Hiroshima-Überlebende mahnen
3. Juni 2015Einen blau-weißen Blitz, den hat Nobuo Miyake damals gesehen, als er in der Straßenbahn saß. "Ich dachte noch, das wäre ein Kurzschluss", erzählt der heute 86-Jährige lebhaft. Damals, am 6. August 1945, war er in Hiroshima gerade auf dem Weg zur Schule. Er war nur zwei Kilometer vom Hypozentrum des Abwurfes der Atombombe entfernt und tat instinktiv das Richtige: Er sprang aus der Bahn. "Dann wurde ich von einer infernalischen Druckwelle von den Füßen gehauen", erzählt er weiter. Das hat Miyake das Leben gerettet. Jahrzehntelang hat er dann geschwiegen. Genau wie viele andere Hibakusha, wie die Überlebenden der Atombombenabwürfe in Japan genannt werden.
Über den Krieg reden - gegen das Vergessen
Die Überlebenden der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki sitzen zusammen mit deutschen Überlebenden des Zweiten Weltkrieges aus Hamburg auf dem Podium. Jetzt wollen sie erzählen: Gegen das Vergessen, gegen den Krieg und für die vielen Schüler, die gekommen sind.
"Ihr dürft nicht vergessen, was Krieg bedeutet", sagt Lore Bünger. Sie war begeisterte Anhängerin von Adolf Hitler. "Aber als wir nur noch in den Bunkern saßen und nichts als Angst hatten als die Bomben fielen, wusste ich: Das war falsch."
Nach Hamburg eingeladen hat der Erste Bürgermeister, Olaf Scholz. Für die Hafenstadt Hamburg sind die guten Beziehungen zu Japan schon Tradition, schon wegen des Handels. Außerdem ist Scholz Mitglied des Netzwerkes "Mayors for Peace". Die Bürgermeister für den Frieden haben die Weltreise der Überlebenden aus Japan auf dem "Peace Boat" mitorganisiert. Das liegt im Hafen von Warnemünde und fährt von dort aus weiter - einmal um die Welt. Die nächste Station: Kopenhagen. Die ständige Mission: Gegen Krieg und Atomrüstung!
"Peace Boat" – der Name ist Programm
In seiner kurzen Ansprache wird Scholz auch politisch. Er spricht zunächst vom "Schockerlebnis" der Atombombenabwürfe vor 70 Jahren, vom Einmaligen, wofür die Städtenamen Hiroshima und Nagasaki heute stehen. Und dann von der "schmerzhaften und mühevollen" Arbeit, die die Aufarbeitung der Nazi-Diktatur in Deutschland auch heute noch bedeute. Masao Ito versteht sehr gut, was Scholz meint: "Wir müssen endlich die Beziehungen zu den asiatischen Nachbarn verbessern und dabei wollen wir auch von Deutschland lernen." Er versteht das als Appell an die japanischen Politiker. "Japan und Deutschland waren Täter- und Opferländer zugleich, das sollte man endlich begreifen!"
Das Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe ist noch heute in Japan Teil der Staatsräson; der nationalen Kultur des Erinnerns. Doch die nationale Kultur des Entschuldigens, der Aufarbeitung der eigenen Kriegsgräuel, die lässt noch auf sich warten. Immer wieder mahnen das die asiatischen Nachbarn an und kürzlich am Rande eines Japan-Besuches wohl sogar die deutsche Bundeskanzlerin.
Wie umgehen mit der Kriegsschuld?
Lore Bünger, die Älteste auf dem Podium, will eigentlich keine Ratschläge geben. Sie sagt nur: "Einsicht hilft und miteinander reden."
Dass die Runde mit Überlebenden der Atombombenabwürfe und des Feuersturms von 1943 in der Hamburger St. Nikolai Kirche stattfindet, ist kein Zufall. Das Gotteshaus selber ist ein Mahnmal für den Frieden. Bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg war der Kirchturm Zielmarke für die Bomber der Briten und Amerikaner. Am 28. Juli 1943 wurde die Kirche bei der "Operation Gomorrha" schwer beschädigt. Heute erinnert ein Museum in der Ruine der Hauptkirche an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zwischen 1933-1945. Und da sitzt die Runde nun zusammen, zwischen entschärften, angerosteten Bomben, Fotos und Relikten aus dem zerstörten Hamburg.
Sorgen wegen Japans neuer Verteidigungsdoktrin
"Was macht ihnen heute als Aktivisten für Frieden und gegen Atomwaffen in Japan die meisten Sorgen?", will eine Schülerin wissen. Und da lautet die einhellige Antwort: Die Revision der Friedensverfassung. Der japanische Ministerpräsident Abe hatte kürzlich eine "Neuinterpretation" der Verfassung durchgesetzt. Artikel 9 der japanischen Verfassung ist damit ausgehöhlt. Die neue Verteidigungsstrategie ist eine radikale Abkehr von der Pazifismusdoktrin, die seit 1947 galt. Herr Miyake macht sich nun Sorgen. "Wir bewegen uns nun wieder in Richtung Militarismus. 70 Jahre hatten wir Frieden, gerade wegen unseres Gewaltverzichts in Artikel 9."
Lore Bünger hört sich das alles aufmerksam an und sagt dann gegen Ende der Veranstaltung in den Katakomben des Antikriegsmuseums in Hamburg: "Erzieht eure Kinder einfach zum Frieden."