Geheimdienst-Kontrolle in Kriegszeiten: mehr oder weniger?
13. Oktober 2025
Hybride Kriegsführung, Spionage, Terrorismus – die Gefahren für Deutschland sind aus Sicht der drei Nachrichtendienste des Bundes größer denn je. "Toleranz, Zurückhaltung und Nachgiebigkeit werden uns von Gegnern wie Russland als Schwäche ausgelegt", sagte der seit September amtierende Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Martin Jäger, in Berlin.
Anlass war die öffentliche Anhörung der drei zentralen Geheimdienste durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundstages. Außer Jäger beantworteten sein Amtskollegen vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Sinan Selen, und die Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Martina Rosenberg, drei Stunden Fragen des Ausschusses.
BND-Präsident: "Wir stehen schon heute im Feuer"
Das Trio war sich einig, von wem die größte Gefahr für Deutschland und Europa ausgeht: Russland. "Wir stehen schon heute im Feuer", sagte BND-Chef Jäger, der zuvor Botschafter in der Ukraine war. In zweieinhalb Jahren habe er mehr als 1000 Luftalarme erlebt, sagte der ehemalige Diplomat. Auch unter diesem Eindruck betonte er, welche Aufgabe er als Präsident des Auslandsgeheimdienstes für besonders wichtig hält: der Bundeswehr Informationen für mögliche bewaffnete Auseinandersetzungen zu liefern.
Für die Aufklärung innerhalb Deutschlands ist der Verfassungsschutz zuständig. Dessen Chef Sinan Selen ist noch kürzer im Amt als Jäger: seit dem 8. Oktober. Man sei nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden, lautete seine Beschreibung der Bedrohungslage.
Wie gefährdet ist die Bundeswehr-Brigade in Litauen?
MAD-Chefin Rosenberg sorgt sich besonders um die Sicherheit der Bundeswehr-Brigade in Litauen, die im Mai offiziell ihren Dienst aufgenommen hat und bis 2027 einsatzbereit sein soll. Die Sicherheitslage im Baltikum und damit an der Ostflanke des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (NATO) habe sich in den vergangenen Monaten weiter verschärft und bleibe volatil.
"Deutschland ist für Russland im Moment Zielfläche Nummer eins in Europa", sagte Rosenberg und fragte in der öffentlichen Anhörung: "Kommen wir an einen Punkt, wo wir mal aktive Gegenmaßnahmen ergreifen müssen?" Die Bundeswehr in Litauen sei Angriffspunkt für Spionage und Sabotage, warnte die MAD-Chefin.
Geheimdienste rechnen mit weiteren Lageverschärfungen
BND-Präsident Jäger fasste für alle drei Geheimdienste die Einschätzung der Bedrohungslage zusammen: "Das Handeln Russlands ist darauf angelegt, die NATO zu unterminieren, europäische Demokratien zu destabilisieren, unsere Gesellschaften zu spalten und einzuschüchtern." Auf weitere Lageverschärfungen müsse man sich vorbereiten.
Um dafür gewappnet zu sein, drängt das Geheimdienst-Trio auf zusätzliche Befugnisse. Das BND-Gesetz müsse an den Realitäten der neuen Zeit ausgerichtet werden, forderte Jäger - und damit mehr Spielräume bei der Bekämpfung fremder Mächte. Darunter versteht er das gleiche wie Selen und Rosenberg: die Möglichkeit, potenzielle Feinde besser zu überwachen.
Wie viel Kontrolle ist nötig?
Eigene Stärke und internationale Kooperation bedingten einander, betonte der BND-Präsident. Dabei ließ er durchblicken, dass sein Haus wohl mehr von Informationen sogenannter befreundeter Dienste im Ausland profitiere als umgekehrt. Vor diesem Hintergrund lobte er einerseits die Kontrolle durch den Bundestag, kritisierte aber zugleich den dafür nötigen Personalaufwand seines Hauses. "Ich plädiere für eine effizientere Gestaltung", sagte Jäger, ohne konkrete Vorschläge zu unterbreiten.
Kritiker der Geheimdienst-Kontrolle monieren vor allem die personelle Zusammensetzung des Gremiums, dem theoretisch neun Abgeordnete aller Fraktionen im Parlament angehören sollten. Tatsächlich sind es aber nur sechs, weil die Kandidaten der oppositionellen Alternative für Deutschland (AfD) und der Linken bei der Wahl im Bundestag keine Mehrheit erhielten.
Nur ein Kontrolleur gehört der Opposition an
Aktuell ist der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz der einzige Oppositionspolitiker im Parlamentarischen Kontrollgremium. Alle anderen Mitglieder gehören den Regierungsfraktionen an: Die Union (CDU/CSU) hat drei Sitze, die Sozialdemokraten (SPD) verfügen über zwei.
Der ehemalige Linken-Parlamentarier André Hahn hält das für ein absolutes Missverhältnis, das die Kontrollmöglichkeiten einschränke. "Die unterschiedlichen Fraktionen haben einen unterschiedlichen Blick auf die Dinge und stellen andere Fragen", sagte Hahn im DW-Interview. Er selbst gehörte dem PKGr bis 2024 zehn Jahre lang an. Zuvor war er von 1996 bis 2013 Geheimdienst-Kontrolleur im Bundesland Sachsen gewesen.
"Das kann auf Dauer keine Einbahnstraße sein"
Hahn kritisiert vor allem den Umgang der Union mit seiner Partei. Bei der Wahl von Richtern für das Bundesverfassungsgericht habe man von der Linken Unterstützung verlangt, aber verweigere den Kandidaten der Linken für das Parlamentarische Kontrollgremium die Zustimmung. "Das kann auf Dauer keine Einbahnstraße sein", sagt Hahn mit Blick auf einen erwarteten Sinneswandel der Union.
Die Linke hatte ihre Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek als Kandidatin für das PKGr vorgeschlagen. Ihre Ablehnung war ein Novum, denn ihr Vorgänger Hahn hatte stets die nötige Unterstützung aus anderen Fraktionen erhalten. Anders sind die Erfahrungen der AfD. Die war lediglich von 2017 bis 2021 im Kontrollgremium vertreten. Danach wurden die Kandidaten der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei stets abgelehnt.
AfD: "Das darf nicht so bleiben"
Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann will sich damit nicht abfinden, wie er auf DW-Anfrage erklärte: "Dass die AfD als größte Oppositionsfraktion in jenem Gremium nicht vertreten ist, das die deutschen Geheimdienste kontrollieren soll, zeigt, in welch gefährlicher Schieflage wir uns mittlerweile befinden. Denn zur wichtigsten Aufgabe der Opposition gehört die Kontrolle der Regierung."
Baumann wirft der Union vor, eine Brandmauer gegenüber der AfD errichtet zu haben. Das habe dazu geführt, dass der Grüne von Notz der einzige Vertreter der Opposition im Parlamentarische Kontrollgremium sei. "Das darf nicht so bleiben. Deshalb debattiert der AfD-Fraktionsvorstand, wie wir weiter vorgehen werden, um diesen unhaltbaren Zustand zu beenden."
"Da wird in gewisser Weise Transparenz vorgespielt"
Aus Sicht des ehemaligen Geheimdienst-Kontrolleurs André Hahn gibt es neben der aktuellen Zusammensetzung des Gremiums ein weiteres Manko: "Da wird in gewisser Weise Transparenz vorgespielt. Denn die Mitglieder wissen alles, was sie fragen. Für sie kommt da nichts Neues raus." Letztlich sei das lediglich eine Veranstaltung für die Öffentlichkeit.
Ein anderes Fazit der Anhörung zog der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Marc Henrichmann von der CDU/CSU-Fraktion: "Der Bedarf an Aufklärung in der deutschen Bevölkerung ist sehr deutlich geworden. Der Grad an multipler Bedrohung insbesondere durch Russland, aber auch andere Player, ist gravierend."