Georgien: Experten fürchten Verbot der Opposition
8. Oktober 2025
Das georgische Innenministerium hat die Festnahme von 13 Personen gemeldet. Sie sollen an den Unruhen am Tag der Kommunalwahlen am 4. Oktober beteiligt gewesen sein. Auch alle fünf Organisatoren der in Tiflis abgehaltenen Kundgebung wurden festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, zum Sturz der Regierung aufgerufen und Gewaltaktionen organisiert zu haben.
Die regierende Partei Georgischer Traum spricht von einem Putschversuch und Premierminister Irakli Kobachidse hat denjenigen mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht, die an den Zusammenstößen mit der Polizei beteiligt waren. In der Zivilgesellschaft wächst daher die Sorge, Andersdenkende könnten bald verfolgt werden.
Die Behörden erklären, es bestünden Verbindungen zwischen den jüngsten Unruhen und jenen Demonstranten, die seit fast einem Jahr täglich vor dem Parlament Georgiens demonstrieren. Zudem werfen sie der Europäischen Union vor, einen Putschversuch unterstützt zu haben. Aus Sicht der Aktivisten und Demonstranten werden die Ereignisse vom 4. Oktober jedoch nur als Vorwand für Repressionen genutzt.
Akt der Verzweiflung oder eine Provokation?
An diesem Tag war es bei Protesten der Opposition vor dem Präsidentenpalast Orbeliani zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Die Organisatoren, die Zehntausende zu einer "friedlichen Revolution" versammelt hatten, riefen die Demonstranten plötzlich auf, "staatliche Institutionen zu besetzen". Vergleichsweise wenige Teilnehmer rissen daraufhin einen Zaun um und versuchten, in den Präsidentenpalast einzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein, offiziell gab es auf beiden Seiten Verletzte.
Ursprünglich hatte die Opposition zum Boykott der ihrer Ansicht nach manipulierten Kommunalwahlen aufgerufen. Sie spricht der regierenden Partei Georgischer Traum zudem die Legitimität ab. Die Parteien Lelo und Für Georgien von Ex-Premierminister Giorgi Gacharia entschieden sich jedoch gegen den Boykott und traten bei den Wahlen an. Aber auch sie unterstützten den Protest. Als plötzlich von der Bühne zum Sturm auf den Präsidentenpalast aufgerufen wurde, verließen die meisten Teilnehmer die Kundgebung, andere setzten ihren friedlichen Protest fort.
Den Sturm auf den Orbeliani-Palast wertet der Politikwissenschaftler Tornike Scharaschenidse als Akt der Verzweiflung der Oppositionellen. "Vielleicht hofften sie auf eine Spaltung innerhalb der Regierungspartei. Darauf, dass einige Polizisten auf ihre Seite überlaufen. Als das nicht geschah, beschlossen sie, den Palast zu stürmen, den sie offenbar für unbewacht hielten. Am 4. Oktober witterten diejenigen Oppositionskräfte ihre Chance, die meinten, man könne die Regierung nur gewaltsam stürzen. Aber sie sind gescheitert", sagt er der DW.
Der politische Kommentator Gela Wasadse vermutet hinter den Unruhen eine Provokation. Irgendjemand habe den Oppositionellen eingeredet, dass ein gewaltsamer Machtwechsel gelingen würde. "Ich kenne fast alle Organisatoren der Proteste persönlich. Ich glaube nicht, dass sie selbst Provokateure waren. Jemand hat sie hintergangen und instrumentalisiert." Das Narrativ der Behörden, die Opposition plane einen Putsch, sollte offenbar auf diese Weise bestätigt werden, sagt er der DW.
Zahlreiche georgische Aktivisten teilen diese Meinung und warnen in sozialen Medien vor Provokateuren, nennen aber meist keine Namen. Viele glauben, die jüngsten Unruhen seien von der Regierung inszeniert, weil sie einen Vorwand bieten, um Oppositionelle zu diskreditieren und festzunehmen.
Zudem waren viele Demonstranten über den unerwarteten Aufruf zum Sturm auf den Palast des Präsidenten erstaunt. In sozialen Medien verurteilen sie die Gewalt und werfen den Veranstaltern Verantwortungslosigkeit vor. Gela Wasadse zufolge fühlen sich viele der Demonstranten ausgenutzt. "Wir erleben den völligen politischen Bankrott der Opposition. Es zeigt sich, dass sie völlig unfähig ist, auf Herausforderungen zu reagieren", sagt er. Nun würden sich alle fragen, wie es weitergehen solle.
Festnahmen und verschärfte Gesetze
Wer an den Zusammenstößen beteiligt war, muss damit rechnen, vor Gericht gestellt zu werden. Es gibt bereits erste Festnahmen. Zumal in diesem Jahr auch die Gesetzgebung verschärft wurde. Immer wieder werden Oppositionelle und aktive Demonstranten festgenommen oder sitzen bereits im Gefängnis.
Tornike Scharaschenidse glaubt aber nicht an Massenverhaftungen durch die Behörden. "Ich denke, die Festnahmen werden nur diejenigen treffen, die an den Zusammenstößen beteiligt waren. Wer nur Straßen blockiert, wird eher nicht ins Visier genommen", so der Politikwissenschaftler.
Premierminister Irakli Kobachidse teilte in der Nacht zum 6. Oktober mit, "extremistische Gruppen" würden "Parteien, Medien und NGOs" finanzieren. Die Gruppen bestünden aus Menschen, die seit fast einem Jahr an Protesten in Tiflis teilnehmen. "Wir haben kein Mitleid mit diesen Leuten", betonte Kobachidse. Und der Abgeordnete Tengis Scharmanaschwili von der Regierungspartei Georgischer Traum erklärte, die Behörden würden keine Straßenblockaden mehr dulden.
Schon am Abend des 6. Oktober kursierten Berichte in sozialen Medien, unbekannte maskierte Männer hätten den Aktivisten Wacho Pitzchelauri in seinem Laden festgenommen. Er war bei den täglichen Protesten auf der Rustaweli-Allee in Tiflis dabei. Inzwischen ist bekannt, dass er einer der 13 Festgenommenen ist. Bereits im Januar soll er von maskierten Männern vorübergehend verschleppt worden sein. Er wurde angeblich geschlagen, ausgeraubt und mit dem Tod bedroht. Unklar ist, ob er er an den jüngsten Unruhen wirklich beteiligt gewesen war.
Nutzt die Regierung die Situation aus?
Der politische Beobachter Gela Wasadse geht davon aus, dass die Behörden die Situation vor allem dazu nutzen, um gegen die Oppositionsparteien vorzugehen. Er erinnert zudem an den parlamentarischen Ausschuss, der Verstöße während der Präsidentschaft von Micheil Saakaschwili untersucht hatte. Acht Oppositionspolitiker wurden inhaftiert, weil sie sich weigerten, an den Ausschusssitzungen teilzunehmen.
Und als im September die Ergebnisse des Ausschusses veröffentlicht wurden, kündigte Premierminister Irakli Kobachidse an, die Partei Vereinte Nationale Bewegung des ehemaligen Präsidenten für verfassungswidrig zu erklären. Auch ihre "Satellitenparteien" sollen verboten werden.
Die Regierung wolle alle oppositionellen Kräfte faktisch verbieten, so Wasadse. Er betont: "Die Behörden betrachten alle Oppositionsparteien als Satelliten der Vereinten Nationalen Bewegung, selbst die, die an den Kommunalwahlen teilgenommen haben. Schon vor dem 4. Oktober hieß es, die Opposition plane einen Putsch. Jetzt hat man ein Argument."
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk