Gekommen, um zu bleiben: Pythons bedrohen die Everglades
11. Juli 2018Ich sitze in einem Café in Davie, Florida und warte auf Ian Bartoszek. Er sorgt für viel Wirbel, als er die Tür aufstößt. In den Händen hält der Biologe ein Tablett mit etwas, das wie Gebäck aus Brandteig aussieht. Einige Stammkunden kommen zu uns herüber. Sie fragen, was Bartoszek da mitgebracht hat, ob das Kartoffeln seien.
"Das sind die Eier einer Tigerpython", antwortet er. "Gerade jetzt sitzen da draußen viele weibliche Pythons, die wir nicht gefangen haben, auf Nestern wie diesem hier und bald wird der Nachwuchs schlüpfen."
Das Gelege besteht aus 40 Eiern. Sie sind vertrocknet, keine Schlange wird daraus schlüpfen. Trotzdem verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Und genau darum geht es dem Biologen in Diensten des Conservancy of Southwest Florida. Er tut alles, was in seiner Macht steht, um den Menschen hier klar zu machen, welches Chaos diese Tiere verursachen.
Die Everglades in Florida kennt man überall auf der Welt als Sumpflandschaft, über die Propellerboote brausen und in deren Flachwasser Alligatoren lauern. Doch diese rücken immer mehr in den Hintergrund. Die Macht in den Everglades haben inzwischen die Tigerpythons übernommen. Die ersten Schlangen tauchten in den 1970er Jahren in den Sümpfen auf. Eigentlich in Süd- und Südostasien heimisch, wurden sie von verantwortungslosen Züchtern ausgesetzt und vermehrten sich prächtig.
Sie fressen sich den Weg an die Spitze frei
Das subtropische Klima der Everglades passt ihnen gut. Hier finden sie die idealen Temperaturen, wehrlose Beute gibt es reichlich. Man schätzt, dass heute mehr als 150.000 der invasiven Art in Florida leben.
Und nicht nur die Zahl ist gewaltig, auch das Tier selbst ist, einmal ausgewachsen, kaum zu übersehen. Bis zu sieben Meter lang wird es und mehr als 110 Kilogramm schwer. Wählerisch sind die Schlangen auch nicht. Nach und nach haben sie sich durch die heimische Fauna gefressen, haben Waschbären verschlungen, Füchse, Marschkaninchen und Vögel.
Mehr zum Thema: Profit oder Wildnis: Sind die Everglades noch zu retten?
"Wir haben festgestellt, dass die Zahl der Pelztiere um 99 Prozent abgenommen hat", sagt Michael Kirkland, Biologe beim South Florida Water Management District (SFWMD). "Sie sind jetzt auf der Jagd nach Watvögeln und sogar gelegentlich nach Alligatoren."
Wenn sich die Schlangen auf Kleinsäugetiere stürzen, hat das direkte Auswirkungen auf die Nahrungskette. Alligatoren und der bereits bedrohte Florida-Panther verlieren ihre Hauptnahrungsquellen.
"Die Pythons haben ihre Beute in Miami-Dade County, im Everglades-Nationalpark und in den umliegenden Gebieten vernichtet. Nun vermuten wir, dass sie ihre Gebiete sowohl im Westen als auch im Norden erweitern werden", sagt Kirkland.
Jagd in der Nacht
Dem Ökosystem der Everglades geht es insgesamt schon nicht besonders gut. Durch Landwirtschaft und sich ausbreitende Städte hat es bereits die Hälfte seiner ursprünglichen Größe eingebüßt. Und nun schicken sich die Schlangen an, dem Gebiet noch weiter zuzusetzen.
"Nichtstun ist keine Option", sagt Kirkland. Um die verbleibenden Wildtiere zu schützen, gibt es deshalb seit dem vergangenen Jahr ein Python-Jagdprogramm, für das der SFWMD eine Gruppe von Jägern ausgewählt hat.
Kürzlich ist das Programm ausgeweitet worden. Auch der Everglades-Nationalpark beteiligt sich an der Aktion, rekrutiert Jäger und erlaubt den Einsatz von Schrotflinten. Gerade wurde die 1.100. Schlange erlegt. "Ich glaube", so Kirkland", "dass der Park wirklich das Epizentrum der Python-Invasion ist."
Die Everglades sind ein rauer Lebensraum. Weitreichende Gewässer gibt es, die sich langsam bewegen, ein erstaunlich variantenreiches Gelände und heftige Unterschiede zwischen den Jahreszeiten. Die schwüle Hitze drückt, Fliegen beißen, das Seegras ist rasiermesserscharf, es gibt sogar giftige Bäume. Ein Spaziergang ist es nicht, hier als Jäger unterwegs zu sein.
