George Martin erfand den "Beatles-Sound"
9. März 2016 DW: Herr Kramarz, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Themen der Popularmusik. Sie sind unter anderem Experte in Sachen Musikproduktion der 1960er Jahre. Einer der wichtigsten britischen Musikproduzenten ist jetzt verstorben. Hatten Sie die Gelegenheit, George Martin persönlich kennenzulernen?
Volkmar Kramarz: Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt. Ich glaube, das war nur ganz wenigen vergönnt. Er gehörte nicht zu den Leuten, die auf jedes Ereignis gingen und jedem die Hand schüttelten. Er war immer ein Mann im Hintergrund, der dort aber ganz entschieden die Drähte zog.
George Martin wurde der "fünfte Beatle" genannt. Wie wichtig war der erfahrene Musikproduzent für die Pilzköpfe?
Wikipedia listet mittlerweile zehn "fünfte Beatles" auf, aber Martin war quasi der "Studio-Beatle": Er war mit seinen Anteilen enorm wichtig und hat vor allem sehr viel zur technischen und musikalischen Entwicklung des Gesamtphänomens "Beatles-Sound" beigetragen.
Ließen sich denn die jungen Beatles so leicht beeinflussen?
Wir wissen, dass sie zumindest anfangs total beeindruckt waren. Auch wenn es ihnen ein bisschen suspekt war, dass der Mann bisher vor allem Komödianten und Jazzer produziert hatte. Dieser deutlich ältere Gentleman konnte Noten lesen und er wusste, sich musikalisch auszudrücken. Der kannte Instrumente, von denen die Beatles bis dahin noch nichts gehört hatten. George Martin war rundherum ein sehr erfahrener und ausgebildeter Musiker.
Die Alben der Beatles veränderten sich über die Jahre hinweg sehr deutlich. Welche Rolle hatte dabei George Martin?
Er hat dabei eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Heute sind auch ein paar kritische Stimmen aus der damaligen Zeit bekannt. Manche sagen: "The Beatles destroyed Rock 'n' Roll" - die Beatles hätten also den Rock 'n' Roll als eine unbekümmerte und lockere Art des Musikmachens zerstört. Denn die 1950er mischten alles zusammen: weiße und schwarze Musiktradition, Country, Folk und Blues. Diese Vorgehensweise haben die Beatles - mit Unterstützung von George Martin - nach und nach intellektualisiert. Und dabei hatte George Martin eine ganz entscheidende Rolle gespielt.
Wie kann man sich das vorstellen?
Er war nicht nur derjenige, der sehr akkurat aufgenommen hat. Immerhin hat er sofort angemerkt, der Schlagzeuger entspräche nicht dem Gesamtniveau der Band. Und daraufhin wurde das Schlagzeug wirklich neu besetzt. Selbst Ringo durfte nicht sofort mitmachen. Und in dieser sehr anspruchsvollen Art und Weise ging er vor: Er war ein penibler Studioleiter und hatte daneben aber auch immer wieder Ideen, wie man die neueste Produktionstechnik in die Musik einbauen konnte. Letztendlich gehört er zu den Pionieren, die das gemacht haben, was heute im Rückblick ganz wichtig ist: Er hat das Tonstudio als Instrument in die Popularmusik eingebracht.
Das Genre Beatmusik und auch die Aufnahmetechnik insgesamt waren in den 1960er Jahren noch etwas ganz Neues. Was waren damals die größten Herausforderungen für einen Musikproduzenten?
Als Produzent hatte man Anfang der 60er Jahre eigentlich vor allem die Aufgabe, für die jeweiligen Künstler geeignete Stücke und passende Begleit-Musiker zu finden. Dann ging es ins Studio, wo mehr oder weniger ein Live-Auftritt mitgeschnitten wurde. Das Vordringlichste für einen Produzenten war es, dafür die richtigen Bedingungen zu schaffen. Und speziell George Martin hatte für die Studioarbeit einen Stab von sehr begabten und engagierten Technikern. Mit ihnen zusammen wurde schon sehr bald die übliche Aufnahmetechnik geändert und teilweise nahezu auf den Kopf gestellt:
Die Mikrofonierung wurde beispielsweise verändert, die Mehrspurtechnik wurde intensiv genutzt und selbst Tonbandtechniken der Experimental- und Elektronik-Szene hatten einen entscheidenden Einfluss auf die bisher eher abfällig angesehene Teenager-Musik. George Martin hatte seine Techniker schlichtweg dazu gebracht, über den alltäglichen Tellerrand hinaus zu blicken. So haben sie zum Beispiel Ideen der Musique concrète oder auch von Stockhausens Neuer Musik in die Produktionen eingebracht. So etwas hatten weder die Beatles noch ihre Zuhörer vorher gekannt. Und George Martin kannte eben ein paar Tricks und wußte vor allem auch, wie man solche Techniken in eine Pop-Produktion einbringen konnte.
Welche Tricks waren das denn?
Ein Beispiel: John Lennon wünschte sich für den Titel "Being for the Benefit of Mr. Kite!" so etwas wie eine konstante Kirmesmusik mit Orgel für den Hintergrund. Man wollte kein bestimmtes Stück dafür verwenden, sondern nur solch eine Klang-Atmosphäre schaffen. Dazu hat George Martin das Tonband einer Aufnahme in viele kleine Schnipsel zerschnitten und völlig willkürlich neu zusammen geklebt. Als selbst das noch so klang wie ein bekanntes Stück, haben sie es nochmal in noch kleinere Stücke zerteilt und sie so lange vorwärts und rückwärts vertauscht, bis endlich dann nur noch ein Klang-Kollagen-Sound entstanden war. Das waren Tricks, die von den Elektronik- und Avantgarde-Musikern kamen. Die hatten damals nämlich bereits die Studiowelt für ihre Musik sehr intensiv erforscht.
Was denken Sie, Herr Kramarz, hatte George Martin irgendetwas mit der Auflösung der Beatles zu tun?
George Martin war eine Figur, die eigentlich alles bei den Beatles miterlebt hat. Er fing an als große Vaterfigur, die zutiefst bewundert wurde und endete als jemand, der fast überflüssig erschien. Die Beatles waren erwachsen geworden und wollten sich nicht mehr hineinreden lassen. Sie wollten selbst am Mischpult sitzen und selbst bestimmen, welche Instrumente, Musiker und Klänge verwendet werden. Am Schluss musste er erkennen, dass man ihn weder brauchte noch wollte. Sie holten dann in der letzten Phase sogar noch die US-amerikanische Produzentenlegende Phil Spector ans Mischpult. Das war zweifelsohne bitter für Martin. Aber mit der Auflösung der Band hatte er nichts zu tun - er hätte, wenn man ihn weiterhin gelassen hätte, sicher noch gerne weitergemacht.
Das Gespräch führte Conny Paul
Der Musikwissenschaftler Dr. Volkmar Kramarz beschäftigt sich mit den Forschungsschwerpunkten Popularmusik und auditive Produktionen. Er ist selbst aktiver Rockgitarrist, Radiojournalist und Autor mehrerer Lehrbücher wie "Die Pop Formeln" oder "Die HipHop Formeln".