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Politik

Gemeinsame Lösung für Westbalkan nötig

28. Dezember 2017

Der ehemalige Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling, spricht über die Fehler der internationalen Gemeinschaft auf dem Balkan - und mögliche Lösungsansätze.

DW Interview Jasmina Rose mit Christian Schwarz-Schilling
Christian Schwarz-Schilling im DW-Interview Bild: DW

DW: Viele bezeichnen Bosnien-Herzegowina als gescheiterten Staat. Warum?

Christian Schwarz-Schilling: Bosnien ist kein gescheiterter Staat, sondern jeder fummelt in dieses Bosnien hinein - gerade die Nachbarn Kroatien und Serbien, aber auch Russland und die Türkei. Und so kann kein vernünftiger Staat regiert werden. Man kann also nicht sagen, es ist ein gescheiterter Staat, sondern alle sorgen dafür, dass es ein gescheiterter Staat ist.  

Im dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidium gibt es einen Bosniaken, einen Serben und einen Kroaten. Welchen Teil der Verantwortung hat jeder von ihnen für die aktuelle politische Krise in Bosnien?   

Diese Konstruktion - ein Präsidium, das aus den drei gegnerischen Ethnien besteht - kann als gemeinsame Staatsspitze nicht funktionieren.     

Wer ist der Haupt-Blockierer des Dayton-Abkommens (mit dem der Bosnien-Krieg beendet wurde, und das unter anderem diese politische Struktur vorsieht)? 

Das ist vorwiegend die Republika Srpska (die serbische Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina) mit ihrem Präsidenten Milorad Dodik, mit ihrem Konzept: Wir möchten jeden Schritt gehen, der uns unabhängiger und Bosnien-Herzegowina obsolet macht. 

Dodik hat im DW-Interview gesagt, er träume von einem Unabhängigkeitsreferendum und man bereite ein politisches Klima für die Abspaltung der Republika Srpska vor. Was muss Dodik denn noch alles machen, damit man ihm Einhalt gebietet? 

Der ganz große Fehler ist, dass man sagt, das wäre alles nur Rhetorik. Aber es ist seine Wahrheit, er will das. Das ist das Missverständnis der internationalen Gemeinschaft: Sie meint, wenn es keinen Krieg gibt, dann kann man ihn ja beruhigen und alles ist in Ordnung. Total falsch! Wenn man eine entsprechende Kraft hat, die gegen den Staat arbeitet, dann muss man sie beseitigen - mit legalen Methoden. Das ist ja eine illegale Situation, die sich hier entwickelt hat - und die das Dayton-Abkommen nie vorgesehen hatte. Für Dodik ist sie ein Spiel und ein Traum, für das Land aber eine Katastrophe.    

Der Präsident der "Republika Srpska", Milorad Dodik, im DW-InterviewBild: DW

Was muss passieren, damit der aktuelle Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Valentin Inzko, die sogenannten Bonner Vollmachten anwendet (ein politisches Instrument, das es unter anderem dem Hohen Repräsentanten ermöglicht, Blockierer des Friedensvertrags von Dayton aus ihren Ämtern abzusetzen) und zum Beispiel Dodik absetzt?

Das kann er heute kaum mehr machen. Deshalb sollte man eine gewisse Praxis wiedereinführen, dass man das Dayton-Abkommen wirklich ernst nimmt. Der Hohe Repräsentant sollte der internationalen Gemeinschaft sagen: Wenn ihr dem nicht folgt, dann ist es nicht mehr meine Verantwortung, dann kann ich nicht bleiben. Aber die meisten wollen natürlich auf ihrem Posten bleiben im OHR (Office of International Representative, das Büro, das die Einhaltung des Dayton-Abkommens überwacht). Es ist sehr schwierig, dafür zu sorgen, dass ein Hoher Repräsentant von alleine geht. Das wäre auch nicht im Interesse der internationalen Gemeinschaft, weil die Bonner Vollmachten an die Funktion des Hohen Repräsentanten geknüpft sind. Wenn es diesen nicht mehr gibt, kann keiner mehr intervenieren. Deswegen ist Dodik sehr daran interessiert, das OHR loszuwerden.  

Ein anderes DW-Interview hat die Serben sehr verärgert: Bakir Izetbegovic, der bosniakische Vertreter im Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina, sagte, er persönlich sei bereit, Kosovos Unabhängigkeit anzuerkennen...

Dann hat er etwas ganz Kluges gesagt. Kosovo hätte man (europaweit) längst anerkennen müssen. Von den 27 EU-Staaten haben fünf Kosovo nicht anerkennt - nur aus innenpolitischen Gründen, wie zum Beispiel Spanien wegen des Streits um Katalonien. Das ist absoluter Egoismus, was diese fünf Länder betreiben, und ihretwegen sind wir in Europa nicht in der Lage, eine klare Politik gegenüber Kosovo und Serbien zu machen. Das ist eine Schande! 

Was würden Sie Angela Merkel konkret raten in Bezug auf den Westbalkan?

Sie sollte sich sofort mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammensetzen und ihm sagen: Wir brauchen ein ganz klares Programm für die Staaten des Westbalkans. Man darf es nicht so machen, dass man den einen hilft, danach den anderen, und dann die Leute unter sich sitzen lässt, und sie sich dann wieder streiten. Unter der Aufsicht der Europäer müssen entsprechende Schritte für die gesamten sechs Staaten des Westbalkans vorgenommen werden.    

Vor kurzem hat der Selbstmord des verurteilten bosnisch-kroatischen Kriegsverbrechers Slobodan Praljak im Gerichtssaal in Den Haag für viel Aufregung in der Region gesorgt. Hat dies einen Schatten auf die Arbeit des Haager Tribunals geworfen? 

Das Ganze hat einen Schatten auf die Reaktionen der entsprechenden Länder geworfen. Was sich in Kroatien abgespielt hat, ist eine Schande. Und ich hatte schon immer sehr große Bedenken in Bezug darauf, wie man mit der kroatischen Regierung umgeht. Der vor-vorige Präsident war noch ein einigermaßen vernünftiger Mensch, aber was sich heute dort abgespielt hat, ist ein praktizierter Extremismus. Dieser bedeutet, dass wir wieder eine Weile in die falsche Richtung laufen - auch in Kroatien. Das macht die Gesundung des gesamten Westbalkans noch schwieriger.    

War das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien politisiert?

Überhaupt nicht! Politisiert waren all die Angriffe auf das Tribunal. Gott sei Dank hat man sich davon nicht beeinflussen lassen. Eines müssen diese Staaten von vorneherein lernen: Wer nicht Respekt vor Gerichtsurteilen hat, der hat keine Ahnung von der dritten Gewalt - und steht deshalb noch am Anfang eines demokratischen Prozesses und muss noch sehr viel dazulernen. 

Der CDU-Politiker Christian Schwarz-Schilling war zwischen 2006 und 2007 für insgesamt 17 Monate der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Unter anderem nahm er ab Juli 2007 seine Streitschlichtertätigkeit wieder auf - im Rahmen des von ihm gegründeten CSSP - Verein für Integrative Mediation e.V. im Kosovo, in Mazedonien und Südserbien.

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