Nationale Alleingänge
1. Juli 2011Die wenigsten Politiker sind ausgebildete Finanzwissenschaftler. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht. Die promovierte Physikerin macht daraus allerdings auch gar keinen Hehl. "Ich werde nie vergessen, wie mir der heutige Bundesbankpräsident im Sommer 2007 während meines Urlaubs eine SMS schickte und mitteilte, dass die IKB in Schwierigkeiten sei. Die kannte ich nicht. Die Mittelstandsbank war nie auffällig geworden. Das war mein Einstieg in eine völlig neuartige Beschäftigung."
Mittlerweile kann sich kein Politiker mehr Wissenslücken in der Finanzpolitik erlauben. Angesichts von drohenden Staatsbankrotten ist die Milliarde zur vermeintlich kleinstmöglichen Währungseinheit in der Politik geworden. Regierungspolitiker und Abgeordnete sehen sich vor die Aufgabe gestellt, die Finanzmärkte so zu regulieren, dass sich die Krise nicht wiederholen kann. Doch was genau muss getan werden? Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist entscheidend, die Banken widerstandsfähiger, das heißt, auch in Krisen zahlungsfähig zu machen. Wer Chancen auf Gewinne habe, solle auch mit eigenen Mitteln für die Risiken haften. "Aber auch da halten wir Maß. Wir achten darauf, dass der Finanzsektor weiter Kredite an die Realwirtschaft geben kann."
Viel aufgebürdet
Dass die Politik Maß hält, diese Einschätzung teilen die meisten Bankmanager nicht. Ihnen gehen die Regulierungsbemühungen bereits viel zu weit. "Deutschland packt seinen Banken besonders viel auf", meint Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank. "Es ist einseitig vorgeprescht und schwächt damit nicht nur den eigenen Finanzplatz, sondern auch tendenziell die Dynamik seiner so erfolgreichen Industrie." Sein Institut kann er damit nicht gemeint haben: Für das laufende Jahr peilt Ackermann einen Gewinn von zehn Milliarden Euro an.
Es scheint, als hätten die Banken vergessen, dass dem Finanzsektor in den vergangenen drei Jahren EU-weit mit 4,6 Billionen Euro unter die Arme gegriffen wurde. Die EU-Staaten haben ihre Verschuldung durch die Finanzierung von Rettungs- und Konjunkturprogrammen auf mehr als 83 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigern müssen. Ackermann rechnet vor, dass durch die geplante Bankenabgabe mit der ein Fonds zur Refinanzierung der Banken in einem erneuten Krisenfall gefüllt werden soll, die höhere Einlagensicherung und andere Belastungen allein auf seine Bank Mehrkosten von bis zu 15 Milliarden Euro zukämen. Damit sei die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Regeln dürften nur auf internationaler Ebene und für alle Finanzdienstleister gleichermaßen aufgestellt werden.
Keine globale Lösung in Sicht
Bei der Bundesregierung erntet Ackermann für solche Bemerkungen sogar ein gewisses Verständnis. Doch die Erfahrungen in den internationalen Verhandlungen zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems lassen Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister deutsche und europäische Alleingänge verteidigen. Der Versuch, eine globale Lösung zu finden und alle Länder unter einen Hut zu bringen, so Finanzminister Schäuble, sei einfach zum Scheitern verurteilt. Wer gerne weiter in stabilen Ländern leben wolle, der müsse gegebenenfalls auch Standortnachteile in Kauf nehmen. "Wenn wir auf globale Lösungen warten, werden wir am Ende keine Regelung zustande bringen."
Die Bundesregierung ist froh, zumindest auf europäischer Ebene und auch im Rahmen der G20, der Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, einiges erreicht zu haben. Die internationale Bankenreform Basel III sei in einer erstaunlich kurzen Zeit auf die Beine gestellt worden, so Schäuble. Spätestens bis zum G20-Gipfel im November in Cannes soll die Reform komplett sein. Zu den noch ungeklärten Fragen gehört, wie viel Eigenkapital systemrelevante Banken in Zukunft vorhalten müssen. Je gefährlicher die Pleite einer Bank für das Weltfinanzsystem ist, desto höher sollen die Zuschläge ausfallen. Bisher sind sieben Prozent Eigenkapital vorgeschrieben, für systemrelevante Banken könnten es dann 9,5 Prozent sein.
Undurchsichtige Schattenbanken
Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und damit oberster Aufseher der deutschen Banken, warnt aber davor, dem Streit um ein halbes Prozent mehr oder weniger zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Das weitaus drängendere Problem sei die bis heute nicht erfolgte Regulierung des sogenannten Schattenbanksektors, zu dem beispielsweise Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften gehören, sagt Sanio: "Da kümmert sich niemand drum. Und es kann sein, dass wir dort die nächste Krise noch nicht einmal erkennen, weil diese Bereiche total undurchsichtig sind."
Sanio fordert darüber hinaus, die drei großen Ratingagenturen, also Standard & Poor's, Moody's und Fitch, kritisch im Auge zu behalten. Die Agenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Staaten, Unternehmen und Finanzprodukten und beherrschen den Markt. Sanio spricht daher von einem Oligopol, aber auch von unverantwortlichen und falschen Einschätzungen. Die Ratingagenturen benötigten eine Aufsicht, die global sei und hart zur Sache gehe. Doch der oberste deutsche Bankenaufseher weiß, dass das erst einmal nur reines Wunschdenken bleiben wird.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Rolf Wenkel