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Georgiens Kulturszene zwischen Russland und Europa

17. Mai 2024

In Georgien demonstrieren Hunderttausende gegen eine Abkehr vom Europakurs ihres Landes. Besonders alarmiert von dem neuen "russischen Gesetz", das westlichen Einfluss zurückdrängen soll: die Kulturszene.

Themenpaket | Georgien Proteste EU
In Georgien gehen die Demonstrationen gegen das neue Agentengesetz weiterBild: Davit Kachkachishvili/AA/picture alliance

"Der Fluss der Menschen reißt nicht ab", steht auf ihren blauen Bändern. Autoren, Künstler, Filmleute und Intellektuelle mischen sich unter die - bisher friedlichen - Protestmärsche in den Straßen von Tiflis und anderen georgischen Städten. "Der unabhängige Kultursektor, der Georgien viel internationales Ansehen verschafft hat, ist seit Monaten gezwungenermaßen im Dauerprotest", sagt Sonja Katharina Schiffers, Leiterin des Südkaukasus-Büros der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung in Tiflis. Und das hat Gründe.

Sonja Katharina Schiffers leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in TiflisBild: Heinrich-Böll-Stiftung

Vordergründig richten sich die Proteste gegen das sogenannte Agentengesetz. Damit verschärft die Regierungspartei "Georgischer Traum" die Rechenschaftspflicht von Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent Geld aus dem Ausland erhalten. "Damit werden unabhängige Medien wie wir benachteiligt, aber genauso alle nicht-staatlichen, nicht-kommerziellen Organisationen, die in Georgien arbeiten", sagt im DW-Interview Nino Lomadze, Mitgründerin und Redakteurin des regierungskritischen Magazins "INDIGO". Vor allem die Unabhängigkeit der Medien sieht sie in Gefahr: "Es sind sehr problematische Vorschriften, die es der Regierung erlauben, alles zu kontrollieren und zu unterdrücken", so die Journalistin. Die internationale Unterstützung sei unverzichtbar.

Regierung weitet Einfluss auf die Kultur aus

Tatsächlich versucht Georgiens Regierung schon seit längerem, ihren Einfluss auf das Kulturleben massiv auszubauen. Mit dem Schriftstellerhaus in Tiflis und dem Nationalen Filmzentrum wurden in den vergangenen zwei Jahren zwei wichtige Kulturinstitutionen unter Regierungskontrolle gebracht.   Filmmanager Gaga Chkheidze, lange Leiter des renommierten "Tblisi International Film Festivals", fiel bei den Regierenden in Ungnade, weil er nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 öffentlich kritisierte, dass Georgien sich nicht sogleich von Russland distanzierte. Chkheidze verlor seinen Leiterposten beim Nationalen Filmzentrum, Filmförderungen wurden gestrichen, das Budget des Filmfestivals gekürzt. Dessen ungeachtet verlieht ihm Deutschland 2023 die Goethe-Medaille, das offizielle Ehrenzeichen des deutschen Staates, ein Signal der Ermutigung.

Gaga Chkheidze: Kino-Kämpfer aus Tiflis

08:12

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Vor diesem Hintergrund rücken auch die aktuellen Proteste in ein klareres Licht: "Es geht eindeutig darum", sagt der auch in Deutschland bekannte Schriftsteller Giorgi Maisuradze ("Sonniges Georgien", 2015), "dass die regierende Partei praktisch ihre Alleinherrschaft etabliert." Der Kulturwissenschaftler spricht deshalb, wie viele andere Kritiker, von einem "russischen Gesetz". Das solle - nach russischem Vorbild - zum einen die Zivilgesellschaft gängeln, sei aber vor allem ein Symbol für die Schicksalsfrage, vor der Georgien heute stehe: Wird Georgien eine Autokratie im Einflussbereich Russlands? Oder bleibt es auf seinem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat?

Der Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Giorgi Maisuradze sieht sein Land an einem historischen Wendepunkt

Gegen einen "Kurswechsel" Georgiens

Georgien - quo vadis? "Wir sind gegen diesen Kurswechsel", sagt Lasha Bakradze, "weg von Europa, hin zu Russland." Der Dokumentarfilmer, Historiker und Germanist leitet das Literaturmuseum in Tiflis. "Das Gesetz mauert den Weg nach Europa zu", fürchtet er, "aber keiner hier will in Russland leben, sondern in den demokratischen Strukturen eines Rechtsstaats." In diesem Punkt seien sich nahezu alle Georgier einig: "Wir haben erfahren, was es bedeutet, mehr als zwei Jahrhunderte unter russischem Einfluss zu leben", sagt die INDIGO-Redakteurin Nino Lomadze. "Wir wissen, was das bedeutet!" Deshalb bekräftigt sie: "Wir haben keine Wahl!"

Es war Salomé Jashi, die das Ringen Georgiens um seine Zukunft bereits 2021 sehr poetisch - und subtil politisch - in Szene setzte. Ihr Dokumentarfilm "Taming the Garden" (deutscher Titel: Die Zähmung der Bäume) erzählt die Geschichte von jahr­hun­der­te­alten Bäumen, die ein einfluss­rei­cher Mann ausgraben lässt: Sie sollen seinen Privatpark schmücken. Der Mann - mutmaßlich Georgiens Ex-Ministerpräsident und Parteiführer des "Georgischen Traums", Bidsina Iwanischwili, der sein Milliardenvermögen im Finanz- und Rohstoffgeschäft gemacht hat - bleibt im Film unerwähnt. Doch bis heute darf "Taming the Garden" in Georgien nicht gezeigt werden.

"Für mich war der Baum nicht nur ein Baum", sagt Regisseurin Salomé Jashi im DW-Gespräch, "sondern eine Metapher für Kulturen, für Menschen, für Gesellschaften, für Werte, für Entwurzelung." Für sie sei das eine "metaphorische Reise" gewesen. "Heute, wo wir mit diesem Gesetz, mit russischem Recht konfrontiert sind, wird es plötzlich real: Ich fühle mich, mein ganzes Land und meine Gesellschaft entwurzelt."

Es geht um Georgiens demokratische Zukunft

Junge Menschen demonstrieren am 14. Mai vor dem Parlament der georgischen HauptstadtBild: VANO SHLAMOV/AFP/Getty Images

Nicht nur für sie steht die demokratische Zukunft Georgiens auf dem Spiel. Auch Giorgi Maisuwradze spricht von einem "historischen Moment" für sein Land. Er möchte sich nicht ausmalen, was geschieht, wenn die Proteste erfolglos bleiben. "Wir erwarten, dass der Westen jetzt nicht nur zuschaut, sondern auch handelt." Dazu gehörten vor allem Sanktionen gegen reiche und politisch einflussreiche Georgier. "Sonst ist Georgien verloren!", so Maisuradze.

Erst einmal liegt das vom Parlament verabschiedete "Transparrenzgesetz" bei der Präsidentin. Bis zu den georgischen Präsidentschaftswahlen im Oktober dürften die Demonstrationen weitergehen. "Der Straßenprotest bleibt wichtig," sagt Sonja Schiffers von der Heinrich-Böll-Stiftung, "weil er auch nach außen zeigt, dass die Gesellschaft weiterhin proeuropäisch orientiert ist." Das sehen auch viele Kulturleute so.

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