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Gegengeschlechtliche Freundschaften im Trend

Karin Lamsfuß (FP)18. Juli 2005

Eine rein platonische Freundschaft zwischen Mann und Frau gibt es nicht, sagen viele. Doch in Wahrheit lassen sich immer mehr junge Leute auf dieses Experiment ein - und finden Gefallen an der "Liebe ohne Feuer"!

Es muss nicht Liebe sein: Freundschaften werden für Männer und Frauen immer wichtigerBild: Bilderbox

Cordula und Mike führen eine platonische Freundschaft – und das seit sieben Jahren! So etwas gibt es doch gar nicht, werden viele vielleicht sagen und sich ihren Teil denken. Natürlich läuft da etwas. In der Realität gibt es immer mehr Frau-Mann-Freundschaften, besonders unter den heute 20-40-Jährigen. Und sie finden, dass es sich lohnt.

Auch Cordula und Mike haben die Erfahrung gemacht, dass eine "gegengeschlechtliche Freundschaft" - so der Fachbegriff - ihnen sehr viel geben kann und für sie mittlerweile zur perfekten Lebensform geworden ist. So haben die beiden auch gleich Nägel mit Köpfen gemacht und leben nun zusammen, nachdem sie sich von ihren Ex-Partnern getrennt haben.

Für Claudia ist die Freundschaft mit Mike "so was wie Seelenverwandtschaft.Oder wie Geschwister. Es hatte so was ganz Tiefes und Vertrautes, deswegen haben wir uns sehr früh auch schon innig berührt, ohne aber diesen sexuellen Anspruch zu haben oder Lust und Leidenschaft zu verspüren."

Gefühle am Anfang

Viele können das nicht nachvollziehen, da eine derartige Beziehung nicht in ihr traditionelles Wertesystem passt. Auch Cordula und Mike können nicht leugnen, dass am Anfang amouröse Gefühle standen. Besonders Mike gibt zu, dass er zu Beginn "schon ein bisschen verknallt war", sich dann aber nicht getraut hat, das Cordula zu offenbaren. Außerdem wollte er die Freundschaft nicht gefährden.

Das Bilderbuchpaar

Bild: AP

Enttäuscht von ihren verschiedenen Liebesbeziehungen leben die beiden nun wie "ein altes Ehepaar" zusammen.

Wie sieht denn so ein platonisches Zusammenleben aus? Mike gerät ins Schwärmen, wenn er über die Vielfalt im Leben mit Cordula berichtet. Dabei können sie genauso gut über die Ästhetik ihres Frühstückstischs philosophieren, wie sie auch über den "geilsten Sex" zusammen quatschen.

Für Cordula ist es besonders wichtig, dass sie so viel zusammen lachen können. Aber sie singen auch zusammen und manchmal schweigen sie auch einfach nur. Auch das muss in einer platonischen Mann-Frau-Beziehung möglich sein.

Und dann ist da natürlich jemand, mit dem man den Alltag teilt: Man kocht sich gegenseitig Kaffee, deckt den Frühstückstisch und manchmal legt Mike auch am frühen Morgen ein Kabarett hin.

Harmonische Beziehung ohne Feuer

Bei allem Elan und Harmonie fehlt aber natürlich ein nicht ganz unwichtiger Punkt in dieser "Traumbeziehung" - "Das Feuer" - wie die beiden es nennen! Nach unzähligen durchgequatschten oder durchgeheulten Nächten, nach Offenbarungen, intimen Geständnissen und Einblicken in die
tiefen Abgründe der Seele war der Zug wahrscheinlich irgendwann mal abgefahren für eine "richtige" Beziehung.

Aber negativ beeinflusst hat das ihr Zusammenleben in keiner Weise und somit blicken die Beiden mittlerweile auf sieben Jahre Freundschaft zurück. In dieser Zeit haben Cordula und Mike mehrere Partner gehabt, doch nur ihre Freundschaft hat die Zeit überstanden.

Der Trend zur gegengeschlechtlichen Freundschaft wird immer stärker. Etwa die Hälfte dieser Freundschaften, besagt die Forschung, geht aus Liebesbeziehungen hervor. Vor allem dann, wenn dort bereits wichtige Elemente wie Vertrauen, Gemeinsamkeit und Konfliktkompetenz vorhanden waren. Trotzdem betreten alle von ihnen zwischenmenschliches Neuland. Es fehlen Erfahrungswerte, wie solch eine Freundschaft funktionieren kann. Und somit ist eine Mann-Frau-Freundschaft - zumindest in ihren Anfängen - ein heilloses Durcheinander aus Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen, aus Abgrenzungen und falsch interpretierten Signalen.

"Mensch" anstatt "Frau"

Bild: BilderBox

Für Mike ist die Frage des Geschlechts sekundär, wenn es um Freundschaft geht: "Natürlich ist sie eine Frau. Aber sie ist für mich ein Kumpel. Sie ist ein Freund. Es ist mir egal, ob da jetzt ein Mann oder eine Frau vor mir steht. Es ist die Herzlichkeit und die Menschlichkeit, die für Mike eine wahre Freundschaft ausmachen."

Genau das reizt ihn an Cordula, er reduziert sie nicht auf das bloße "Frau-Sein." Dies macht dann wahrscheinlich auch das Geheimnis einer wirklich funktionierenden Freundschaft zwischen Mann und Frau aus: Dass die Kategorie "Mann - Frau" schlichtweg ersetzt wird durch die Kategorie "Mensch".