Generaldebatte im Bundestag: Wo steht Deutschland?
9. Juli 2025
Wenn der Haushalt im Bundestag debattiert wird, schlägt die Stunde der Opposition. Sie kann buchstäblich abrechnen mit allem, was ihr an der Regierungspolitik nicht gefällt. Seit 65 Tagen sind die konservativen Parteien CDU und CSU und die Sozialdemokraten unter Bundeskanzler Friedrich Merz im Amt. Was haben sie bisher für Deutschland bewirken können?
Bei dieser Standortbestimmung ist die Opposition erwartbar deutlich anderer Meinung als die schwarz-rote Koalition. Die lobt sich und stellt die Entscheidungen der ersten zwei Monate in den Fokus.
Der Kanzler begann seine Rede mit der Außenpolitik. Er sprach davon, dass Deutschland wieder "die Führungsverantwortung" in Europa übernehme, die "von uns erwartet wird". Scharf kritisierte er Russland, die Regierung in Moskau sei "ein verbrecherisches Regime, das mit militärischer Gewalt das Existenzrecht eines ganzen Landes in Frage stellt". Russlands Ziel sei es, die Ukraine zu zerstören. "Die Bundesregierung wird alles tun, um dies zu verhindern."
Im Zollstreit der Europäischen Kommission mit den USA kündigte Merz weitere Verhandlungen an. Ziel sei ein neues Handelsabkommen mit möglichst niedrigen Zollsätzen. Einfach sei das nicht, aber bis zum Herbst könne es eine Einigung geben.
Wann geht es mit der Wirtschaft wieder aufwärts?
Innenpolitisch sprach der Kanzler von einer "Wende" in der Wirtschaftspolitik, möglich gemacht auch durch die Aufnahme hoher neuer Schulden. Zwar sei man im dritten Jahr ohne Wirtschaftswachstum, Forschungsinstitute würden aber erstmals die Konjunkturerwartungen erhöhen. "Wir nehmen wahr, dass die Stimmung im Land wieder besser wird."
Merz verspricht Veränderungen in den Bereichen Wohnen und Bildung. Auch sozialpolitisch werde es Veränderungen geben. Im Herbst werde eine Reform des Bürgergelds vorgelegt, also der staatlichen Unterstützung für Arbeitslose. Ziel sei, daraus "eine Grundsicherung zu machen für diejenigen, die unseren Sozialstaat wirklich brauchen".
Union im Aufwind
CDU und CSU haben seit dem Amtsantritt der Regierung in den Umfragen zugelegt. Aktuell würden sie auf 30 Prozent der Stimmen kommen. Auch Friedrich Merz hat an Zustimmung gewonnen, deutlich mehr Bürger als noch vor zwei Monaten sind mit seiner Arbeit zufrieden.
Beim Thema Migration verwies Merz im Bundestag auf die verschärften Kontrollen an den Grenzen. Auch durch Zurückweisungen seien bereits "tausende illegale Einreisen" verhindert worden. Außerdem habe die Bundesregierung die beschleunigten Einbürgerungen abgeschafft und Änderungen bei der Bestimmung sicherer Herkunftsländer vorangetrieben.
Merz betonte, wie sehr seine Regierung Härte in der Migrationspolitik gezeigt habe. Aber: "Wir wollen, dass Deutschland ein offenes, ein liberales, ein freiheitliches Land bleibt und wir wollen vor allem, dass Deutschland ein tolerantes Land bleibt."
Alice Weidel spricht vom "Lügenkanzler"
Es ist ein direkter Konter gegen die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland, die AfD. Deren Fraktions- und Parteichefin Alice Weidel bezeichnete die Migrationspolitik der Bundesregierung in ihrer Rede als mangelhaft und wirkungslos. Es war eine Rede, die mit Spannung erwartet worden war. Die AfD-Fraktion hat sich erst kürzlich neue Verhaltensregeln gegeben. In einem Beschluss fordert sie ihre Abgeordneten auf, sich "um ein geschlossenes und gemäßigtes Auftreten im Parlament" zu bemühen.
Gemäßigt war Weidel, deren Partei in den Umfragen stabil bei 23 Prozent liegt, nicht. Sie nannte Merz "Lügenkanzler" und warf ihm Wortbruch vor. Er mache linke Politik, lasse sich von der SPD vorführen. Seine Kanzlerschaft gehe "als größter Wahlbetrug in die deutsche Geschichte ein".
