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Politik

Lübcke-Mordfall: Rechtsextremistisches Motiv vermutet

17. Juni 2019

Der Tatverdächtige im Mordfall Lübcke hatte bereits 1993 einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim verübt. Ist er Teil eines rechtsextremistischen Netzwerks? Nun hat die Generalbundesanwaltschaft den Fall übernommen.

Deutschland Trauerfeier für Walter Lübcke
Bild: Reuters/S. Pfoertner

Im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke mehren sich die Hinweise auf ein politisches Tatmotiv. Auf einer Pressekonferenz in Karlsruhe erklärte die Generalbundesanwaltschaft, sie gehe "von einem rechtsextremistischen Hintergrund aus". Wie "Zeit Online" zuvor berichtete, hat der am Samstagmorgen festgenommene und dringend tatverdächtige Stephan E. nach Informationen aus Sicherheitskreisen bereits 1993 im Alter von 20 Jahren mit einer Rohrbombe eine hessische Asylbewerberunterkunft angegriffen. Die Bombe war in einem Auto untergebracht gewesen, das in Brand gesetzt wurde, aber von Bewohnern der Unterkunft rechtzeitig gelöscht werden konnte.

Der ermordete Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke Bild: picture-alliance/U. Zucchi

Stephan E. wurde damals zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Er war früher schon wegen Körperverletzung, einer weiteren Brandstiftung mit ausländerfeindlichem Hintergrund sowie Verstößen gegen das Waffengesetz straffällig geworden. Im Mordfall Lübcke ist der heute 45-Jährige aufgrund von DNA-Spuren in Verdacht geraten. Nun gibt es viele Fragen zu klären. Beispielsweise, ob ein rechtsextremes Netzwerk hinter der Tat stehen könnte. Dafür gebe es aber keine Anhaltspunkte, schränkte ein Sprecher der Generalbundesanwaltschaft ein.

Ermittlungen wegen besonderer Bedeutung

Wie ernst die deutsche Justiz diesen Fall nimmt, zeigt sich daran, dass die oberste Ermittlungsbehörde die Ermittlungen übernommen hat. Denn der Generalbundesanwalt verfolgt in der Regel Taten terroristischer Vereinigungen. Ermittlungen gegen Einzeltäter kann er übernehmen, wenn dem Fall wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung und der Auswirkungen der Tat "besondere Bedeutung" zukommt.

Spurensuche in der Umgebung des Wohnhauses von LübckeBild: Reuters/R. Orlowski

Der Rechtsextremismus-Forscher der Hans-Böckler-Stiftung, Hendrik Puls, vermutet Verbindungen des Tatverdächtigen zur neonazistischen Organisation "Combat 18" (C18), die in Hessen sehr aktiv ist. "Combat 18" wurde als bewaffneter Arm des Neonazinetzwerks "Blood and Honour" gegründet und propagiert den bewaffneten Kampf. "Beispielsweise in Magazinen, in denen Bombenanleitungen veröffentlicht und Konzepte und Strategien des rechtsterroristischen bewaffneten Kampfes vorgestellt werden", erklärt Hendrik Puls im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Zahl 18 bezieht sich auf den ersten und achten Buchstaben des lateinischen Alphabets und damit auf die Initialen Adolf Hitlers.

Parallelen zur NSU-Mordserie

Sollte der Mord an Lübcke tatsächlich einen rechtsextremistischen Hintergrund haben, müsste man das Risiko rechten Terrors in Deutschland möglicherweise neu bewerten. Die Parallelen zur Mordserie der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) lägen auf der Hand, sagt Matthias Quent im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena verweist auf die mögliche politische Dimension, den gezielten Kopfschuss auf Lübcke und ein fehlendes Bekennerschreiben. Der NSU ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin, verübte 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Raubüberfälle.

Rechtsextremismusforscher Matthias QuentBild: picture-alliance/Zumapress/S. Babbar

Die Ermordung von regierenden Politikern aus politischen Motiven wäre eine "neue Dimension", betont Quent. Das hätte es seit 1945 im deutschen Rechtsterrorismus noch nie gegeben. Quent spricht über Mordversuche wie etwa an der Oberbürgermeisterin Henriette Reker in Köln. "Aber gezielte Hinrichtungen von Politikern durch Rechtsradikale, das wäre wirklich eine Zäsur", sagt der Instituts-Direktor. Vor rund zwei Wochen war der Chef des Regierungspräsidiums Kassel, Walter Lübcke, auf der Terrasse seines Hauses in Nordhessen erschossen aufgefunden worden.

