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Europa erinnerte 2014 an den Ersten Weltkrieg. Ist dies gelungen?

Sarah Hofmann18. Dezember 2014

100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wollte Europa gemeinsam an die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" erinnern. Ist dies gelungen? Eine Konferenz im Auswärtigen Amt zog nun Bilanz.

Gedenktag zu Ehren der Kriegsveteranen
Bild: Reuters

Zu Beginn des Jahres 2014 war noch vieles unklar. Sicher, alle bedeutenden Museen und Kultureinrichtungen in Europa hatten große Ausstellungen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren angekündigt, dicke historische Wälzer waren bereits publiziert und lösten heiße Diskussionen aus. Darunter sorgte besonders das Buch von Christopher Clark "Die Schlafwandler" für viel Aufmerksamkeit. Während sich die Historiker mit neuen Perspektiven auf die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" an die Öffentlichkeit wagten, hinkten die Politiker etwas hinterher. So blieb es lange Zeit unklar, wann und wo denn nun eine zentrale Gedenkveranstaltung stattfinden würde, bei der sich jene Europäer, die vor 100 Jahren gegeneinander in den Krieg gezogen waren, die Hand reichen würden. Dass sie dies im Frieden tun würden, zweifelte indes kaum einer an.

Im Januar noch hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Diskussionsreihe 1914/2014 – vom Versagen und Nutzen der Diplomatie mit den Worten eröffnet: "Ein Krieg in Europa ist undenkbar". Und hinzugefügt: "Das war er vor 100 Jahren auch schon einmal." Daran erinnerte Steinmeier gestern Abend (17.12.2014) in seiner Rede zum Abschluss des Gedenkjahres 2014. "Wer hätte gedacht", so der Außenminister, "dass dieses Gedenkjahr 2014 selbst in die Geschichte eingehen würde?" Im Februar 2014 begann der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der sich inzwischen verschärft hat und die Diplomatie – Steinmeier war erst vor wenigen Tagen erneut in Russland – bis heute in Atem hält.

"Verstehen heißt nicht Verständnis"

Eine Krise zu bewältigen, so Steinmeier in seiner Rede im Auswärtigen Amt, dazu gehöre auch die Fähigkeit, die Sicht des anderen auf Geschichte zu verstehen. "Verstehen heißt nicht Verständnis und erst Recht nicht Einverständnis, aber es ist der Beginn für Verständigung."

Die Rede bildete zugleich den Abschluss der Konferenz Europäische Erinnerungskulturen, ausgerichtet vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Mehr als 100 internationale Wissenschaftler, Lehrende, Künstler und Publizisten hatten zwei Tage lang in den Bereichen Wissenschaft, Kultur, Bildung und Gesellschaft darüber diskutiert, wie in diesem Jahr an den Ersten Weltkrieg erinnert wurde bzw. noch immer wird.

Europäisches Crowdsourcing – eine Erfolgsgeschichte

Darunter meldeten sich namhafte Intellektuelle wie Aleida Assmann zu Wort, die seit Jahren zu Konzepten des Erinnerns forscht. Sie war es dann auch, die eine positive Bilanz dieses Gedenkjahres zog. Während die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Großbritannien, Frankreich und Belgien schon immer präsent gewesen sei, hätte dieses verordnete Gedenken in Deutschland und Russland, wo die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg den Ersten überlagert habe, auch artifiziell ausfallen können. Doch im Laufe des Jahres hätte sich ein tatsächliches Interesse an 1914 entwickelt, so dass der Erste Weltkrieg für viele Menschen zum Teil ihrer Erinnerungskultur geworden sei.

Dies zeigte sich auch in den etlichen digitalen Projekten, die auf der Konferenz vorgestellt wurden. Darunter das crowdsourcing Projekt europeana, das inzwischen in zwanzig Ländern sogenannte Aktionstage durchgeführt hat, bei denen Menschen ihre Familienfotos, Dokumente und Gegenstände aus der Zeit von 1914-1918 einscannen und damit öffentlich zugänglich machen können. Mehr als 30 Millionen Objekte finden sich mittlerweile in der Online-Bibliothek, darunter Inhalte aus mehr als 2000 europäischen Institutionen. Im kommenden Jahr werden auch in Lettland und in der Türkei solche Aktionstage ausgerufen. Diese Form der Partzipation zählt zu den Erfolgsgeschichten europäischen Erinnerns an den Ersten Weltkrieg.

Frank-Walter Steinmeier hielt die Abschlussrede der Konferenz im Auswärtigen AmtBild: Institut für Auslandsbeziehungen / Dietmar Gust

Erstmals war Erinnern in diesem Jahr nicht auf Landesgrenzen beschränkt. Mahnmale wie das "International Memorial" in Nordfrankreich vereinen erstmals alle Namen der Kriegstoten der Region von 1914 bis 1918. Die beeindruckende Anzahl von 580.000 Namen – von Franzosen, Briten, Deutschen - sind dort zu lesen. Im Entstehungsprozess ist das Haus der europäischen Geschichte in Brüssel, das voraussichtlich im Frühjahr 2016 eröffnen wird und erstmals einen gemeinsamen Blick auf die europäische Geschichte seit der Französischen Revolution wagen will.

Gedenkjahr 2015: Das Ende des Zweiten Weltkriegs

Eine gemeinsame Erinnerung werde es wohl nie geben, darin waren sich die Teilnehmer der Konferenz mit Außenminister Steinmeier einig. Die eine Erinnerung werde es nicht geben, sagte dieser in seiner Abschlussrede, verschiedene Perspektiven würden bleiben. Es gehe aber um die Bereitschaft, trotz anderen Blicks auf die Vergangenheit, zu einem gemeinsamen Verstehen zu kommen.

Die Konferenz benannte die Lücken der Wahrnehmung: die Erinnerungskultur in Osteuropa, die globale Dimension des Ersten Weltkriegs und die Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern. Positiv hoben die Konferenzteilnehmer hervor, dass der Erste Weltkrieg für die Europäer zu einem zentralen Referenzpunkt des Gedenkens geworden sei – wenn auch für alle auf unterschiedliche Weise.

Die Staatschefs der EU haben sich in diesem Jahr die Hände gereicht. Im Juni hatte der scheidende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy seine europäischen Kollegen zum Gipfel nach Ypern gelotst: Angela Merkel, François Hollande und David Cameron trafen sich an einem der blutigsten Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. Putin war nicht eingeladen. Auf demselben Gipfel wurde schließlich ein Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet.

Europeana - ein Online-Fundus, der Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg versammelt

"Das Gedenkjahr mag zu Ende gehen, aber die Vergangenheit bleibt gegenwärtig", sagte Steinmeier in seiner Rede im Auswärtigen Amt. 2015 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. Wer sich im Mai die Hand reichen wird, ist bisher nicht bekannt.