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Der deutsche Schlager

13. April 2011

Bei keiner anderen deutschen Musikgattung scheiden sich die Geister so dermaßen wie beim Schlager. Die einen lehnen ihn kategorisch als trivialen Kitsch ab, die anderen können gar nicht genug von ihm bekommen.

Eine Besucherin der Ausstellung "Melodien für Millionen - Das Jahrhundert des Schlagers" hört sich am Donnerstag (08.05.2008) im Haus der Geschichte in Bonn Schlager an. Die vom 9. Mai bis 5. Oktober 2008 laufende Ausstellung führt die Besucher chronologisch durch die Geschichte des deutschen Schlagers - vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Foto: Jörg Carstensen dpa/lnw +++(c) dpa - Report+++
Symbolbild Schlager Musik Melodien für MillionenBild: picture-alliance/dpa

Angefangen hat alles mit der "Schönen Blauen Donau" von Johann Strauss. Anlässlich der Uraufführung dieses Walzers im Jahre 1867 kommentierte eine Wiener Zeitung: "Die Eröffnungsnummer war ein entschiedener Schlager." Den Begriff hatte der Journalist aus der Kaufmannsprache entnommen, und so mutierte der Gassenhauer zum Kassenschlager. Seine Blütezeit erlebte der deutsche Schlager schließlich in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Dann schwappte eine Flut englischsprachiger Musik über den Ärmelkanal, und die Globalisierung der Musikindustrie war nicht mehr aufzuhalten. Doch der Schlager ließ sich nicht unterkriegen, er erfand sich immer wieder neu, adaptierte Rock’n Roll und Beatelemente und hat bis heute Hochkonjunktur.

Schlagerikonen wie die Flippers, Kristina Bach oder Helene Fischer räumen regelmäßig Preise über Preise ab, und Andrea Berg hält sich mit ihrem "Best of-Album" seit über 7 Jahren ununterbrochen in den deutschen Charts. Damit hat sie sogar die Rekordhalter Pink Floyd und Beatles abgelöst. "Andrea erzählt Geschichten, die das Leben schreibt. Sie gaukelt den Menschen nichts vor", schreibt die elfjährige Jenny auf einer Fanseite und spricht damit Millionen Menschen aus dem Herzen.

Totgesagte leben länger

Allerdings scheint der Schlager sich in einer Art Paralleluniversum zu bewegen, denn anders als in den 50er, 60er oder 70er Jahren ist er im Alltag nicht mehr omnipräsent – was nicht zuletzt daran liegt, dass die Medien heute eine viel größere Musikvielfalt anbieten als damals. Und so tendieren viele dazu, den Schlager als Oma-Musik abzutun.

Schlager in der guten alten Zeit: Traumpaar Caterina Valente und Peter AlexanderBild: picture-alliance/dpa

Schlagerstar Helene Fischer verwehrt sich gegen diese Einschätzung: "Das ist dieses typische Klischee, man wird immer wieder in dieselbe Schublade hineingesteckt", sagt sie. Die Sängerin selbst war 20 Jahre alt, als sie sich auf die Welt des Schlagers einließ. Und sie kann nicht verstehen, wenn behauptet wird, junge Menschen hörten keine Schlager.

Dr. Julio Mendivil vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln kann da nur beipflichten. Er hat seine Doktorarbeit über den deutschen Schlager verfasst und kennt sich in der Branche bestens aus: "Totgesagte leben länger, und ich glaube, der Schlager ist da ein ganz typischer Fall", sagt er. Mendivil hat regelmäßig ausverkaufte Konzerthallen der Schlagerstars besucht und dort viele junge Leute gesichtet. "Insofern kann ich der Aussage nicht zustimmen, dass die Musik am Ende ist, wenn die letzte Generation von Omas stirbt", zieht er sein Resümee. Immerhin ist auch Helene Fischer erst 26 Jahre alt und damit noch nicht mal das Küken in der Szene. In ihrer sechsjährigen Karriere hat sie es bereits ganz nach oben in den Schlagerolymp geschafft.

Ein Handy im Herzen

Die Zutaten des erfolgreichen Schlagers sind überschaubar: Eine einfache Melodie, ein einprägsamer Refrain und dazu jeweils eine ordentliche Portion Herz, Schmerz und Liebe machen das Erfolgsrezept aus. Und im 21. Jahrhundert geht der Schlager auch mit der Zeit. Technologie steht bei vielen Textschreibern hoch im Kurs, und so schmachtet Stefanie Hertel zum Beispiel: "Ich hab' ein Handy in meinem Herzen." Das moderne Gerät untermalt ganz zeitgemäß die bei den Fans gewohnte und beliebte Herz-Schmerz-Geschichte.