Der Hintergrund: Merz hat entgegen seinen Ankündigungen im Wahlkampf die Schuldenbremse gelockert und - anders als im Koalitionsvertrag versprochen - die Stromsteuer nicht für alle gesenkt. Eine Steilvorlage für die AfD. Sie versucht nun, die Glaubwürdigkeit der CDU/CSU und Merz zu untergraben.
Das Lieblingsthema der AfD: Migration
Der Bundeshaushalt und die Finanzplanung der Regierung seien eine "Schuldenorgie", sagte Weidel. Die Unterstützung für die Ukraine kritisierte sie. Schnell war sie beim Lieblingsthema der AfD, der Migrationspolitik, und zeichnete ein düsteres Bild des Landes. Messerangriffe, Sexualdelikte, Übergriffe in Freibädern und Gruppenvergewaltigungen seien an der Tagesordnung. "Die Islamisierung schreitet rasend und aggressiv voran."
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mahnte nach Weidels Rede einen angemessenen Umgangston im Parlament an: "Wir würdigen uns hier nicht persönlich herab und bezichtigen uns der Lüge", sagte die CDU-Politikerin. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch bemühte in seiner Rede einen deutschen Schlagersänger, der einst sang: "Was hat dir dein Herz gestohlen?" und fragte an Weidel gewandt: "Wie kann man so eiseskalt, so hasserfüllt als Mensch eine solche Rede halten?"
Material für AfD-Verbotsverfahren?
Wenn die AfD-Chefin im Zusammenhang mit Zuwanderung beispielsweise von der "Transformation des Staatsvolkes" spreche, dann erinnere ihn das "an alte Zeiten, wo es um Rassenlehre ging", sagte Miersch. "Wie Sie über Menschen mit Migrationshintergrund geredet haben, ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die Migrationshintergrund haben und Tag für Tag dieses Land bereichern."
Auf ihrem letzten Parteitag hat die SPD beschlossen, dass aktiv an einem AfD-Verbotsverfahren gearbeitet werden müsse. Miersch sieht in Weidels Rede durchaus Material für ein solches Verfahren.
Unterschiede zwischen SPD und Union
Der SPD-Fraktionsvorsitzende zog im Bundestag eine grundsätzlich positive Bilanz der ersten Regierungswochen. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass SPD und Union viele Dinge unterschiedlich sähen. In einer Demokratie müsse man unterschiedliche Standpunkte akzeptierten, dann aber gefundene Kompromisse respektieren, so Miersch.
Der Hinweis darauf, dass sich SPD-Positionen von den getroffenen Vereinbarungen in der Koalition unterscheiden, folgt offenbar einer Strategie: Die Partei will das sozialdemokratische Profil sichtbarer werden lassen. Bei der Bundestagswahl hat die SPD mit nur noch 16 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis seit 1887 eingefahren. Und seitdem geht es weiter abwärts. Aktuell kommt die SPD in Umfragen nur auf 13 Prozent. Es ist der schlechteste Wert seit 2020.
Die Grünen kritisieren Rückschritte beim Klimaschutz
Die Grünen liegen in den Umfragen mit aktuell elf Prozent hinter der SPD auf Platz vier. Nach dreieinhalb Jahren in der Regierung sind sie wieder in der Opposition gelandet.
Aus dieser Position heraus kritisierte die Fraktion die Regierungspolitik von Union und SPD scharf - vor allem beim Klimaschutz. Dort habe es einen "unfassbaren Rückschritt" gegeben. "Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet", rief die grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge im Plenum. "Sie planen in großem Umfang fossile Gaskraftwerke und reden darüber, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu verlangsamen." Das sei eine "klimapolitische Bankrotterklärung".
Von der Fraktionschefin der Linkspartei, Heidi Reichinnek, musste sich die Bundesregierung vorwerfen lassen, gegen die Interessen der Menschen im Land zu agieren. Milliardensummen würden in den Verteidigungshaushalt fließen, dafür werde "an allen Ecken und Enden" gekürzt.
Statt im Gesundheitsbereich oder im öffentlichen Nahverkehr zu investieren, gebe es "massive Aufrüstung und Steuergeschenke für Superreiche und Konzerne". Das Geld fehle nicht, so Reichinnek, deren Partei in den Umfragen gleichauf mit den Grünen liegt. Es werde nur falsch verteilt.