Manchmal sind die Schlangenfänger sieben Tage am Stück und 12 Stunden am Tag unterwegs, ohne eine einzige Schlange zu finden. Ausdauer ist gefragt. Und Ausdauer ist etwas, das die 'Swamp Apes' haben. Die Gruppe, die zu den lizenzierten Jägern gehört, setzt sich vor allem aus ehemaligen Veteranen zusammen, die sich dem Kampf gegen invasive Arten verschrieben haben. 500 Pythons haben sie inzwischen erlegt. Ihr Gründer heißt Thomas Rahill.
Sobald die Sonne untergeht, machen sie sich auf in der undurchdringlichen Dunkelheit. Auf dem Dach von Rahills Wagen thront ein Scheinwerfer. Damit leuchtet der Ex-Soldat die Deiche ab, auf denen die Schlangen aufkreuzen könnten, denn oben auf den Deichen ist ein perfekter Platz für die kaltblütigen Reptilien, um Wärme zu tanken. Pythons können nicht selbstständig ihre Körpertemperatur regulieren, sie brauchen externe Quellen, wie Sonnenlicht oder warme Felsen. Genau das sind die Orte, an den die 'Swamp Apes' die meisten Schlangen gefangen haben, so Rahill, vor allem in der Nacht.
Sie laufen auch seitlich an den Deichen entlang und stochern in jedes Loch, das sie finden können. Um Pythonnester aufzuspüren, verwenden sie eine Endoskopie-Kamera. Jedes der Löcher decken sie mit trockenem Gras ab, um später wiederzukommen und zu überprüfen, ob es Veränderungen gab. Außerdem fährt Rahills Team auf Baum bewachsene Inseln und durchkämmt dort den Wald.
Das Über-Raubtier
Man muss die Schlangen verstehen, erklärt mir der Biologe Ian Bartoszek im Café. Die Wissenschaftler von Conservancy of Southwest Florida haben dazu männliche Schlangen mit Sendern ausgestattet und die Tiere erfolgreich überwacht.
Das Gebiet, auf dem die Schlangen aktiv sind, hat sich in den letzten fünf Jahren signifikant vergrößert. Das Forschungsgebiet erstreckt sich inzwischen auf einer Fläche von 129,5 Quadratkilometern. Im Februar dieses Jahres führte eine Schlange mit Sender, die sie "Argo" nannten, die Forscher zu einem 45 Kilogramm schweren Weibchen. Drei Tage später wurde Argo wieder freigelassen und zu weiteren sieben Schlangen verfolgt, darunter auch ein weibliches Exemplar mit 52 Kilogramm Gewicht.
In den vier Jahren, die das Schlangen-Tracking läuft, haben die Forscher 4.536 Kilogramm Python-Biomasse aus ihrem Forschungsgebiet entfernt.
"Wir wollen die Zuchtgruppen auflösen. Wir suchen sozusagen nicht die Straßenhändler, sondern die Großhändler", sagt Bartoszek. Inzwischen sind 20 männliche Schlangen unter Aufsicht der Forscher unterwegs. Andere Wissenschaftler versuchen Python-Pheromone zu synthetisieren, um eine größere Anzahl der Reptilien aufzuspüren.
"Ich habe das Gefühl, dass wir in einigen wichtigen Punkten Fortschritte machen", sagt Bartoszek.
Tigerpythons stellen inzwischen auch eine Bedrohung für die Alligatoren dar, die ehemaligen Herrscher der Everglades. Erst vor Kurzem rettete Mike Kimmel, ein Jäger der SFWMD, einen 120 Zentimeter langen Alligator aus dem Würgegriff einer drei Meter langen Python.
"Zweifellos sind Pythons heute die wichtigsten Jäger hier", sagt Mike Kirkland. "Große Python oder großer Alligator, diesen Kampf könnte jeder der beiden gewinnen. Allerdings ist der Alligator das einzige heimische Tier hier unten, das möglicherweise gewinnen könnte."
Einfach wird das allerdings nicht. Anfang des Jahres entdeckten Biologen vom Collier-Seminole State Park, einem Schutzgebiet an der Südwestküste Floridas, einen Weißwedelhirsch im Maul einer 3,35 Meter langen, weiblichen Python.
"Die Schlange wog etwa 14 Kilogramm. Sie war gerade dabei, ein Tier von knapp 16 Kilogramm zu verschlingen, das entspricht 111 Prozent ihres eigenen Körpergewichts", sagt Bartoszek.
Bislang ist das der drastischste Größenunterschied zwischen Jäger und Beute, der bekannt ist. "Ich hielt das Tier in meinen Händen und betrachte seinen relativ kleinen Kiefer. Das war der Wendepunkt. Ich wusste damals, mit welcher Bestie wir es zu tun haben und wozu sie fähig ist."