Bekannt für ihr sexy Outfit: Schlagerkönigin Andrea BergBild: dapd

Im Laufe der Jahrzehnte, so lautet eine gängige These, habe der deutsche Schlager immer wieder die Geschichte der Bundesrepublik reflektiert. Nach dem Krieg trauerten viele Vertriebene ihrer alten Heimat nach, das Wirtschaftswunder spiegelte sich im Drang nach der Ferne wider, die deutsche, zugegeben zahme Antwort auf den Rock’n Roll hieß Peter Kraus, und auch die Emanzipation oder die Friedensbewegung tauchten im Schlager auf. Dr. Julio Mendivil allerdings sieht einen Zusammenhang nur bedingt: "Für so ein Lied wie 'Ein bisschen Frieden' von Nicole gab es mindestens auch 900 Lieder, die dieses Thema überhaupt nicht berücksichtigt haben", lautet sein Fazit. Dass viele Wissenschaftler eine Beziehung zwischen historischen Ereignissen und Texten herstellen, findet er persönlich bedenklich. "Da werden punktuell Stücke herausgepickt und als symptomatisch für eine Zeit verkauft, das kann man aber nicht verallgemeinern."

Heimisch in der Schlagerfamilie

In der Tat sind die in den 50er Jahren so beliebten Lieder über Bella Italia oder andere Reiseziele nicht neu, schon in den Operettenschlagern des 19. Jahrhunderts oder in den 1920er Jahren war Fernweh immer wieder ein Thema. Stereotypen vom immer fröhlichen Mexikaner, dem allzeit melancholischen Russen oder dem heißblütigen Franzosen sind dabei an der Tagesordnung.

Jungstar Helene FischerBild: picture-alliance / Jazz Archiv

Auch die Flippers hatten zahlreiche Hits über fremde Länder im Gepäck. Nach 40 Jahren im Rampenlicht haben sie sich kürzlich endgültig aus dem Showbusiness zurückgezogen. Ihre Fans sind ihnen über all die Jahre treu geblieben. Schlagerfans seien eben etwas ganz besonderes, findet Jungstar Helene Fischer. Eigentlich strebte sie eine Musical-Karriere an, doch ihre Mutter verschickte eine Demo-CD an diverse Plattenfirmen, und ihr heutiger Manager entführte sie daraufhin in die Schlagerwelt. Mittlerweile ist sie froh, diesen Weg gewählt zu haben. "Ich weiß nämlich nicht, ob ich mich in der Popwelt so wohl gefühlt hätte", lächelt sie. "Da wird schnell ein Riesenhype um eine Sängerin gemacht, und im nächsten Jahr ist sie weg vom Fenster." In ihrer Schlagerfamilie könne ihr das nicht passieren, ist Helene Fischer überzeugt, ihre Fans würden sie nie im Stich lassen. Und deshalb fühle sie sich rundum geborgen in dieser Musikbranche.

Ein Gefühl des Wohlbefindens und ein bisschen heile Welt gehören zum deutschen Schlager definitiv dazu und machen sein Erfolgsgeheimnis aus, bestätigt Schlagerexperte Dr. Julio Mendivil: "Während in der englischen Popmusik Probleme im Leben thematisiert werden, redet man im deutschen Schlager nicht darüber", sagt er. Der Schlager fungiere also als eine Art Heilmittel. "Mit Realitätsverlust hat das allerdings nichts zu tun", betont Mendivil. "Schlagerhörer sind nicht dumm, sie wissen alle, dass es diese idealisierte Welt nicht gibt, aber sie benutzen die Musik, um sich zumindest einen Moment lang besser zu fühlen." Und genau dort macht der Musikwissenschaftler keinen Unterschied zu anderen Musikstilen, schließlich höre man auch Klassik, Rock oder Heavy Metal, um sich aus der Realität auszuklinken.

Schlager-Urgesteine: Nach über 40 Jahren im Showbusiness hören die Flippers aufBild: picture alliance/dpa

Kitsch oder Kult?

Als Musikethnologe plädiert Mendivil für mehr Toleranz gegenüber dem deutschen Schlager, und er wendet sich mit seinem Appell vor allem an die Generation, die das Genre vehement als kitschig und trivial angreift. Das seien jene Leute, die mit Beatmusik aufgewachsen seien und denen der Schlager nicht cool genug sei. "Das ist Musik, die als total konservativ und bürgerlich gilt, und das waren genau die Werte, gegen die man sich damals auflehnte und gegen die auch die heutige Jugend rebelliert", erklärt Mendivil. Und mit einem Augenzwinkern merkt er an, dass sich Leute, die Andrea Berg oder Helene Fischer radikal ablehnen, viel toleranter gegenüber Schlagerproduktionen aus früheren Jahrzehnten zeigen. Freddy Quinn, Marianne Rosenberg oder Caterina Valente sind dann plötzlich Kult. Es gibt übrigens Studien darüber, dass sich der Musikgeschmack in einem bestimmten Alter oft radikal verändert. Und so kann ein 20-jähriger Rockhörer mit 40 durchaus zum Schlagerfan mutieren.

Autorin: Suzanne Cords
Redaktion: Matthias Klaus

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