1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gegenwind für die Erben von Bretton Woods

22. Juli 2019

Vor 75 Jahren suchte die Weltgemeinschaft erstmals nach einem gemeinsamen Rahmen für die globale Wirtschaft. Wie steht es heute um die in Bretton Woods geschaffenen, multilateralen Institutionen Weltbank, IWF und WTO?

USA Wirtschaft Sitz Internationaler Währungsfond IWF Gebäude Flaggen
Bild: ullstein bild - JOKER/Lohmeyer

Juli 1944: Während in Frankreich alliierte Truppen nach ihrer Landung in der Normandie gegen die deutsche Wehrmacht kämpfen, haben sich im luxuriösen Mount Washington Hotel in Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire die Vertreter von 44 Staaten versammelt. Ihr Ziel: die Rahmenbedingungen für eine globale Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit zu schaffen. Mit dabei: die Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes aus Großbritannien und sein US-Kollege Harry White. Ihnen und den Delegierten der damals noch kleinen Vereinten Nationen gelingt es, den Grundstein für das System von Bretton Woods zu legen, mit dem die Koordinaten für die globale Wirtschaft der Nachkriegszeit festgezurrt werden.

John Maynard Keynes während der Tagung von Bretton Woods im Gespräch mit Chinas Finanzminister H.H. KungBild: picture-alliance/dpa

Geburtsstunde von Weltbank, IWF und Handelsorganisation

Ihre Ideen werden schließlich am 22. Juli 1944 verabschiedet. Damals wird der Grundstein gelegt für die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD), bis heute zentraler Teil der Weltbankgruppe, und den Internationalen Währungsfonds (IWF), der die internationale Zusammenarbeit in der Währungspolitik fördern soll.

Keynes wollte auch eine dritte Einheit, die für die Förderung und Regulierung der Handels- und Rohstoffmärkte sorgen sollte. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, auf englisch General Agreement on Tariffs and Trade, (GATT) wurde am 30. Oktober 1947 beschlossen, nachdem der Plan für eine Internationale Handelsorganisation nicht verwirklicht werden konnte. Das GATT-Abkommen trat am 1. Januar 1948 in Kraft, doch es sollte noch bis 1995 dauern, bis die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet wurde.

Der IWF wurde am 27. Dezember 1945 mit der Unterzeichnung eines Übereinkommens durch 29 Länder offiziell ins Leben gerufen und nahm am 1. März 1947 seine Tätigkeit auf.

Schuldenschnitt statt IWF-Kreditauflagen: Anti-IWF-Parole in Athen Bild: picture-alliance/epa/O. Panagiotou

Krisenfinanzier und globaler Wachhund

Der IWF sollte nach Übereinkunft der Gründungsmitglieder die Ausweitung und ein ausgewogenes Wachstum des Welthandels erleichtern, die Stabilität der Wechselkurse fördern und bei der Errichtung eines multilateralen Zahlungssystems mitwirken. Außerdem sollte der IWF kriselnden Mitgliedsländern mit Finanzspritzen aus dem gemeinsam bereitgestellten Finanztopf des Weltwährungsfonds unter die Arme greifen - allerdings nur "zeitweilig und unter angemessenen Sicherungen".

Diese Rolle eines "Lender of last resort", also eines Kreditgebers letzter Instanz, der in letzter Sekunde einspringt, um den Finanz-Kollaps eines kriselnden Staates zu verhindern, machte den IWF besonders in Griechenland verhasst.

Eine andere Aufgabe des IWF führt dazu, dass sich exportorientierte Länder wie Deutschland regelmäßig vom IWF die Leviten lesen lassen müssen: Denn seit seiner Gründung gehört es zu den zentralen Aufgaben des Weltwährungsfonds, die Ungleichgewichte in den internationalen Zahlungsbilanzen bei seinen Mitgliedsstaaten zu verringern.

Bilanz nach einem Dreivierteljahrhundert

Wo aber stehen die Institutionen von Bretton Woods heute, 75 Jahre nach ihrer Entstehung? Für Heribert Dieter von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) stehen die Institutionen unter erheblichem Druck - nicht nur durch die Konflikte der USA mit China und anderen Handelspartnern: "Die Situation ist schwierig, in allen drei Institutionen ist keine Euphorie zu erkennen, um es milde zu formulieren." 

Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik

Am wenigsten Probleme habe die Weltbank, so Dieter. Dort funktioniere das normale Geschäft ziemlich reibungslos. Auch wenn die Weltbank mittlerweile große Konkurrenz durch die chinesischen Initiativen der Asiatischen Infrastruktur Entwicklungsbank (AIIB) und das Projekt der Neuen Seidenstraße bekommen hat.

Sehr viel schwieriger sehe es beim Internationalen Währungsfonds und bei der Welthandelsorganisation aus, unterstreicht Heribert Dieter: "Die Welthandelsorganisation ist von großen Spannungen geprägt. Besonders die Amerikaner weisen darauf hin, dass sich China auch 18 Jahre nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation immer noch nicht dem Geist der WTO verpflichtet fühlt."

Das Verhalten Chinas beim Schutz geistigen Eigentums und verdeckte staatliche Subventionen Pekings sind auch von US-Präsident Donald Trump immer wieder als Motiv für seinen harten Kurs gegenüber Peking angeführt worden.

China als "Game Changer"

Doch auch wenn der Internationale Währungsfonds gegenwärtig keine Finanzkrisen zu bewältigen hat, sind sich Wirtschaftsexperten darin einig, dass der IWF damit überfordert wäre, China oder Italien vor einem Finanzkollaps zu bewahren. Reformen sind beim IWF also dringend nötig.

Der Weltbank als traditionellem Geldgeber für Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte macht China seit Jahren mit groß angelegten Projekten mächtig Konkurrenz. Die "Asian Infrastructure Investment Bank" und die Neue Seidenstraße, auch bekannt als "One Belt, One Road-Initiative", sind eine offene Konkurrenz für die Weltbank, räumt Dieter ein.

Ungleiche Partner: Julius Maada Bio, Präsident von Sierra Leone, zu Gast bei Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping Bild: picture-alliance/Xinhua/Yan Yan

Man müsse allerdings unterscheiden zwischen der Road-Initiative und der Infrastruktur Investment Bank. "Die AIIB ist relativ transparent, auch nicht-chinesische Akteure sind beteiligt. Es ist eine multilaterale Bank, die natürlich den etablierten Banken Konkurrenz macht, aber das ist weniger problematisch, weil wir dabei auch Transparenz-Mechanismen beobachten können." Bei der AIIB bestehe die chinesische Seite nicht darauf, den Prozess der Kreditvergabe zu beherrschen.

Ganz anders sieht seine Einschätzung der Road-Initiative aus, die bilaterale Verträge zwischen Nehmerländern und China vorsieht. "Hier hat sich in den letzten 12 bis 18 Monaten einiges an problematischen Entwicklungen gezeigt. Man hat überteuerte, hoch verzinste Kredite an Länder wie Kenia oder Sri Lanka vergeben und dann aus Forderungen, die nicht bedient werden konnten, sehr umstrittene Kompensationen bei den Ländern eingefordert. Das ist ausgesprochen schwierig", sagt Dieter.

Umdenken in Afrika 

Viele Projekte seien am Anfang vielversprechend gewesen, etwa in Kenia. Wenn er sich die Eisenbahnlinie von Mombasa nach Nairobi ansehe, erinnere ihn das an "schlecht gemanagte Entwicklungshilfeprojekte der 1960er Jahre. Da hat China weniger geleistet als es versprochen hat und es hat sich auch als weniger altruistisch erwiesen, als die Chinesen den Rest der Welt immer glauben machen wollen."

Ausbildung kenianischer Zugführerinnen auf der neuen Bahnstrecke von Nairobi nach MombasaBild: picture-alliance/Xinhua/S. Ruibo

Es gibt eine ganze Reihe von Anzeichen dafür, dass mittlerweile in Südost-Asien und in Afrika eine Neubewertung der Rolle und der Motive Chinas stattfindet. Die Eisenbahnlinie und der von China projektierte Frachthafen in Kenia, die mit großem Engagement und großem Pomp gefeiert wurden, sind erheblich teurer geworden und unwirtschaftlicher als der Transport mit Lastkraftwagen. Im westafrikanischen Sierra Leone hat die Regierung den geplanten Bau eines Flughafens durch China abgesagt. Die Argumentation der Regierung sei sehr direkt gewesen, so Dieter: "Diesen Flughafen brauchen wir nicht, er wird gebaut von chinesischen Arbeitern, von chinesischen Firmen mit chinesischem Kapital. Was uns bleibt, ist zwar ein Flughafen, aber auch eine stolze Rechnung dafür."

