizierte die OECD im Herbst letzten Jahres, dass sich die Beschäftigungslage für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland in absehbarer Zeit verbessern werde. Allerdings geht aus einem Prüfbericht des Bundesrechnungshofs hervor, dass bisher rund die Hälfte aller teilnehmenden Ukrainerinnen und Ukrainer am Sprachtest scheitern und bei den Prüfungen durchfallen. Jeder Siebte bricht demnach Kurse ohne Testteilnahme ab.

Es ist nicht so einfach, Deutsch zu lernenBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

In Zukunft soll es auch möglich sein, Deutsch berufsbegleitend lernen können. Das ist Teil eines Programms der Bundesregierung, das "Job-Turbo" genannt wird und als Reaktion auf die niedrige Arbeitsquote bei Ukrainern gestartet wurde. Kurse mit interessierten Unternehmen werden bereits erprobt. Erste reguläre Angebote soll es ab Ende März 2024 geben.

Fehlende Kinderbetreuung

Wenn man Deutschland mit anderen europäischen Ländern vergleicht, gibt es allerdings eine weitere Besonderheit, die die Arbeitsaufnahme vor allem bei Frauen behindert: Bundesweit fehlen rund 350.000 Plätze allein in Kindertagesstätten. In einigen Bundesländern gibt es auch zwei Jahre nach Kriegsbeginn nicht für alle Kinder und Jugendlichen einen Schulplatz. 65 Prozent der erwachsenen Kriegsflüchtlinge sind Frauen. Sie sind mit rund 350.000 Kindern und Jugendlichen nach Deutschland gekommen und vielfach alleinerziehend.

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Ohne Kinderbetreuung können sie keinen Job annehmen. Andere sind durch die Pflege von Angehörigen verhindert. Rechnet man dann noch diejenigen dazu, die in Sprachkursen sitzen, bleiben nicht so viele übrig, die tatsächlich arbeiten könnten. Im Januar 2024 waren bei der Bundesagentur für Arbeit zwar 519.000 erwerbsfähige Ukrainerinnen und Ukrainer registriert, aber nur 206.000 galten als arbeitslos. Einen Job hatten Ende 2023 rund 214.000.

Was wird ab 2025?

Der Soziologe Dietrich Thränhardt hält die bisherige Arbeitsbeteiligung der Ukrainer in seiner Studie nicht nur wegen der verschenkten Arbeitskraft "für besorgniserregend". Erwerbsarbeit sei darüber hinaus ein wichtiger Schlüssel zur Integration. Auch mit Blick auf den Moment, wenn die vorläufige Aufnahme in der EU endet. "Mit einer Verankerung in der Arbeitswelt hätten sie Wahlchancen zwischen Bleiben und Rückkehr. Ohne könnten sie in eine prekäre Situation geraten oder massenhaft Asyl beantragen."

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