Gerüchte um das Gottesteilchen
4. Juli 2012Deutsche Welle: Herr Gillies, leider können Sie ja nichts darüber sagen, was am Mittwoch genau bekannt gegeben werden wird. Aber was ist der Stand der Dinge beim Higgs-Teilchen, was dürfen Sie sagen?
James Gillies: Der Teilchenbeschleuniger LHC hat gute Arbeit geleistet! Wir haben bis Ende Juni mehr Daten gesammelt und analysiert als im gesamten letzten Jahr. Und deswegen können wir jetzt sagen, ob das Higgs-Teilchen existiert ...
Was hat es mit dem Higgs-Teilchen eigentlich auf sich? Warum ist es so wichtig?
Das Higgs-Boson ist ein sehr wichtiges Bausteinchen für ein besseres Verständnis des Universums und der Frage, woraus es besteht. Der britische Physiker Peter Higgs hat es 1964 entwickelt, um ein grundlegendes Problem der theoretischen Physik zu lösen. Das Higgs-Teilchen soll der Materie ihre Masse verleihen und damit Leben erst möglich machen.
Der Grund für den ganzen Wirbel um das Higgs-Teilchen ist, dass es schon seit sehr langer Zeit theoretisch existiert - aber nur durch mathematische und physikalische Gleichungen und Formeln. Mit den Versuchen am LHC-Teilchenbeschleuniger können wir nun erstmals untersuchen, ob dieses Teilchen wirklich existiert, ob wir in der theoretischen Physik ganz grundlegend umdenken müssen. Deshalb sind die Erwartungen an die Pressekonferenz am Mittwoch sehr, sehr hoch!
Das ist ja alles gut und schön und für Physiker sicherlich ein ganz großer Tag - aber man fragt sich auch, ob wir heutzutage so viel Geld ausgeben sollen für Dinge wie den LHC-Teilchenbeschleuniger - um winzige Teilchen zu suchen und zu verstehen, wie das Universum entstanden ist. Wo liegt der praktische Nutzen?
Der praktische Nutzen ist sogar ziemlich groß. Aber zunächst ein paar Worte zu unserem Etat. Das Jahresbudget des CERN, mit dem wir über vier Jahre verteilt den LHC-Teilchenbeschleuniger gebaut haben, ist vergleichbar mit dem Etat einer einzigen großen Universität. Wir sind also, wenn Sie so wollen, eine sehr zielgerichtete große Universität in der europäischen und weltweiten Forschungslandschaft. Sehr viele kluge und motivierte Leute aus der ganzen Welt kommen hierher und forschen gemeinsam an wichtigen Zukunftsfragen.
Das bekannteste Beispiel für eine Technik, die aus dem CERN stammt, ist das World Wide Web. Der Gewinn, den das Internet der Welt beschert hat, ist um ein Vielfaches größer als das, was die gesamte jemals geleistete Grundlagenforschung gekostet hat. Außerdem kommen viele IT-Firmen zu uns, um Belastungstests ihrer neuen Produkte durchzuführen. Technik, die für den LHC-Teilchenbeschleunigung entwickelt wurde, wird jetzt in Sonnenkollektoren eingesetzt und so weiter. Es gibt viele Entwicklungen, die hier ihren Anfang nehmen, von der Grundlagenforschung ganz zu schweigen.
Das Interview führte Zulfikar Abbany
James Gillies ist Pressesprecher am Europäischen Zentrum für Teilchenphysik CERN bei Genf. Dort wollen Wissenschaftler am Mittwoch (04.07.2012) die neuesten Ergebnisse ihrer Suche nach dem ominösen Higgs-Teilchen der Öffentlichkeit vorstellen. Kurz nach der Ankündigung dieser Pressekonferenz meldeten sich US-Physiker vom Fermi National Accelerator Laboratory bei Chicago und behaupteten, Hinweise auf das Higgs-Boson gefunden zu haben. Sie räumten allerdings ein, dass die Erkenntnisse noch nicht ausreichend für einen wissenschaftlichen Nachweis seien.
Das Higgs-Boson ist ein hypothetisches Elementarteilchen, von dem man annimmt, dass es schon zur Zeit des Urknalls existierte. Forscher vermuten, dass es an der Entstehung der Planeten, Sterne und Galaxien beteiligt war. Der Nachweis des Teilchens wäre ein wissenschaftlicher Durchbruch, mit dem wir die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Natur besser verstehen würden. Um Hinweise auf seine Existenz zu finden, führen die Wissenschaftler Experimente mit dem Large Hadron Collider, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt, am CERN bei Genf durch.