Chinesische Kredite auf Rekordhöhe

IfW-Forscher Trebesch: Tappen im Dunklen bei Chinas Seidenstraßen-Krediten Bild: privat

Eine aktuelle Untersuchung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat ergeben, dass China viel mehr Auslandskredite vergibt als bisher bekannt ist. Zwischen 2000 und 2017 haben sich die Verpflichtungen ausländischer Schuldner an China von unter 500 Milliarden auf über 5 Billionen US-Dollar erhöht - oder von unter einem Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung auf über sechs Prozent. Das Bedenkliche daran: "Rund 50 Prozent der internationalen Kredite Chinas an Entwicklungs- und Schwellenländer tauchen nicht in offiziellen Statistiken auf. Sie werden weder von multilateralen Überwachungsinstitutionen wie dem IWF oder dem Pariser Club (ein informelles Gremium staatlicher Gläubiger, die Red.) noch von Ratingagenturen oder privaten Datenanbietern erfasst."

Die Kieler Forscher Sebastian Horn und Christoph Trebesch kommen zusammen mit Carmen Reinhart von der US-Universität Harvard zu einem wenig beruhigendem Ergebnis: Viele der von China finanzierten Projekte seien zwar von großem Nutzen für die Empfängerländer, insbesondere im Bereich der Infrastruktur. "Allerdings bergen die großen Volumen der Schulden und deren Intransparenz auch Risiken für die Finanzstabilität. Private Investoren oder der IWF können die Schuldentragfähigkeit und die Krisenwahrscheinlichkeit von Ländern kaum einschätzen, wenn ein beachtlicher Teil der Auslandsverschuldung an China schlichtweg unbekannt ist." Bei der Analyse von Länderrisiken tappe man dann im Dunkeln", so das Fazit der Forscher.

Heribert Dieter sieht auch bei der Welthandelsorganisation WTO erheblichen Reformbedarf: "Die WTO ist immer noch hilfreich und notwendig. Aber wir haben hier auch das Problem, dass sich inzwischen sehr entwickelte Staaten immer noch als Entwicklungsländer präsentieren und damit Sonderregeln in Anspruch nehmen. Das gefällt natürlich den alten Industrieländern nicht und die Amerikaner machen viel Druck, die Europäer etwas verhaltener auch."

Wie positioniert sich die künftige EU-Kommission unter Ursula von der Leyen?Bild: Reuters/V. Kessler

Hausaufgaben für die neue EU-Kommission

Dass beim Handelspoker zwischen den USA und China die Europäische Union unter die Räder kommt, glaubt der SWP-Experte allerdings nicht: "Die Amerikaner und Chinesen bestimmen gegenwärtig die Schlagzeilen, aber als Handelsmacht ist Europa nach wie vor ganz vorne und man muss sich da auch keine Gedanken machen um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen."

Was die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen allerdings thematisieren müsse, sei, dass die Europäische Währungsunion Leistungsbilanzüberschüsse produziert, die dazu führen, dass der Rest der Welt bei der Eurozone Kredite aufnimmt. "Da kann man schon mal drüber nachdenken ob das so eine gute Idee ist."

In der Handelspolitik spreche die Europäische Union mit einer Stimme und sei nach wie vor auf Augenhöhe mit den Amerikanern und Chinesen. Für Dieter stellt sich eine ganz andere Frage: "Wie positioniert sich Europa? Nach meiner Prognose müssen wir beim anhaltenden Konflikt mit den Chinesen irgendwann einmal Farbe bekennen. Unterstützen wir die Amerikaner oder stehen wir an der Seite der Chinesen? Beides wird nicht gehen und diese Frage wird schon relativ bald beantwortet werden müssen."

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.