1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Berliner Mord ist Testfall für Russland"

Mikhail Bushuev
4. Dezember 2019

Der Mord an einem Georgier in Berlin erinnert an den Giftanschlag in Salisbury. Geheimdienst-Experte Mark Galeotti vergleicht die Fälle im DW-Interview und bewertet die deutsche Ausweisung russischer Diplomaten.

Polizei: Radfahrer soll Mann in Berlin-Moabit erschossen haben
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Deutsche Welle: Deutschland weist zwei russische Diplomaten aus, weil die russischen Behörden nicht an der Aufklärung des Mordes an einem Georgier im August 2019 in Berlin mitwirken. Außerdem hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Der Vergleich mit der britischen Stadt Salisbury, in der im März 2018 ein Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal verübt wurde, liegt auf der Hand. Dennoch gibt es Unterschiede. Welche sehen Sie?  

Mark Galeotti: Wirklich anders ist die politische Reaktion. Nach Salisbury haben wir eine sehr schnelle und sehr aggressive Antwort der britischen Regierung gesehen. Das zeigte auch die darauf folgende Welle von Ausweisungen russischer Spione aus anderen Ländern. Das hat Moskau stark getroffen. Der Kreml hat damit nicht gerechnet. Aber so etwas haben wir im Berliner Fall bisher nicht gesehen. Wir haben gesehen, dass die Bundesregierung viel vorsichtiger agiert. Nachdem Deutschland nun entschlossen ist, einige Russen auszuweisen, wird es interessant sein zu beobachten, ob es auch versuchen wird, andere Staaten von einem solchen Schritt zu überzeugen.

Mark Galeotti ist Historiker und Experte für russische GeheimdiensteBild: privat

Die deutsche Regierung hat zunächst keine große Stellungnahme abgegeben und lediglich die Ausweisung von Diplomaten verkündet und begründet. Wie bewerten Sie das? Ist das ein Versuch, eine Eskalation zu vermeiden?

Russland geht davon aus, dass es irgendeine Antwort bekommen wird. Überraschend war im britischen Fall, dass es international Folgen gab. Jetzt kommt es in Berlin darauf an, ob die Bundesregierung diesen Fall beiseite schieben will, insbesondere vor dem Hintergrund der Gespräche über die Ukraine im Normandie-Format - oder ob sie demonstrieren will, Deutschland sollte nicht als ein leichtes Ziel wahrgenommen werden. Zurzeit ist mein Eindruck, dass Deutschland nicht eskalieren will.

In Salisbury konnten die Behörden die zwei Angreifer als russische Geheimdienstoffiziere identifizieren. In Berlin wurde der mutmaßliche Täter gefasst. Ist das eine Niederlage für russische Geheimdienste? Oder ist es ein Risiko, das Moskau freiwillig eingeht, um seine Ziele zu erreichen?  

Wir sollten bedenken, dass Russland eine Art Kriegsmentalität hat. Nicht im Sinne, dass es einen Krieg plant - aber der Kreml akzeptiert, dass es auf dem Weg zum Ziel Verluste gibt. Der Tatverdächtige, der in den Mord in Berlin involviert war, ist hinter Gittern. Er ist kein Geheimdienstoffizier, also vermutlich ist er Moskau egal. Es verliert durch die Ausweisung zwei Geheimdienstoffiziere in Berlin (d.h. die ausgewiesenen Mitarbeiter der Botschaft, Anm. d. Red.), aber es hat viele mehr. Russland geht vermutlich davon aus, dass das ein akzeptabler Preis dafür ist, dass dieser Tschetschene getötet wurde.

"Noch passiert in Berlin nichts, worüber sich die Russen Sorgen machen"

Teil der russischen Kalkulation ist, sich als unvorhersehbar und gefährlich zu präsentieren, damit der Westen einen Deal mit Moskau machen muss. Egal, ob das Zugeständnisse im Fall Ukraine oder eine Anerkennung der Krim-Annexion bedeutet. Also, auf eine bestimmte perverse Art passt es den Russen, dass man sie als Hintermänner identifiziert. Ein wirkliches Problem entsteht dann, wenn sie den Ausgang nicht vorhersagen können, wie im Fall Skripal. Noch passiert in Berlin nichts, worüber sich die Russen Sorgen machen würden.

Nach dem Mord in Berlin - Proteste vor der russischen BotschaftBild: DW/V. Esipov

Sollte der Westen seine Strategie im Verhältnis zu Russland überdenken und seine Reaktion auf solche Tötungen weniger vorhersehbar und härter machen? 

Die NATO ist beispielsweise eine starke Struktur, die in der Lage ist, internationale Solidarität gegen direkte militärische Gefahren zu demonstrieren. Wer ein Land angreift, nimmt es mit allen auf. Was wir bisher nicht gesehen haben - und besonders die Europäische Union hat dabei versagt -, ist eine ähnliche Solidarität gegen nicht-militärische Bedrohungen. Wenn es keinen Hackerangriff auf das Wahlsystem oder einen Mord gibt, dann steht jedes Land im Grunde alleine da. Salisbury war das erste Mal, bei dem es ganz anders lief. In dieser Hinsicht war die Berliner Operation ein Testfall. Russland will schauen, ob Salisbury eine Ausnahme war. Wenn die Ausweisung von zwei Diplomaten die einzige Folge bleibt, dann wird man in Moskau zum Schluss kommen, dass es eine Ausnahme war.

Mark Galeotti ist ein britischer Historiker und Experte für russische Geheimdienste. Er ist Professor am University College London. 

Das Gespräch führte Mikhail Bushuev.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen