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Gehen oder bleiben - das Facebook-Dilemma

Arthur Sullivan bea
25. April 2018

Seit dem Datenskandal um Cambridge Analytica hat sich der Himmel über der Facebook-Zentrale verdunkelt. Doch nach den Quartalszahlen ist klar: Berichte über ein Ende des Netzwerks sind stark übertrieben.

USA Facebook-Chef Zuckerberg sagt vor Handelsausschuss des Repräsentantenhauses zu Skandal um Missbrauch von privaten Nutzerdaten aus
Bild: Reuters/A.-P. Bernstein

In den vergangenen Jahren waren die vierteljährlichen Performance-Updates von Facebook ziemlich vorhersehbar. Egal, ob es um Einnahmen oder Nutzerzahlen ging, die Kurven zeigten ständig aufwärts und erreichten astronomische Höhen. Es war ganz so, wie man es erwarten kann von einer Firma, die sich in nur 14 Jahren von einer Studenten-Idee zu einem Konzern mit 40 Milliarden Dollar (32,7 Milliarden Euro) Jahresumsatz entwickelt hat.

Auch nach dem Ausbruch des aktuellen Datenskandals präsentierte der Konzern in seinen ersten Quartalsergebnissen erneut kräftige Zuwächse. Der Umsatz stieg im ersten Quartal im Jahresvergleich um 49 Prozent auf 11,97 Milliarden Dollar. Der Gewinn sprang um 64 Prozent auf 4,99 Milliarden Dollar. Die Zahlen übertrafen die Erwartungen der Analysten. Ein starker Effekt des Datenskandals war ohnehin nicht zu erwarten - allein schon weil die Kontroverse um die Weitergabe von Nutzerdaten an die Firma Cambridge Analytica erst wenige Tage vor dem Ende des Quartals im März entbrannt war. Wenn es Auswirkungen gibt, würden sie erst im laufenden Vierteljahr richtig zur Geltung kommen.

Strikte Einstellungen für mehr Datenschutz

Einen weiteren Dämpfer für das Geschäft werde es durch die EU-Datenschutzverordnung geben, erklärte das Online-Netzwerk Facebook. Im laufenden Quartal werde die Zahl monatlich und täglich aktiver Nutzer in Europa voraussichtlich stagnieren oder leicht zurückgehen. Als Grund nannte das Unternehmen die Einführung der neuen Regeln am 25. Mai. Wenn viele Mitglieder die striktesten Einstellungen für mehr Datenschutz wählen, könne das auch negative Auswirkungen auf Facebooks Werbegeschäft haben, hieß es. 

Das erste Quartal 2018 war für den Social-Media-Giganten eine neue Erfahrung. Durch den Datenskandal um Cambridge Analytica sah sich das Unternehmen in einem bisher unbekannten Ausmaß öffentlicher Kritik ausgesetzt. Der Aktienkurs brach ein, Gründer und CEO Mark Zuckerberg musste sich vor dem US-Kongress erklären - eine surreale Veranstaltung, die online für viel Spott sorgte. Einige Anzeigenkunden hörten sogar auf, ihre Produkte auf Facebook zu bewerben.

Das Netzwerk mit zuletzt fast 2,2 Milliarden Nutzern - das sind 29 Prozent der Weltbevölkerung - musste sich plötzlich ganz existenzielle Fragen stellen. Würden sich Nutzer nun aus Sorge um ihre Daten in Scharen verabschieden, wie es die viel geteilten Aufrufe unter dem Hashtag #deletefacebook forderten? Würde das wiederum zum Rückzug der Werbetreibenden führen, denen Facebook 98 Prozent seiner Einnahmen verdankt? Unwahrscheinlich. Denn es gibt Grund zur Annahme, dass Zuckerberg und sein Team vorerst ganz beruhigt sein können.

Zuckerberg in Washington

Einige Firmen haben Konsequenzen gezogen, als bekannt wurde, dass sensible Nutzerdaten von fast 100 Millionen Facebook-Accounts einem Datenanalyse-Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden, das diese Daten dann für die Entwicklung einer Software zur Beeinflussung des Wählerverhaltens verwendete. Zu den bekanntesten Unternehmen, die daraufhin ihre Werbung auf Facebook einstellten, gehören die Internetfirma Mozilla, die deutsche Commerzbank und das US-Elektronikunternehmen Sonos. Facebook gab sich nach dem Skandal bußfertig und bemühte sich um Schadensbegrenzung. Das reichte von Zuckerbergs Auftritten in Washington bis zur Ankündigung, seine Nutzereinstellungen zur Privatsphäre zu überarbeiten.

Mark Zuckerberg am 11. April bei seiner Anhörung vor einem Kongress-Ausschuss in WashingtonBild: Reuters/L. Millis

"Wir werden deine Informationen niemals an irgendjemanden verkaufen", teilte Facebook seinen Nutzern Anfang April mit. "Wir haben strenge Regeln aufgestellt, wie unsere Partner Daten verwenden und veröffentlichen dürfen. Wir erläutern, wie wir Daten verwenden und warum diese notwendig sind."

Die Bemühungen haben bis zu einem gewissen Grad gefruchtet. Die Commerzbank schaltet inzwischen wieder Werbung auf Facebook. "Seitdem wir unsere Werbung vorübergehend ausgesetzt haben, führen wir mit Facebook eine faire und konstruktive Diskussion", sagt Uwe Hellmann, der bei der Bank für das Marketing verantwortlich ist, im DW-Gespräch. "Facebook hat uns zugesichert, Maßnahmen zu ergreifen, damit sich solche Vorkommnisse in Zukunft nicht wiederholen. Auf dieser Basis konnten wir unseren Werbestopp auf Facebook dann beenden."

Mozilla gehört zu den wenigen Firmen, die noch nicht wieder zu Facebook zurückgekehrt sind. "Wir warten noch ab, ob die Änderungen für Nutzer auch wirklich eine Verbesserung darstellen", so Mozillas Marketing-Chef Jascha Kaykas-Wolff zur DW.

Jascha Kaykas-Wolff von MozillaBild: Getty Images/AWXI/A. Toth

"Es macht einen Unterschied, ob man Nutzern nur mehr Kontrolle darüber gibt, welche personalisierte Werbung sie sehen - oder ob man schon die Grundeinstellungen so gestaltet, dass der Schutz der Privatsphäre gewährleistet ist. Entscheidend sind hier Unternehmensstrategie und -praxis, und wir werden das aufmerksam beobachten", so der Mozilla-Manager. "Aber wir sind noch nicht so weit, dass wir auf der Plattform wieder Anzeigen schalten."

"Du bist das Produkt"

Nachdem der Datenskandal publik wurde und die Facebook-Aktie abstürzte, dachten einige Unternehmen darüber nach, ob sie ihren Marken nicht "eine Pause" auf der berühmten blauen Plattform verordnen sollten. Ein massenhafter Werbeboykott blieb jedoch aus. Es gibt ein paar Firmen, die pro Jahr fast zehn Milliarden Dollar für Werbung ausgeben, darunter viele Millionen für Kampagnen auf Facebook. Der US-Konsumgüterkonzern Proctor & Gamble ist einer der größten Werbetreibenden der Welt. Gegenüber der DW wollte sich das Unternehmen zum Thema Facebook nicht äußern. Seine Werbeausgaben in dem Netzwerk hat das Unternehmen im vergangenen Jahr aber deutlich gekürzt, vor allem, weil es Zweifel an der Wirksamkeit dieser Online-Werbung gab.

