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Politik

USA: "Hoffnungslos und hilflos"

1. Juni 2020

Die Unruhen nach der Tötung eines weiteren Afroamerikaners durch einen Polizisten sind die Folge weitreichender Ungerechtigkeiten in den USA. Um die zu beheben, muss sich nicht nur das Verhalten der Polizei ändern.

Kanada Toronto | Tod George Floyd durch Polizeigewalt in Minneapolis, US | Protest
Bild: Reuters/C. Osorio

Die Proteste vor dem Weißen Haus zogen sich bis spät in den Sonntagabend. Dabei kam es erneut zu Zusammenstößen mit der Polizei. Demonstranten skandierten "Kein Frieden ohne Gerechtigkeit". Bereits in den Vortagen waren hunderte Demonstranten vor das Weiße Haus gezogen, um dort gegen Polizeigewalt und Rassismus zu protestieren. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden mittlerweile insgesamt 5000 Mitglieder der Nationalgarde mobilisiert, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Neben der Hauptstadt Washington werden die Soldaten in mehr als einem Dutzend Bundesstaaten eingesetzt. 

Die Proteste in Washington waren Teil landesweiter Unruhen, die nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis ausbrachen. Der 46-jährige Afroamerikaner starb am 25. Mai, nachdem ein Polizist mehr als acht Minuten lang auf seinem Hals gekniet und seine Rufe "Ich kann nicht atmen!" ignoriert hatte. Der Grund für den Einsatz: Floyd wollte in einem Supermarkt mit einem angeblich gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlen.

Der Polizeieinsatz gegen George FloydBild: AFP/Facebook/Darnella Frazier

Der Tod Floyds erinnert an den Fall Eric Garner. Der Afroamerikaner starb im Dezember 2014, nachdem ein Polizist ihn bei der Verhaftung von hinten in den Würgegriff genommen hatte. Bevor er auf dem Boden liegend starb, rief Garner ebenfalls mehrfach verzweifelt "Ich kann nicht atmen!" Die Fälle sind nur zwei Beispiele in einer langen Liste von unbewaffneten schwarzen US-Amerikanern, die von weißen Polizisten getötet wurden.

"Wenn wir schweigen sind wir mitschuldig"

"Die treibende Kraft hinter den Protesten ist die Frustration der Menschen", sagt Dr. Bryant Marks, Psychologieprofessor an der traditionell afroamerikanischen Universität Morehouse College, die auch Martin Luther King besuchte. "Sie fühlen sich hoffnungslos and hilflos. Und viele Polizeibeamten und andere Mitglieder unserer Gesellschaft verstehen das nicht."

Black Lives Matter - die Bewegung besteht schon seit 2013 nach einem Fall von Polizeigewalt gegen Schwarze in FloridaBild: Reuters/N. Oxford

Marks sagte der DW auch, dass US-Präsident Donald Trump nicht gerade zu mehr Verständnis zwischen Afroamerikanern und Polizisten beitrage. Trump bezeichnete die Teilnehmer der Unruhen als "thugs", ein abwertender Begriff für Gangster, der praktisch ausschließlich für schwarze Männer verwendet wird. Der Präsident drückte Floyds Familie zwar sein Mitgefühl aus, aber Marks hält das für wenig überzeugend. Mitfühlende Worte höre man vom Präsidenten nur, wenn er sie ablese, so der Psychologieprofessor. "Wenn er frei spricht oder in seinen Tweets sieht man sein wahres Ich."

Trump wird von vielen Seiten kritisiert. Mit seinem Verhalten gebe er dem Fanatismus Sauerstoff, schrieb der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden auf Twitter. "Wenn wir schweigen, sind wir mitschuldig daran, dass diese Kreisläufe der Gewalt sich fortsetzen", so Biden in einem weiteren Tweet.

Vorurteile nicht nur bei Polizisten

Schwarze sind gegenüber Weißen in den USA nicht nur schlechter dran, wenn es um Statistiken zur Polizei-Brutalität geht. Sie haben im Schnitt auch mehr gesundheitliche Probleme und weniger Zugang zu guter medizinischer Versorgung. Eine Folge: In der Corona-Pandemie sind in den USA bisher deutlich mehr Afroamerikaner als Weiße an dem Virus gestorben - etwa 23 Prozent aller Todesopfer sind schwarz, dabei machen Afroamerikaner nur rund 13 Prozent der US-Bevölkerung aus.

Warten vor einem Krankenhaus in ChicagoBild: Reuters/J. Lott

"Wir haben in den USA besorgniserregende Ungleichheiten, was die Gesundheit angeht", sagte Dr. Ashwin Vasan der DW. Vasan ist Medizinprofessor an der Columbia University und Arzt am New York Presbyterian Hospital. "Das Virus verschlimmert diese Ungleichheiten, die es seit Jahrhunderten gibt, jetzt noch", so Vasan. Die Tötung von George Floyd traf die Bevölkerungsgruppe, die in den vergangenen Monaten mehr Freunde und Familienangehörige durch das Coronavirus verlor, ins Mark.

Können die Demonstranten, die jetzt gegen Rassismus auf die Straße gehen, an den jahrhundertealten Ungerechtigkeiten in ihrem Land etwas ändern? Marks hält es für möglich, wenn die Proteste noch ein wenig andauern und das Thema in den Medien bleibt, dass Gesetzesvorschläge über Polizeiverhalten und Kontrollen von Beamten in einigen Bundesstaaten bei der Wahl im November zur Abstimmung stehen könnten.

Er sagt aber auch, dass es nicht reicht, wenn sich Polizisten an strengere Regeln halten und Trainingsmaßnahmen durchlaufen müssen. Die Vorurteile speziell gegenüber jungen afroamerikanischen Männern seien im ganzen Land verbreitet. "Wenn wir diese Situation wirklich in den Griff kriegen wollen", sagt Marks, "muss sich die ganze Gesellschaft ändern."

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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