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Politik

Bekämpfung von Fluchtursachen: Geld allein reicht nicht

Haluka Maier-Borst
15. Februar 2018

Lassen sich Fluchtursachen mit Geld bekämpfen? Eine Datenrecherche der Deutschen Welle zeigt, dass das funktionieren könnte. Doch die großen Fluchtbewegungen wird Entwicklungshilfe allein nicht stoppen können.

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Die neue Willkommenskultur des Westens währte nicht lange. Noch 2015 gingen Bilder um die Welt, wie Deutsche euphorisch Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof empfingen. Das TIME Magazine kürte Angela Merkel zur Person des Jahres wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Und auch andere Länder Europas öffneten ihre Grenzen für die Bedürftigen, die hier Hoffnung auf ein sicheres Leben sahen.

Zwei Jahre später ist vieles anders. Zuwanderungskritische Parteien wie die Alternative für Deutschland oder auch der Front National sind in Europa auf dem Vormarsch. Und selbst gemäßigte Politiker wollen die Zuwanderung verringern, denn der Westen könne nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen, so das Argument. Die Strategie der Europäischen Union: Das Bekämpfen von Fluchtursachen - unter anderem mit finanziellen Mitteln. Seit 2015 - dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in Europa - hat die EU 3,2 Milliarden Euro im Rahmen des "EU Nothilfe Treuhandfond für Afrika" bereitgestellt, um gegen die Ursachen "irregulärer Migration" vorzugehen. Kann das tatsächlich funktionieren? Vorsichtig gesagt: ja.

Die Deutsche Welle hat OECD-Daten für alle Entwicklungsländer für die vergangenen zwanzig Jahre ausgewertet. Dabei haben wir statistisch analysiert, welche Entwicklungsländer wie viel finanzielle Hilfen bekamen - und wie viele Menschen aus diesen Ländern ausgewandert sind. Es zeigt sich: Ein Mehr an Geld in Entwicklungsländern könnte tatsächlich verhindern, dass der Anteil an Auswanderern wächst und ihn vielleicht sogar langfristig senken.

Speziell für Ostafrika, Westafrika und die Karibik lässt sich feststellen, dass wenn mehr Entwicklungshilfe ins Land floss, weniger Leute ihre Heimat verließen. Der Ökonom Rainer Thiele vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, auf dessen Methodik die Analyse der DW basiert, sagt: "Wenn Entwicklungshilfe langfristig und richtig angelegt ist, kann sie Leuten helfen, in ihrer Heimat zu bleiben und dort etwas aufzubauen." Grundsätzlich gelte aber, dass Entwicklungshilfe zwei entgegengesetzte mögliche Auswirkungen hat. 

Jeder Punkt steht für den Drei-Jahres-Durchschnitt an Entwicklungshilfe, den ein ostafrikanisches Land erhalten hat, und die Auswanderung, die dieses Land pro Jahr zu verzeichnen hat. Dabei zeigt, dass je höher die Entwicklungshilfe ausfällt, desto geringer ist die Auswanderung. Die orange Linie zeigt den gemeinsamen Trend aller Punkte an.

Sorgt die Entwicklungshilfe nur dafür, dass die Menschen in dem Land ein höheres Einkommen haben, so kurbelt sie die Auswanderung sogar an. Grund dafür ist, dass es sich auf einmal mehr Leute leisten können auszuwandern. Erst wenn das Einkommen sich dem  Niveau der Industrieländer annähert, kehrt sich dieser Trend um. Mehr Leute bleiben in der Heimat oder Auswanderer kehren zurück. Ökonomen nennen dieses Phänomen den "Migration-Hump", den Migrations-Hügel, weil mit steigendem Einkommen zunächst erst die Auswanderung steigt und erst später abnimmt.

Positivbeispiel Äthiopien: Gezielte Investitionen sind essentiell

Aber es gibt eben noch eine andere Form der Entwicklungshilfe, die vor allem in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Statt das Geld einfach breit zu streuen, wird es vor allem in soziale Dienstleistungen investiert. Und dort kann es tatsächlich auch schon kurzfristig den Drang auszuwandern verringern, sagt Thiele. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass Krankenhäuser mehr Röntgengeräte und Betten bekommen oder Schulen sich über mehr Bücher und Lehrer freuen dürfen.

Ein Positivbeispiel für eine solche erfolgreiche Entwicklungspolitik ist etwa Äthiopien. Mit umgerechnet rund 830 Millionen Euro (987 Millionen US-Dollar) ist Äthiopien das afrikanische Land, das 2015 am meisten Entwicklungshilfegelder von EU-Ländern und -Institutionen erhalten hat. Laut Thiele sei dort massiv in den sozialen Sektor investiert worden, um die medizinische Versorgung und Bildung zu verbessern. Außerdem gehe man entschlossen gegen Korruption vor. Die Folge: Dem Land geht es besser, die Menschen sehen eine langfristige Perspektive und so sinkt nach und nach die Auswanderung.

Das genaue Gegenteil ist für das Nachbarland Eritrea der Fall. Seit Mitte der 2000er ist die Entwicklungshilfe beständig gesunken. Und das scheint die vorhandenen Probleme verschärft zu haben. Schon länger bezeichnen Experten das Land als rechtsfrei und kritisieren, dass der Staat die Bürger quasi zu unbegrenztem Wehrdienst zwingt. Manche Schätzungen gehen inzwischen davon aus, dass als Folge daraus bis zu drei Prozent der Bevölkerung auf der Flucht sind, eben weil sie keine Perspektive mehr in Eritrea sehen. Allein im Jahr 2015 stellten rund 33.000 Eritreer Antrag auf Asyl in der EU - damit ist das Land Spitzenreiter in ganz Afrika.

Der Ökonom Axel Dreher von der Universität Heidelberg sieht die Studie von Thiele und die Analyse der DW allerdings mit Skepsis. Er selbst hat in einer bislang unveröffentlichten Untersuchung sich angeschaut, welchen Effekt Entwicklungshilfe auf die Flüchtlings- und eben nicht die Migrationszahlen hat. Sein Fazit: In den ersten Jahren würde Entwicklungshilfe eher noch die Flucht befeuern. Erst wesentlich später - mit einer Verzögerung von mehr als zehn Jahren - könne man sehen, dass die Flüchtlingszahlen zurückgehen. Dreher sagt: "Ich glaube nicht, dass binnen drei Jahren Entwicklungshilfe tatsächlich die Auswanderung verringern kann."
 
Und tatsächlich zeigt sich in den Daten der DW vor allem ein Muster besonders häufig: Das Wegbrechen von Entwicklungshilfe geht oft mit einem rapiden Anstieg der Auswanderung einher. Dass ein Mehr an Geld aber auch die Auswanderung senkt, ist nur vereinzelt zu beobachten - wie eben in Äthiopien. Thieles Erklärung dafür: "Es kommt bei Migrationsmustern stark auf bereits vorhandene Migrantennetzwerke an. Für die Ersten ist das Auswandern noch schwer. Wenn aber zum Beispiel schon eine große Community von Eritreern in Deutschland lebt, dann ist es einfacher für andere ihnen zu folgen." Entwicklungshilfe kann demnach also vor allem vorbeugend wirken. Ist der Auswanderer-Strom allerdings erst einmal in Gang gekommen, dauert es wesentlich länger, bis er wieder abebbt und Entwicklungshilfe kann nur bedingt helfen.

Frühzeitig Maßnahmen ergreifen

Zudem gibt es noch einen weiteren Haken. Wer sich anschaut, aus welchen Ländern derzeit die meisten Leute in OECD-Länder auswandern, dem fällt schnell eins auf: Viele davon sind Kriegs- und Krisengebiete wie Syrien, Irak, Afghanistan oder auch die Ukraine. "In solchen Regionen geht es natürlich nicht mehr um die finanzielle Situation, sondern um das nackte Überleben", sagt Thiele. Und auch in den übrigen Ländern der Top 10, in denen kein Krieg herrscht - so wie Vietnam, Philippinen und Indien - zeigt sich, dass ein Mehr an Geld nicht notwendigerweise mit einer Abnahme der Auswanderung einhergeht. 

Am Ende kann also ein Mehr an Entwicklungshilfe nur in geringem Maße die Ströme der Völkerwanderung reduzieren. "Andere Faktoren sind wesentlich größer", sagt Thiele. In einem sind er und Dreher sich darum einig: Dass in Zukunft viel früher in Krisensituationen reagiert werden muss. Der Westen sollte schon eingreifen, wenn in den Nachbarländern von Krisengebieten die Flüchtlinge ankommen. "Man darf nicht erst etwas tun, wenn die Bedürftigen schon vor der eigenen Haustür stehen", sagt Dreher.

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