1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikGeorgien

Georgien: Die Dornen der Rosenrevolution

Juri Rescheto | Jennifer Pahlke
23. November 2023

Zwischen Russland und dem Westen: 20 Jahre nach der Rosenrevolution in Georgien ringt das Kaukasus-Land weiter um seinen Kurs. Das politische Erbe des gewaltfreien Aufstands ist bis heute umstritten.

Massenprotest auf dem Hauptplatz in Tiflis (09.11.2003)
Dauerproteste in Tiflis im November 2003: Forderungen nach mehr DemokratieBild: Beso Gulashvili/AFP

Die Orientierung am Westen ist geblieben. Mit der sogenannten Rosenrevolution vor 20 Jahren wurden in Georgien Grundsteine für ein demokratisches Regime gelegt.

Mehr noch: Zurzeit strebt eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung der ehemaligen Sowjetrepublik nach einer Umfrage des International Republican Institute eine EU-Mitgliedschaft an.

Hunderttausende Georgierinnen und Georgier gingen im November 2003 tagelang für Demokratie und Reformen auf die Straße. Der Begriff Rosenrevolution geht auf ein Zitat des ersten georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia (1939 - 1993) zurück: "Wir werden Rosen statt Kugeln auf unsere Feinde werfen."

Der Name war Programm. Ohne einen Tropfen Blut vollzog sich vor 20 Jahren in Tiflis ein Umsturz. Nachdem Demonstranten am 22. November 2003 das Parlamentsgebäude und die Staatskanzlei in Tiflis gestürmt hatten, reichte der damalige Präsident Eduard Schewardnadse am 23. November seinen Rücktritt ein.

Erst protestieren, dann regieren

Politikwissenschaftler George Mchedlischwili von der Europäischen Universität in Tiflis war dabei. Der damals Dreißigjährige erinnert sich im DW-Interview: "Ich war sehr aufgeregt und hoffnungsvoll. Ich war zwar nicht alle zwanzig Tage bei den Protesten dabei, wurde aber natürlich von der Stimmung mitgerissen!".

"Rosen statt Kugeln": Protestierende feiern den Rücktritt des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse am 23.11.2023Bild: Sergei Ilnitsky/dpa/picture-alliance

Die vorherrschende Stimmung in der Bevölkerung beschreibt er mit zwei Wörtern: "Es reicht!" Das gesamte Land sei für Reformen bereit gewesen. "Deshalb waren die Proteste erfolgreich und verliefen unblutig."

Unter den mit Rosen "bewaffneten" Demonstranten befand sich auch Michail Saakaschwili, Gründer und Chef der Mitte-Rechts-Partei "Vereinte Nationale Bewegung". Saakaschwili wurde im Januar 2004 mit einer überwältigenden Mehrheit von 96 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt. Er versuchte, das Land in eine Demokratie zu verwandeln, die beispielhaft für andere postsowjetische Staaten sein sollte.

Wirtschaftlicher Aufschwung

"In den ersten Jahren gelang es der neuen Regierung, Georgien zu einem funktionierenden Staat zu machen", analysiert Politikwissenschaftler Mchedlischwili. Die öffentlichen Einrichtungen seien damals "extrem ineffizient" gewesen.

Die Reformen der Regierung sollten wirtschaftliche Liberalisierung, Bürokratieabbau und Westorientierung voranbringen. Dies schien zunächst zu gelingen. Nach Angaben internationaler Ranking-Agenturen wie dem Corruption Perception Index ging die Korruption tatsächlich zurück. Und auch die Wirtschaft wuchs rasant - von Platz 112 auf Platz 11 im Doing Business Index der Weltbank.

Doch trotz großer Fortschritte wuchs die Kritik an Saakaschwilis autoritärem Führungsstil. Nur vier Jahre nach der Rosenrevolution kommt es erneut zu Massenprotesten, bei denen der Rücktritt Saakaschwilis gefordert wird.

Diesmal sind die Proteste weniger friedlich. Präsident Saakaschwili lässt sie gewaltsam auflösen. Schließlich tritt er am 25. November 2007 zurück, um eine vorgezogene Präsidentenwahl zu ermöglichen.

Triumphales Comeback

Saakaschwilis Abwesenheit ist jedoch nur von kurzer Dauer, da er die Präsidentenwahl am 5. Januar 2008 mit 53 Prozent der Stimmen gewinnt. Seine anfänglichen Reformen geraten allerdings immer mehr ins Stocken, woraufhin seine Popularität sinkt.

Hoffnungsträger Saakaschwili bei einer Protestveranstaltung vor dem Parlamentsgebäude (23.11.2003)Bild: Sergei_Ilnitsky/dpa/picture-alliance

2012 verliert die "Vereinte Nationale Bewegung" schließlich bei den Parlamentswahlen die Mehrheit. Bei der Präsidentenwahl 2013 darf Saakaschwili nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.

Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch werden eingeleitet. Der einstige Revolutionsheld flieht ins Ausland, kehrt aber 2021 in seine Heimat Georgien zurück, wo er verhaftet wird und sich bis heute im Gefängnis befindet.

Vom Held zum Häftling

Das Erbe von Micheil Saakaschwili und damit auch der Rosenrevolution ist in Georgien sehr umstritten. Ein Teil der Bevölkerung sieht in "Mischa", wie er beim Volk liebevoll genannt wird, einen Reformer, der Korruption bekämpfte und der jungen Generation neue Chancen eröffnete. Ein anderer Teil betrachtet ihn als autoritären Führer, der die Medien zum Schweigen brachte, seine Kritiker verfolgte und Gewalt in den Gefängnissen zuließ.

Die heutige Regierungspartei "Georgischer Traum", die mit Saakaschwilis Partei verfeindet ist, betrachtet die Rosenrevolution als ein negatives Kapitel in der georgischen Geschichte. Sie trägt die westlichen Sanktionen gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine nicht mit. 

Ex-Präsident Saakaschwili per Videoschalte bei einer Gerichtsverhandlung in Tiflis (im Dezember 2022)Bild: VANO SHLAMOV/AFP/Getty Images

Tornike Scharashenidse vom Georgischen Institut für Internationale Beziehungen hebt dagegen eine insgesamt eher positive Wahrnehmung der Rosenrevolution in der georgischen Bevölkerung hervor. "Wenn Saakaschwili mit der Politik aufhört, wird die Wahrnehmung seines Erbes in 20 bis 30 Jahren besser sein", prognostiziert er.

Selenskyj fordert Freilassung

Trotz seiner Inhaftierung, so Scharaschenidse, sei Saakaschwili immer noch die treibende Kraft hinter der größten Oppositionspartei. Laut Politikwissenschaftler George Mchedlischwili brauchten die Menschen in Georgien 20 Jahre nach der Rosenrevolution eine "neue politische Bewegung, die im Interesse Georgiens handelt".

"Die Rosenrevolution wird als ein Fall in die Geschichte eingehen, bei dem eine neue Führung, die auf der Unterstützung des Volkes reitet, ein korruptes Regime geändert hat", so Mchedlischwilis Analyse. Dauerhafte Veränderungen seien aber ohne Menschen unmöglich.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich mehrfach für die Freilassung von Saakaschwili eingesetzt, der auch die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzt. Selenskyj hatte ihm im April 2020 das Amt des stellvertretenden Premierministers angeboten.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen