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Geheime Milliardendeals: Schweizer Rohstoffhandel

18. März 2022

Der Krieg in der Ukraine bringt ein Schweizer Geschäftsmodell ins Blickfeld, das auf dem Prinzip des "Wegschauens" basiert. Den Rohstoffhandel. Mit ihm werden Milliarden umgesetzt - woran auch Russland verdient.

Russland Ölpumpen in Tatarstan
Bild: picture-alliance/TASS/Y. Aleyev

Die Schweiz ist dafür bekannt, ein wichtiges Finanzzentrum zu sein. Weniger im Blickpunkt, aber viel bedeutender ist jedoch der Rohstoffhandel. Gerade die Schweiz - ein Land fernab großer Handelsrouten, ohne Zugang zum Meer, ohne ehemalige Kolonialgebiete und ohne nennenswerte eigene Rohstoffe - ist eines der weltweit wichtigsten Handelszentren für Rohstoffe. "Die Branche hat in der Schweiz deutlich mehr Anteil am Bruttoinlandsprodukt als der Tourismus oder die Maschinenindustrie," sagt Oliver Classen von der Nichtregierungsorganisation Public Eye.

Ganz im Verborgenen werden hier gewaltige Umsätze gemacht. Das über die Schweiz abgewickelte Handelsvolumen wird auf knapp 1000 Milliarden Dollar geschätzt, so ein Bericht der Regierung in Bern von 2018. Die fünf nach Umsatz größten Firmen in der Schweiz sind nicht Nahrungsmittelhersteller oder Pharmafirmen, sondern Rohstoffhändler. 900 Unternehmen gibt es hier, die im Rohstoffhandel aktiv sind. Die meisten sitzen in Genf, Zug oder Lugano. Auch russische Rohstoffgiganten und russische Banken haben hier Niederlassungen und mischen im Rohstoffhandel mit. 

Russische Rohstoffe werden über die Schweiz gehandelt

Rund ein Drittel des weltweit gehandelten Erdöls wird in Genf ge- und verkauft. Ebenso werden in der Schweiz zwei Drittel des weltweiten Handels mit sogenannten unedlen Metallen wie Zink, Kupfer oder Aluminium und zwei Drittel des international gehandelten Getreides abgewickelt. Davon profitiert auch Russland. Etwa 80 Prozent der russischen Rohstoffe werden über die Schweiz vertrieben, so ein Bericht der Schweizer Botschaft in Moskau. Damit fließt auch russisches Öl und Gas quasi über Schweizer Schreibtische.

Die Öl- und Gasexporte sind die Haupteinnahmequelle Putins. Sie machen zwischen 30 und 40 Prozent des russischen Staatshaushalts aus. Allein mit Ölexporten haben russische Staatskonzerne 2021 rund 180 Milliarden Dollar verdient. Geld, dass nun in den Krieg fließen kann.

Die Schweizer Rohstoffhändler würden weiterhin wegschauen, was der russische Staat mit diesem Geld macht, beklagte Angela Mattli von der Nichtregierungsorganisation Public Eye in einer Rede anlässlich der Friedensdemo in Bern. Und das "ganz legal im Rahmen der Schweizer Gesetzgebung, deren Lücken für Rohstoffhändler sperrangelweit offenstehen."

Auch in der Politik regt sich Kritik. "Die Schweiz muss jetzt der russischen Kriegsfinanzierung den Hahn zudrehen", fordert Cedric Wermuth von den Schweizer Sozialdemokraten, im Rundfunk SRF. Sie halte wirkungsvollste Hebel in der Hand - den Rohstoffhandel und die Vermögen der reichen Russen. Bislang betreffen die Sanktionen der EU und der USA aber nicht den Handel mit Rohstoffen, auch wenn die USA selbst inzwischen kein russisches Öl mehr importieren wollen. Deutschland gibt sich dagegen angesichts seiner Abhängigkeit von Russland noch zurückhaltend. Zu dem häufig geforderten Embargo russischer Energielieferungen sagte Habeck am Freitag erneut, dafür sei es "zum jetzigen Zeitpunkt zu früh". Denn dann wären "die ökonomischen und sozialen Folgen zu gravierend".

Die Schweiz pflegt geschichtstreu ihren Neutralitätsstatus und erlässt nicht eigenmächtig Sanktionen. Nach dem Schweizer Embargogesetz schließt sie sich nur Sanktionen anderer an. Das heißt, es passiert nur etwas, wenn Haupthandelspartner oder der UN-Sicherheitsrat wirtschaftliche Einschränkungen beschließen. 

Zudem fasst die Schweiz ihr goldenes Kalb, den Rohstoffhandel, bislang mit Samthandschuhen an.

Auch in der Schweiz wird gegen Putin demonstriert. Bislang wird der Rohstoffhandel aber nicht angetastet und er gewinnt an Bedeutung. Allein in den Jahren 2003 bis 2011 haben sich die Nettoerträge aus dem Schweizer Rohstoffhandels von 2 auf 20 Milliarden Schweizer Franken verzehnfacht.Bild: Manuel Geisser/IMAGO

Finanzplatz ist die Basis des Rohstoff-Handelsplatzes

Dazu muss man wissen, dass Rohstoffe oft direkt zwischen Regierungen gehandelt werden und über Rohstoffbörsen. Außerdem werden sie im freien Handel vertrieben. Auf diesen Direktverkauf haben sich die Unternehmen in der Schweiz spezialisiert. Ein wichtiger Grund: Hier gibt es genug vom wichtigsten Rohstoff für den Rohstoffhandel: Kapital.

Allein für eine Tankerladung Rohöl müssen je nach aktuellem Preis schnell mal 100 Millionen Dollar aufgebracht werden. Geld, dass Unternehmen nicht in der Portokasse haben. Die richtigen Finanzierungsinstrumente für solche Geschäfte wurden in der Schweiz entwickelt.

Häufig werden dabei sogenannte Akkreditive genutzt. Dabei gibt die Bank dem Händler einen Kredit und bekommt als Sicherheit ein Dokument, mit dem sie zum Inhaber der Ware wird. Sobald der Käufer die Rohstoffe bei der Bank bezahlt hat, wird ihm im Gegenzug dieses Dokument und damit der Besitz an den Rohstoffen übergeben. Dadurch hat der Händler einen großen Kreditrahmen, ohne auf Kreditwürdigkeit geprüft zu werden - und die Bank hat als Sicherheit den Warenwert.

Trotz UNO-Handelsembargo verkaufte der Schweizer Rohstoffhändler Marc Rich südafrikanisches Öl des geächteten Apartheidregimes. Völlig legal, denn die Schweiz hatte sich dem UNO-Boykott nicht angeschlossen. Damit legte der den Grundstein zum späteren Rohstoffhandelsriesen Glencore.Bild: Sigi Tischler/KEYSTONE/picture alliance

Kaum jemand weiß Genaues

Es handelt sich um einen sogenannten Transithandel, bei dem nur das Geld über die Schweiz fließt. Die gehandelten Rohstoffe berühren in der Regel nie Eidgenössischen Boden, sondern gehen vom Herkunftsland direkt ins Empfängerland. Entsprechend landen keine Informationen über den Umfang des Handels bei der Schweizer Zollverwaltung. Lediglich die Schweizerische Nationalbank veröffentlicht einige Daten, die aber den Rohstofffluss nicht genau erfassen. Damit ist nur eines klar: Alles ist unklar. 

"Der ganze Rohstoffhandel ist untererfasst und unterreguliert," sagt Elisabeth Bürgi Bonanomi von der Universität in Bern. "Sie müssen sich Daten ziemlich zusammensuchen, und nicht alle Informationen sind erhältlich." Wer kauft von wem welche Rohstoffe zu welchen Preisen - das bleibt somit im Dunkeln. Auch die Eigentümer der nicht börsennotierten Rohstoffhändler in der Schweiz sind meist nicht bekannt. Sie befinden sich, abgesehen von der börsennotierten Glencore, alle in privater Hand. "Da gibt es eine ganze Reihe von Firmen, die unter dem Radar der Behörden fliegen und deren eigentliche Nutznießer nicht bekannt sind, weil sie beispielsweise in undurchsichtigen Offshore-Holdings verwaltet werden", sagt Classen. Eine gute Investitionsmöglichkeit also auch für russische Oligarchen.

Ohne Regulierung laufen schmutzige Geschäfte leichter

Die mangelnde Regulierung ist für Rohstoffhändler sehr reizvoll - zumal viele Rohstoffe in nicht-demokratischen Ländern abgebaut werden. "Im Unterschied zum Finanzmarkt, wo Regeln bestehen zur Bekämpfung von Geldwäsche, zur Bekämpfung von illegalen oder illegitimen Finanzflüssen und eine Finanzmarktaufsichtsbehörde existiert, gibt es das für den Rohstoffhandel aktuell nicht", sagte David Mühlemann von Public Eye gegenüber der ARD.

"Es braucht eine Regulierung des Rohstoffhandels. Man braucht Transparenz über die Zahlungen von Rohstoffhändlern an Regierungen, insbesondere an autokratische Regime, die diese Gelder in ihre eigenen Taschen umleiten oder im schlimmsten Fall auch Kriege finanzieren", so Mühlemann. "Dabei geht es nicht nur um Russland."

Die Rohstoffhändler seien inzwischen auch häufig Kreditgeber für ganze Länder, erklärt Oliver Classen von Public Eye. So habe beispielsweise Glencore dem Tschad über eine Milliarde Dollar als Kreditlinie gegeben und dafür den Zugriff auf deren Rohöl-Vorkommen bekommen.

Seit langem fördern Großkonzerne im Tschad Erdöl. Die Milliardeninvestitionen wurden als Projekt zur Armutsbekämpfung verkauft. Beim Volk angekommen ist von dem Ölsegen aber wenig.Bild: Mahamat Ali

Reicht die Finanzmarktaufsicht?

"Obwohl der Schweizer Bundesrat das Problem anerkennt, vertraut er weiterhin auf eine indirekte Aufsicht der Rohstoffhändler durch die Banken selbst," heißt es bei Amnesty International. Diese seien jedoch nicht verpflichtet, sich dafür zu interessieren, mit wem ihre Kunden Geschäfte machen - wohin ihr Geld also letztendlich geht. "Der Regierung scheint das auszureichen. In ihren Augen besteht keine Notwendigkeit für ein Rohstoffgesetz oder eine spezielle Aufsichtsbehörde."

Die Nichtregierungsorganisation Public Eye fordert schon seit Jahren, dass in der Schweiz eine Rohstoffmarktaufsicht eingeführt werden müsse - eine unabhängige Behörde nach dem Vorbild der Finanzmarktaufsicht.

Vor Jahren hatten die Schweizer Grünen eine Regulierung des Rohstoffhandels angestoßen, die 2015 im Schweizer Parlament scheiterte. Nun wollen sie erneut vorschlagen, dass es eine entsprechende Regulierungsbehörde eingerichtet wird. 

Thomas Matterm, für die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Nationalrat, pocht dagegen auf die Neutralität der Schweiz und äußert sich gegen eine neue Aufsichtsbehörde: "Wir brauchen nicht noch mehr Regulierung, auch nicht im Rohstoffbereich."

Solange aber in der Politik diskutiert wird und andere westlichen Länder nicht den Handel mit Rohstoffen sanktionieren, so lange können Schweizer Rohstoffhändler weiter mit russischen Rohstoffen verdienen und Putins Kriegskasse auffüllen.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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