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Ein heißer Tag in Garzweiler

22. Juni 2019

Aktivisten hier, Polizisten dort. Die einen wollen den Tagebau blockieren, die anderen das verhindern - hier ist das fast schon Ritual. "Fridays for Future" bringt der Anti-Kohle-Bewegung Auftrieb. Peter Hille berichtet.

Deutschland | Proteste für mehr Klimaschutz | Braunkohle Tagebau Garzweiler
Bild: DW/P. Hille

In weißen Maleranzügen marschiert der Trupp über die Landstraße 277 zwischen Keyenberg und Immerath im "Rheinischen Revier - tief im Westen Deutschlands. Links Felder, rechts Bäume, dazwischen ein bisschen Asphalt. Ländliches Idyll. Wäre da nicht der Tagebau Garzweiler. Parallel zur Straße fressen die Bagger des Energiekonzerns RWE sich in die Braunkohle, die hier unter der Erde liegt.

Sie sind auch der Grund, warum der Trupp Hunderter, vielleicht Tausender Aktivisten hier unterwegs ist. Sie gehören zur "Ende Gelände"-Bewegung, die für mehr Klimaschutz demonstriert, gegen den Kohleabbau. Sina Reisch, runde Brille, blonde Locken, die gen Himmel streben, ist eine von ihnen. "Einige von uns werden sich dafür entscheiden, heute in die Grube zu gehen und den Tagebau zu blockieren", sagt sie.

Entschlossen für den Klimaschutz: Sina ReischBild: DW/P. Hille

Eine rheinische Kohle-Prozession

Schließlich sei die Kohle-Verstromung aus dem Rheinischen Revier größter Produzent des klimaschädlichen CO2 in Europa, sagt Reisch. Man kenne die Folgen des Klimawandels seit langem, aber die Regierungen würden nichts dagegen unternehmen. "Deshalb nehmen wir das selbst in die Hand. Wir stoppen die Kohle mit unseren Körpern." Doch der Zug der Aktivisten wird von Hunderten Polizisten begleitet, die den Zugang zum Tagebau verwehren. Das Gelände gehört schließlich RWE, wer es betritt, begeht Hausfriedensbruch. Außerdem sei der Abstieg an der Abbruchkante der Braunkohlegrube lebensgefährlich, sagt die Polizei.

Polizeiliche Begleitung zu Pferde - aber auch zu Fuß und aus der LuftBild: Reuters/Schmuelgen

Zwanzig Mannschaftswagen der Polizei fahren im Schrittempo hinter den Demonstranten her, am Himmel rattert permanent ein Hubschrauber. Die "Landesreiterstaffel" ist ebenfalls dabei. Mit den bunten Fahnen auf der einen, den Pferden und Uniformen auf der anderen Seite wirkt das ganze wie eine katholische Feiertags-Prozession, die bei Sonnenschein über Land zieht. Die Aktivisten sind ähnlich gut organisiert wie die Polizei. Hier auf der Landstraße 277 läuft der "rote Finger", anderswo versuchen - wie bei einem Sternmarsch, der goldene, der pinke, der bunte Finger, in die Grube zu gelangen.

"Über die Stränge"

Immer wieder lassen sich die Aktivisten nieder, spannen Sonnenschirme auf oder versuchen, unter silber und golden glitzernden Rettungsdecken Schatten zu finden. Wir wollen zeigen, dass wir da sind, das wir uns nicht unterkriegen lassen, sagt ein junger Mann, 20 Jahre alt. Er hat sich einen Mund- und Nasenschutz um den Hals gehängt - wer weiß, ob heute noch Pfefferspray zum Einsatz kommt. Er will seinen Namen nicht nennen, sei etwa hundert Kilometer weit angereist.

Unter den Maleranzügen wird's heiß - Schutz bieten die SchirmeBild: Reuters/Schmuelgen

"Fridays for Future" sei gut, "supertoll", sagt er und meint damit die Schüler-Klimaschutzbewegung, die nur wenige Kilometer von hier mit Musik, Plakaten und Sprechchören gegen die Kohle kämpft. Es sei großartig, dass in Aachen am Freitag Zehntausende friedlich demonstriert hätten. "Aber man muss jetzt wirklich handeln, weil wir Klimaschäden haben, die in 15 Jahren nicht mehr umkehrbar sind. Für manche Zwecke muss man auch mal über die Stränge schlagen."

Kein Protest ohne BotschaftBild: DW/P. Hille

"Für nichts und wieder nichts"

Nur weiß blühende Kartoffelfelder und hellgrüner Weizen trennt die Aktivisten jetzt noch von der Abbruchkante, an der die Bagger nagen. Es sind vielleicht 200 Meter. Doch die Polizei steht eng gestaffelt. Einer der Aktivisten, Sonnenbrille, Wuschelbart und weißes T-Shirt, versucht, mit den Beamten ins Gespräch zu kommen. "Ich hab keinen Bock, mit Dir zu reden", so die Antwort des Polizisten.

Auch er steht seit Stunden an der Landstraße. Die rotblonden Haare glänzen in der Mittagssonne. Aus Essen komme er, sagt der Polizist der DW. Vier Tage und Nächte lang Einsatz im Braunkohlerevier. "Für nichts und wieder nichts." Er ist einer derjenigen, die nicht auf günstig per Braunkohle produzierten Strom in Deutschland verzichten wollen. Am Revers baumeln zwei Kabelbinder. Am Gürtel hängen Schlagstock, Pfefferspray und Pistole. Seit Jahren läuft das Räuber- und Gendarm-Spiel zwischen Polizei und Aktivisten im Braunkohlerevier. Weltweit bekannt ist mittlerweile der Kampf um den Erhalt des Hambacher Forstes.

Sturm in die Grube

Doch irgendwann wird es beiden Seiten so langweilig, dass sich einige Polizisten auf Gespräche einlassen. Eine Gruppe von Aktivisten umringt einen gesprächsbereiten Beamten. Sie versuchen, ihn für den Klimaschutz zu begeistern und der Mann zeigt Interesse. Am Ende verspricht er, sich zumindest mal eine Online-Petition gegen die Braunkohle durchzulesen.

Der DurchbruchBild: Reuters/Schmuelgen

Dann plötzlich Bewegung. Hand in Hand, in breiten Reihen, rennen die Kohlegegner in ihren weißen Maleranzügen in Richtung Grube. Alle Aktivisten des "roten Fingers" schlüpfen durch die Polizeikette und stapfen durch ein hüfthohes Weizenfeld zur Abbruchkante. "Auf geht's, auf geht's, Ende Gelände", rufen sie. Einige Rauchbomben leuchten rot auf, Fahnen flattern im Wind, der Hubschrauber am Himmel knattert heran. Nach Behördenangaben werden mehrere Polizisten verletzt.

Etwa 200 Aktivisten des "roten Fingers" erreichen ihr Ziel, laufen, klettern, rutschen hinab in die offene Grube. Dorthin schaffen es auch 700 weitere von anderen Trupps. Ein Erfolg, aus Sicht der Aktivisten. Sie verweisen darauf, dass das Frauenwahlrecht auch nicht ohne illegale Aktionen erkämpft worden wäre. RWE dagegen kann darauf hinweisen, dass es eine Vereinbarung gibt, verhandelt von Politik, Umwelt und Industrie, nach der bis 2038 in Deutschland Kohle gefördert werden darf. Es wird, je nach Lesart, nicht der letzte "Akt zivilen Ungehorsams", der letzte "Hausfriedensbruch" beim Kampf um die Kohle in Deutschland gewesen sein.

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