Generalprobe für die Herzoperation
17. Januar 2011Rufus Baretti beugt sich konzentriert über seinen Patienten. Mit ernster Miene untersucht er die Schläuche, die direkt am Herzen des Mannes angebracht sind. Der Brustkorb ist dafür geöffnet und mit großen Klammern aufgespannt, der Blick fällt unmittelbar auf das schlagende Herz des Patienten. Jeder Griff von Rufus Baretti muss sitzen, die Narkose muss genau dosiert und die Herz-Lungen-Maschine tadellos angeschlossen sein. Es sind die Vorbereitungen für den Hauptteil des Eingriffs: Eine koronare Bypass-Operation. Die verstopften Herzkranzgefäße des Patienten werden dabei mit einer Arterie überbrückt, damit das Herz wieder ausreichend Blut erhält.
Ein schwerer Eingriff also, bei dem es für den Patienten um viel geht. Kein Wunder, dass Konzentration, High-Tech-Instrumente und eine hochkarätige Ausbildung nötig sind, um eine möglichst perfekte Behandlung vorzunehmen. Ganz besonders wichtig ist aber auch die Zusammenarbeit zwischen Herzchirurgen, Narkoseärzten, Kardiotechnikern und dem übrigen OP-Personal. Denn jede gelungene Operation ist immer auch eine Teamleistung.
Fehler ausdrücklich erwünscht
Fehlerquellen gibt es bei solch einer Operation also viele und Fehler sind natürlich möglichst zu vermeiden - hier allerdings sind sie ausdrücklich erwünscht. Denn jeder falsche Handgriff ist für den Patienten folgenlos. Der Grund: Rufus Baretti und der angehende Kardiotechniker Bruno Esser operieren an einer Puppe. Die hat nicht nur Größe und Gewicht eines erwachsenen Mannes, sie besitzt auch ein schlagendes Kunstherz und einen funktionierenden Kreislauf.
Die Attrappe wirkt dabei so täuschend echt, dass ein ähnliches Gefühl wie bei einer echten Operation entsteht. Und auch der Simulations-OP-Saal ist originalgetreu eingerichtet: Es gibt Narkosegeräte, einen Patientenmonitor, Operationsbesteck, eine Herz-Lungen-Maschine. "250.000 Euro hat der Simulations-OP-Saal insgesamt gekostet", sagt Frank Merkle von der Akademie für Kardiotechnik, "deutschlandweit ist so eine Einrichtung bisher einmalig."
Simulations-OP-Saal deutschlandweit einmalig
Herzchirurg Rufus Baretti und der angehende Kardiotechniker Bruno Esser tauschen einen kurzen Blick aus, dann plötzlich hört das EKG auf zu piepen. Was für den Laien dramatisch wirken mag, ist hier gewollt: Der Kreislauf wird jetzt nicht mehr vom Herzen getrieben, sondern von der Herz-Lungen-Maschine gesteuert. Das Kunstblut wird dabei über eine venöse Kanüle vom Patienten in die Herz-Lungen-Maschine geführt und dann umgekehrt über die Schläuche in die Hauptschlagader zurückgepumpt.
Die Aufgabe von Bruno Esser ist es, die Herz-Lungen-Maschine zu steuern und zu überwachen, damit der Chirurg ungehindert am Herzen arbeiten kann. Operiert wird dann allerdings nicht mehr im Simulations-OP-Saal sondern an anderen Präparaten. Hier geht es vor allem um die Vor- und Nachbereitung der Operation und um die Teamarbeit von Ärzten und Kardiotechnikern. "Der wichtigste Lerneffekt im Simulations-OP-Saal ist der praktische Umgang", sagt Rufus Baretti. Viele angehende Kardiotechniker und Ärzte seien sehr gut ausgebildet, doch sie kennen die Herzoperation nur theoretisch aus Studium oder Ausbildung. "Hier können sie lernen, in welcher Reihenfolge die Schritte kommen, wie die Handgriffe wirklich sind und wie sich so was anfühlt", ergänzt Baretti.
Auszubildende aus dem ganzen Land
Das Vorbild für solch einen Simulations-OP-Saal stammt aus den USA. Dort werden angehende Kardiotechniker bereits in solchen künstlichen Lernsituationen auf die oft stressige Praxis vorbereitet. An der Akademie für Kardiotechnik, die zum Deutschen Herzzentrum Berlin gehört, können die Berufseinsteiger jetzt praktische Erfahrungen am Dummy sammeln und sie müssen dabei keine Angst vor Fehlern haben. Mittlerweile kommen angehende Kardiotechniker aus dem ganzen Land angereist, um hier zu lernen. Ein- bis zweimal im Monat werden sie in kleinen Gruppen ausgebildet.
Bei der heutigen Übung haben Chirurg und Kardiotechniker mittlerweile das Kunstherz der Puppe zum Stillstand gebracht. Eine stark kalium- und magnesiumhaltige Lösung strömt dabei in die Herzkranzgefäße, der Sauerstoffbedarf des Herzmuskels sinkt dadurch um etwa das Zwanzigfache. Bruno Esser überwacht konzentriert die Herz-Lungen-Maschine, der Chirurg könnte sich jetzt ganz auf die Operation konzentrieren. Doch die steht hier nicht im Mittelpunkt, stattdessen geht es gleich an die Nachbereitung der Operation: Das Herz wird wieder aktiviert und der Patient auf ein kurzes Kommando von Rufus Baretti hin von der Herz-Lungen-Maschine genommen. Das EKG beginnt wieder zu piepen, der Patient hat bei dieser Übung alles gut überstanden und auch die Zusammenarbeit von Chirurg und Kardiotechniker hat reibungslos funktioniert.
Autor: Thomas Gith
Redaktion: Judith Hartl