Nestlé, der weltgrößte Nahrungs- und Getränkekonzern, gehört ebenfalls zu den Großen in der Werbewelt. Auch hier gab es Bedenken wegen Facebook und seinem Umgang mit Nutzerdaten, doch eine Werbepause blieb aus. "Wir haben einen konstruktiven Dialog begonnen", so ein Nestlé-Sprecher zur DW. "Wir haben Facebook gebeten, uns auf dem Laufenden zu halten über seinen Evaluierungsprozess und die Frage, wie dadurch mehr Transparenz für Nutzer entsteht."

"Außerdem überprüfen wir, wie Apps, Webseiten und Plattformen von Nestlé auf Facebook-Daten zugreifen und wie diese möglicherweise geändert werden müssen", so der Sprecher weiter. In den nächsten zwei Monaten werde sein Unternehmen die Änderung der Facebook-Richtlinien zum Datenschutz bewerten.

"Werbepausen" und kollektives Händeringen der Anzeigekunden - aus der Sicht von Facebook wirkt das wahrscheinlich eher wie eine milde Ermahnung als eine strenge Bestrafung. Daniel Kostyra ist Facebook-Spezialist bei der digitalen Marketingagentur Cocomore in Frankfurt und berät Unternehmen wie Nestlé bei Werbekampagnen auf der Plattform. Er habe bislang nicht feststellen können, dass sich die Einstellung seiner Kunden zu Facebook verändert habe, sagt er zur DW.

"Sie haben das angesprochen und nach unserer Meinung gefragt. Aber ihr Ausgabeverhalten haben sie bisher nicht geändert", so Kostyra. Facebooks Wert für Werbetreibende besteht vor allem in seiner Fähigkeit, durch Daten eine gezielte Werbung zu ermöglichen, sagt Kostyra. Die Nutzer hätten das durchaus verstanden und wissen: "Wenn Du nicht für ein Produkt bezahlst, bist Du selbst das Produkt." Anders gesagt: Ihre Daten sind das Produkt.

Es geht nicht mit, es geht nicht ohne

Werbetreibende werden sich also erst dann von Facebook abwenden, wenn normale Nutzer mit ihren Daten abwandern und das Netzwerk für Werber weniger attraktiv wird. Die Zahlen des ersten Quartals werden für mehr Klarheit sorgen, doch schon jetzt ist erkennbar, dass viele Nutzer im Jahr 2018 ausgestiegen sind.

Einer davon, Tony, ist 27 Jahre alt und arbeitet für eine gemeinnützige Organisation in Berlin. Seinen Account hat er zwei Wochen vor Bekanntwerden des Datenskandals deaktiviert, also "bevor das cool wurde", wie er sagt. Zwar war dabei sein geändertes Nutzungsverhalten wichtiger als die Sorge um seine Daten. Doch auch bei Freunden hat er Veränderungen festgestellt. "Sie alle sehen jetzt auch, dass ihre Daten böswillig genutzt werden können", sagte er.

Und doch sind es relativ wenige, die Facebook in den vergangenen Monaten verlassen haben. Hunderte Millionen, vielleicht sogar Milliarden, sind vorerst bereit zu bleiben. Nadja, eine in Berlin tätige Account-Managerin, nutzt Facebook seit mehr als einem Jahrzehnt, um mit entfernt lebenden Freunden und Verwandten in Kontakt zu bleiben. Sie genießt es immer noch, Facebook zu nutzen, auch wenn sie sich durch die zunehmende Werbung etwas gestört fühlt. Der Datenskandal hat sie verstimmt, aber nicht so sehr, dass sie Facebook deswegen verlassen würde.

"Wenn ich gehe, könnte ich mit vielen Leuten, die auf Facebook bleiben, nicht mehr den Kontakt halten", sagt sie. "Jeder müsste gehen und woanders hinwechseln. Mich hat das bisher davon abgehalten." Es ist diese Art der Unentschlossenheit, die Facebook dabei helfen könnte, den derzeitigen Sturm zu überstehen - selbst wenn es dabei den ein oder anderen Nutzer verlieren sollte.

Facebook – Das unsoziale Netzwerk?

42:30

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