Hass wegen Engagements für Flüchtlinge

Zunächst ging man von einem Täter im privaten Umfeld des CDU-Politikers aus. Dann gerieten mögliche politische Motive ins Blickfeld der Spurensucher. Der 65-jährige Lübcke hatte sich mit seinem öffentlichen Eintreten für die deutsche Asylpolitik und die Rechte von Schutzsuchenden die Rechtsextremisten zum Feind gemacht. Als Regierungspräsident war er für die Unterbringung von Asylbewerbern im nördlichen Teil Hessens zuständig. Fremdenfeindliche Hetzer bejubelten seinen Tod im Internet, was bundesweit für Empörung sorgte. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisierte die Häme.

Hier wurde Regierungspräsident Walter Lübcke erschossen Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Man könne sagen, dass die Gewaltbereitschaft angesichts der von rechts angeheizten Debatten um Zuwanderung ziemlich gestiegen sei, sagt Rechtsextremismus-Forscher Hendrik Puls. Insofern sei der Fall Lübcke sehr aufschlussreich. Ihm sei unglaublich viel Hass entgegen geschlagen. "Da stellt sich für mich schon die Frage: Wie viel braucht es, bis eine Person sagt: Ich greife jetzt zur Waffe. Da braucht es unter Umständen nicht viel."

Wendepunkt in der Haltung der Deutschen?

Die rechtsextremistischen Hassbotschaften müsse man sehr ernst nehmen, sagt auch Matthias Quent: "Es gibt Studien, die zeigen, dass Hass-Sprache im Internet dazu beiträgt, reale Gewalt hervorzubringen." Außerdem seien diese Beleidigungen ein generelles Problem für demokratische Kultur, weil sie dazu beitrügen, "dass Menschen eingeschüchtert werden, dass wie im Fall von Lübcke Privatadressen im Internet veröffentlicht werden". Das belaste Menschen und beeinflusse, "ob und wie man sich in der Öffentlichkeit politisch positioniert".

Längst schlägt der Mordfall Lübcke mediale Wellen über die deutschen Landesgrenzen hinaus. Spätestens seit den Morden des NSU stehen rechtsextremistische Aktionen hierzulande ohnehin mehr als sonst üblich im Fokus der Berichterstattung. So schrieb die italienische Tageszeitung "Corriere della Sera" von Signalen, die in einem immer mehr vom Rechtsextremismus erschütterten Deutschland vielleicht unterbewertet werden könnten. "Der Fall Lübcke könnte einen Wendepunkt in der Haltung der Deutschen markieren", warnte die Zeitung.

Rechte Tendenzen sehr ernst nehmen

Das internationale Interesse wird der Generalbundesanwaltschaft wohl nur allzu bewusst sein. Denn nach den Pannen bei den NSU-Ermittlungen wurde die Justiz mit dem Vorwurf konfrontiert, auf dem rechten Auge blind zu sein. Einerseits sei es so, "dass rechte Gewalt immer noch nicht als Rechtsterrorismus in der Öffentlichkeit bezeichnet und diskutiert wird", sagt Quent. Andererseits sehe man aber auch, dass insbesondere die Bundesanwaltschaft durchaus richtige Schlussfolgerungen gezogen habe und schnell eingreife.

Kerzen und Blumen zum Tod von Walter Lübcke am Eingang des Regierungspräsidiums KasselBild: DW/N. Isenson

Der Staat müsse die Strukturen und die Tendenzen von rechter Gewalt und rechten Terrorismus sehr ernst nehmen, ergänzt der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft. "Wir sehen, dass regelmäßig sogenannte Todeslisten, Feindeslisten aus der rechtsextremen Szene bekannt werden. Auch Lübcke stand auf solchen Listen." Nun müsse gezeigt werden, dass rechtsextreme Terror-Strategien geahndet werden, dass die potenziellen Gewalttäter auf dem Radar der Behörden seien und dass diejenigen, die angegriffen würden, "die Solidarität der Gesellschaft erfahren und sich dem Schutz der Behörden sicher sein können".

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