Boualem Sansal
16. Oktober 2011Auf 25.000 Euro beläuft sich das Preisgeld. Noch mehr wert ist allerdings die Ehre und Aufmerksamkeit, die jeder erfährt, der mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird. Das belegen nicht zuletzt die Publikationen in der internationalen Presse. Die französischen Medien, erzählt der algerische Schriftsteller Boualem Sansal, hätten sich schier überschlagen, als bekannt wurde, dass er, der leidenschaftliche und unbeugsame Erzähler, der diesjährige Preisträger ist. In seiner Heimat waren die Reaktionen allerdings höchst bescheiden.
Anfang Juni, kurz nachdem bekannt worden war, dass Sansal der diesjährige Preisträger ist, erschien in einer französischsprachigen Zeitung in Algerien eine knappe zweizeilige Meldung. In der ebenfalls französischsprachigen Zeitung "Liberté", einem wichtigen laizistischen Blatt, erschien laut Sansal ein längerer Artikel. Der Autor sei freilich kein Journalist gewesen. Und er habe den Preis nur am Rande erwähnt. Ansonsten: Schweigen.
Schreiben, um sich zu vergewissern
Mit Schweigen und Missachtung begegnet man Boualem Sansal in Algerien offiziell, seit seine literarische Karriere begann. Das war 1999, da war Sansal bereits 50 Jahre alt und hatte sich als Manager und Spitzenbeamter längst einen Namen gemacht. Maschinenbau und Ökonomie hatte der 1949 in einem kleinen Dorf geborene sympathische Mann studiert. Er hatte in der freien Wirtschaft gearbeitet, war Berater des algerischen Handelsministeriums und wurde 1996 schließlich Generaldirektor im Ministerium für Industrie und Umstrukturierung.
Zu dieser Zeit wütete im Land noch ein Bürgerkrieg, der 200.000 Menschen das Leben kostete. Die Arabisierung Algeriens hatte längst begonnen, Folter und Hinrichtungen gehörten zur gängigen Praxis der Geheimdienste und Sicherheitskräfte. Um zu verstehen, was vor sich ging, begann Boualem Sansal damals zu schreiben. Aus seinen umfangreichen Notizen und Reflektionen entstand ein erstes Manuskript, 1999 erschien "Der Schwur der Barbaren" dann in dem renommierten Pariser Verlag Gallimard. Unter Sansals Namen und nicht, wie von Gallimard empfohlen, unter Pseudonym.
Ein Schriftsteller, der Tabus bricht
Den deutschen Lesern ist Sansal 2009 mit seinem Roman "Das Dorf des Deutschen" bekannt geworden, in dem er die Geschichte eines deutschen Nazis erzählt, der nach dem Krieg in der algerischen Befreiungsarmee untertaucht - sozusagen der erste arabische Roman über den Holocaust, der auch heute noch ein Tabuthema in Algerien ist. Das Buch, das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde und neben Französisch und Deutsch auch in anderen Sprachen erschien, kam in seiner Heimat auf die rote Liste.
Standhafter Kritiker
Wer sich engagiert, darf sich nicht verbergen, davon ist Sansal überzeugt. Andernfalls sei man nicht glaubwürdig. Man könnte behaupten, das sei einer vom Geheimdienst. Oder jemand, der manipuliert worden ist. Und dann könnte eine Legende entstehen. "Deswegen habe ich dann Gallimard gesagt, ich veröffentliche dieses Buch unter meinem Namen. Wir werden sehen, was passiert. Und wir werden damit umgehen."
Das Buch, eine entlarvende Parabel auf die algerische Gesellschaft, wurde mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet. Boualem Sansal aber, der scharfe Kritiker des arabischen Nationalismus und des muslimischen Fundamentalismus, wurde 2003 als Generaldirektor im Ministerium entlassen. Dennoch ist er in Algerien geblieben. Im Gegensatz zu den meisten kritischen Intellektuellen, die überwiegend in Frankreich leben, hat er das Land bis heute nicht verlassen.
Einer, der Namen nennt
Das Engagement der Exilanten und sein eigenes seien nicht vergleichbar, sagt Boualem Sansal. Auch, wenn sie die dieselben Dinge kritisieren. Also das System. Aber all jene, die nicht mehr in Algerien leben, machten das auf eine elliptische Weise, unvollständig und sehr allgemein. "Ich dagegen will mich wirklich engagieren, sonst lohnt es sich nicht. Deswegen nenne ich in meinen Romanen die Namen der Leute. Wenn ich den Präsidenten Bouteflika erwähne, dann sage ich auch 'Präsident Bouteflika' und nicht 'der Präsident'."
Freie Worte
In seiner Streitschrift "Postlagernd: Algier", erschienen 2006, fordert Sansal für sein Land eine wahrhafte Demokratie, in der die Vision einer aufgeklärten Weltbevölkerung Gestalt annehmen könnte. Seitdem sind seine Werke in Algerien verboten. Der demokratische Übergang dauere in Algerien seit den Tumulten vom Oktober 1988 an, hat Boualem Sansal im Februar dieses Jahres geschrieben. Seither habe sich das System bestens konsolidiert. Man habe eine hübsche Ablösung gefunden, so Sansal. Bouteflika gelte als der beste Diktator und Gott in Algerien. Und auch in Tunesien und Ägypten wolle man nur bessere Diktatoren, die mit den Protesten Schluss machten und den Menschen vorgaukelten, dass die Maskerade ein gelungener demokratischer Übergang sei.
Es reiche nicht, den Diktator zu vertreiben, um zur Demokratie zu gelangen, sagt Sansal. Man müsse das komplette System verändern. "Unter anderem die Frage des Islam, die Frage der Frau sind wichtige Fragen, die man mit Mut stellen muss. Aber man kann das nicht machen. Denn wenn man ein Wort über den Islam sagt, wird man ermordet."
Politischer Visionär
Boualem Sansal ist ein furchtloser Mann und stellt all die Fragen, die man nicht stellen darf. Er fordert eine zeitgemäße Auslegung des Islam und wünscht sich in Algerien, Tunesien, Ägypten furchtlose Menschen, die beim Aufbau wirklicher Demokratien helfen. Unterstützt von einer westlichen Welt, die sich ihrerseits von den Lügen ihrer Regierungen befreien muss - von demokratisch gewählten Staatschefs nämlich, die Diktaturen unterstützen.
Am Sonntag (16.10.2011) wurde Boualem Sansal in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. In seiner Dankesrede sagte der 62-Jährige, er empfinde die Auszeichnung als rührende und aufmunternde Geste. Sie zeuge von dem Interesse für die von Diktaturen unterjochten Völker.
Autorin: Silke Bartlick/gs
Redaktion: Gabriela Schaaf/Ursula Kissel