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Politik

Gelbwesten inspirieren Proteste in Nahost

Kersten Knipp | Emad Hassan
12. Dezember 2018

Frankreichs Protestbewegung wird in der arabischen Welt genau beobachtet. In einigen Ländern haben sich junge Menschen zu ähnlichen Kundgebungen motivieren lassen. Die Regierungen der Region sind nervös.

Irak Basra Gelbwesten Protest
Paris? Marseille? Lyon? Nein, das ist Basra im Südirak am 4. Dezember 2018Bild: picture-alliance/AP Photo/N. al-Jurani

Gelbe Westen streng verboten. Man darf sie nicht tragen und erst recht nicht verkaufen. Denn Gelb, das ist auch in Ägypten seit einigen Tagen die Farbe von Protest, Einspruch, Aufstand. Die Bewegung der "gilets jaunes", der "Gelbwesten", deren Mitglieder sich in Frankreich den Steuererhöhungsplänen von Präsident Macron entgegenstellen, könnte auch die Ägypter in Protestlaune versetzen.

Das jedenfalls fürchten die Behörden des nordafrikanischen Landes, die vorsorglich ihre Polizisten in die Straßen entsandt haben - auch wenn sie vorerst nur Station bei jenen Unternehmern machen, die ihr Geld mit dem Verkauf von Berufskleidung verdienen, nicht zuletzt mit dem von gelben Sicherheitswesten, die auch in Ägypten bei gefährlichen Arbeiten, insbesondere im Straßenverkehr getragen werden.

Polizisten hätten sie aufgefordert, keine gelben Westen mehr zu verkaufen, berichteten Anfang der Woche Verkäufer aus Kairo und Alexandria dem Nachrichtensender Al-Jazeera. "Als wir fragten, warum, antworteten sie, das seien die Befehle." Ein anderer Verkäufer erklärte, die Regierung befürchte offenbar eine Wiederbelebung der Proteste von 2011, inspiriert durch die Szenen aus Frankreich.

In Ägypten werden Erinnerungen an den "Arabischen Frühling" wach: Szene aus Kairo 2011Bild: picture alliance/dpa

"Frankreich hat sich verändert"

In der arabischen Presse werden die Proteste der französischen Gelbwesten aufmerksam beobachtet. Zwar beschränkten sich die Anhänger auf soziale Forderungen, heißt es in der in London erscheinenden "Al-Araby al-jadeed". Die eher liberale Zeitung gibt ihre Sympathie für die Demonstranten deutlich zu erkennen, stellt aber angesichts der Wucht der Proteste fest: "Frankreich hat sich verändert, und der Rest Europas könnte folgen."

Den Aufruhr im eigenen Land fürchten die ägyptischen, dem Staat unterstehenden Zeitungen und kommentieren die Proteste in Frankreich kritisch. Sie seien von "verborgenen Händen" angezettelt worden, heißt es etwa in der Zeitung Al-Ahram. Die Botschaft ist klar: Wie derzeit in Frankreich seien auch die Aufstände in Ägypten von 2011 das Werk fremder Saboteure gewesen. Die Legitimität der damaligen Aufstände, so die unausgesprochene Schlussfolgerung, sei daher zweifelhaft.

Soziale Anliegen mit politischer Sprengkraft

Die ägyptischen Behörden seien vor allem aus einem Grund über die Proteste in Frankreich alarmiert, sagt der ägyptische Politikwissenschaftler Ammar Ali Hassan im Gespräch mit der DW: Beide Bewegungen - die der Gelbenwesten in Frankreich wie die des Jahres 2011 in Ägypten - seien außerhalb der traditionellen politischen Organisationen entstanden. Ali Hassan sieht weitere Parallelen: "Beide haben keine feste identifizierbare Führungsspitze. Und beide stellten erst soziale und politische Forderungen, um dann immer weitergehende Forderungen zu erheben, etwa die nach dem Rücktritt der Präsidenten: Mubarak 2011 und Macron 2018." Beide hätten zunächst friedlich begonnen, seien dann aber gewalttätig geworden.

Gegen Steuererhöhungen: Protest in Amman, 6. Dezember 2018Bild: picture-alliance/AA/L. Joneidi

Umgekehrt füllen sich zumindest einige der französischen Demonstranten ihrerseits an das arabische Protestjahr 2011 erinnert. "Das Volk will den Sturz der Regierung", ist auf Arabisch auf einem Graffiti an einer Hauswand in Paris zu lesen. Hinter dieser Parole versammelten sich 2011 die Demonstranten in verschiedenen arabischen Ländern.

Die Rolle der Muslimbrüder

Die ägyptische Zeitung "Al-Masry al-youm" geht noch einen Schritt weiter: Sie vermutet die Bewegung der Muslimbrüder, die in Ägypten als Terroristen gelten, hinter den französischen Protesten. Die Muslimbrüder, so das Blatt, wollten einen "europäischen Frühling" anzetteln, ganz nach Art des "Arabischen Frühlings" 2011.

Tatsächlich seien die Muslimbrüder nicht untätig geblieben, sagt Politologe Ali Hassan: "Sie haben versucht, die Ägypter durch die französischen Demonstrationen zu Protesten in Ägypten zu inspirieren." Dabei hätten sie sich vor allem auf die steigenden Preise konzentriert.

Der Versuch blieb zwar erfolglos. Aber er zeigt, wie eng soziale und politische Anliegen im Zweifel einander verbunden sind. Soziale Forderungen, hat sich im Jahr 2011 gezeigt, können sich unter der Hand rasch in eine radikale politische Agenda verwandeln.

Proteste in Tunesien, Jordanien und im Irak

Diesen Schritt haben Demonstranten in Tunesien bereits getan. Nicht in gelbe, wohl aber in rote Jacken gekleidet haben sie für Mitte dieser Woche zu einer Kundgebung in Tunis aufgerufen. Der Unmut richtet sich auch dort gegen die hohen Lebenskosten - allerdings nicht nur. Die Demonstranten wenden sich auch Arbeitslosigkeit, Korruption sowie die Ineffizienz der Behörden: "Wir sind eine Gruppe junger Tunesier, die sich gegen mangelnde Glaubwürdigkeit und die Ideenlosigkeit der politischen Klasse wenden", erklärt ein junger Demonstrant dem Sender "Sky News Arabyia".

Tunesische Protestkultur: eine Demonstration gegen den Besuch des saudischen Kronprinzen im November 2018Bild: Reuters/Z. Souissi

Auch im südirakischen Basra, seit Monaten Schauplatz immer wieder aufflammender Sozialproteste, ziehen sich die Demonstranten seit einigen Tagen gelbe Westen über. Wie die Tunesier wenden auch sie sich gegen Korruption und die Verschlechterung städtischer Dienstleistungen und fordern mehr Arbeitsmöglichkeiten. Auch in Jordanien kam es bereits zu Protestkundgebungen.

Die Forderungen der arabischen Demonstranten mögen denen der französischen ähneln, räumt Politologe Ali Hassan ein. Die staatlichen Reaktionen unterschieden sich aber gründlich: "Trotz aller Gewalt, die die französische Polizei einsetze, wurde dort nicht geschossen. Auch wurden keine Demonstranten getötet. Verhaftete wurden bald wieder freigelassen, niemand wurde ohne Verfahren länger festgehalten, niemand sitzt ohne Urteil über Monate oder Jahre im Gefängnis." Auch habe die französische Regierung rasch das Gespräch mit den Demonstranten gesucht. "Die arabischen Regierungen hingegen zeigten sich arrogant und brutal."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika