Kein anderer Stürmer hat so oft in der Bundesliga getroffen wie Gerd Müller. Mit dem FC Bayern und der DFB-Elf feierte er zahlreiche Titel. 2015 wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert, nun ist er mit 75 Jahren gestorben.
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"Als Mittelstürmer musst du wissen, wo das Tor steht", erklärte Gerd Müller einst. "Und das hab ich gewusst." Der wendige Stürmer war ein Phänomen, seine Spielweise unverkennbar. Oft mit dem Rücken zum Tor, erwischte Müller auch den Ball auch noch, wenn er eigentlich zu weit in seinen Rücken gespielt worden war. So fiel auch der Treffer, den Müller selbst als "sein wichtigstes Tor" bezeichnete: das 2:1 im WM-Finale von München gegen die Niederlande, der Treffer, der Deutschland 1974 zum zweiten Mal zum Weltmeister machte. "Ich habe den Ball schlecht gestoppt, aber schnell reagiert mit dem rechten Fuß", beschrieb Müller sein Tor Jahre später. "Und dann war er drin."
Dieses "dann war er drin" galt auch in Müllers restlicher Karriere hundertfach. Er machte nicht unbedingt immer schöne Tore, aber viele. In der großen Bayern-Mannschaft der 70er Jahre, gespickt mit Stars wie Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Paul Breitner und Uli Hoeneß, war Gerd Müller einer der wichtigsten Bausteine. "Diese Lebensversicherung, die war einzigartig. Du hast gewusst: Irgendwie macht er ein Tor", beschrieb Breitner die Fähigkeiten Müllers in einer Dokumentation des Norddeutschen Rundfunks zum 75. Geburtstag des Torjägers und stellte fest: "Er ist das größte Genie, dass ich im Fußball erlebt habe."
"Bomber" und Rekordtorschütze
Müller kommt 1964 als 18-Jähriger aus der bayerischen Provinzstadt Nördlingen, wo er in der Landesliga gespielt hat, zum FC Bayern. Die Ablösesumme für den späteren Weltklassestürmer beträgt damals nur 4400 Mark, ein Betrag, der sich im Laufe der folgenden Jahre für die Bayern zig-fach rentieren wird. Bei seiner Ankunft in München hat Müller für einen Fußballprofi noch ein paar Kilogramm zu viel auf den Rippen. Sein erster Bayern-Trainer, Tschik Cajkovski, gibt ihm den Spitznamen "kleines, dickes Müller" und verbannt ihn erst einmal in die Regionalliga-Mannschaft. Später setzt sich erst der Spieler im Profi-Team, dann der Spitzname "Bomber" durch.
Gerd Müller: Der "Bomber der Nation"
Der legendäre Torjäger des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft, Gerd Müller, ist noch heute für viele Nachwuchsspieler ein Vorbild. Nun ist er im Alter von 75 Jahren verstorben. Sein Leben in Bildern.
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Einfach einmalig
Herausragender Sportler, guter Freund und bescheidener Charakter - so beschreiben Freunde und Weggefährten Gerd Müller. "Er war wahrscheinlich der allergrößte Stürmer, den wir in Deutschland hatten", sagte Bundestrainer Joachim Löw anlässlich des 70. Geburtstags Müllers. "Einen Stürmer wie ihn werden wir so nie mehr sehen."
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Anfänge als "kleines dickes Müller"
Bereits als Teenager wechselt Gerd Müller 1964 aus seiner schwäbischen Heimat Nördlingen zum FC Bayern. Trainer Zlatko "Tschik" Čajkovski ist anfangs wenig begeistert vom nur 1,76 Meter kleinen Stürmer. Als "kleines dickes Müller" wird Gerd für den Trainer aber noch sehr wertvoll...
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Der erste große Titel
Nach dem DFB-Pokalsieg 1966 spielen die Bayern im Europapokal der Pokalsieger. Den gewinnen sie 1967, auch dank der Tore ihres jungen Mittelstürmers Gerd Müller.
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Glücklich verheiratet
Einen weiteren Grund zum Feiern gibt es kurz danach. Gerd Müller heiratet im August 1967 seine Freundin Uschi Ebenböck. Die Ehe hält.
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Torrekorde in Schräglage
Die Spielweise von Gerd Müller gilt als unkonventionell. Durch seine kurzen Beine und einen besonders niedrigen Körperschwerpunkt gelingen ihm Tore aus allen Lagen: im Liegen, mit dem Po oder auch mal im Fallen. So bringt er es in 427 Bundesliga-Spielen auf den wohl ewig bestehenden Rekord von 365 Toren.
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Unverzichtbar für den DFB
Auch für die deutsche Nationalmannschaft wird Gerd Müller schnell unersetzlich. Bei seiner ersten WM 1970 in Mexiko wird er auf Anhieb mit zehn Treffern Torschützenkönig. Beim spektakulären Viertelfinalsieg gegen England erzielt er in der Verlängerung das Siegtor zum 3:2. In jenem Jahr wird Müller als erster Deutscher zu "Europas Fußballer des Jahres" gekürt.
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Europameister 1972
Auch bei der Europameisterschaft 1972 wird Müller Torschützenkönig. Sowohl im Halbfinale beim 2:1 gegen Gastgeber Belgien (Bild) als auch beim 3:0 im Endspiel gegen die damalige Sowjetunion trifft Müller doppelt. Der Torjäger hat maßgeblichen Anteil daran, dass Deutschland erstmals den EM-Titel holt.
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Weltmeister 1974
Das nach eigenen Worten "wichtigste Tor" seiner Karriere erzielt der Bomber am 7. Juli 1974 in seinem "Wohnzimmer", dem Münchener Olympiastadion. Gegen die Niederlande schießt Gerd Müller die deutsche Nationalmannschaft mit seinem 2:1-Siegtreffer zu ihrem zweiten WM-Titel - 20 Jahre nach dem "Wunder von Bern".
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Rücktritt auf dem Höhepunkt
Nach dem WM-Finalsieg rauchen Müller und sein Freund Paul Breitner zur Feier des Tages dicke Zigarren. Später verkünden beide ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft, Müller mit 28, Breitner mit 22 Jahren. "Die Entscheidung würde ich heute nicht mehr so treffen", sagt Müller später. Breitner revidiert seine Entscheidung.
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Das bayerische Triumvirat
Insgesamt vier Meisterschaften, vier Pokalsiege und dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister holt Gerd Müller mit dem FC Bayern. Zusammen mit Torwart Sepp Maier und "Kaiser" Franz Beckenbauer gehört er zu den Stars und Erfolgsgaranten der Münchner.
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Auf in die Sonne
Nach den vielen Titeln bis Mitte der 1970er Jahre ist bei den Bayern etwas die Luft raus und auch Gerd Müller sucht eine neue Herausforderung. Also wechselt er 1979 ins sonnige Florida zu den Fort Lauderdale Strikers, wo er in zwei Jahren noch einmal auf fast 40 Tore kommt.
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Stärkung zwischendurch
Für die Zeit nach der Karriere eröffnet der Bomber 1981 das Steakhaus "Gerd Mueller's Ambry" in Fort Lauderdale. Das gibt es noch heute, auch wenn der Name des damaligen Besitzers inzwischen verschwunden ist. Nach dem Karriereende beim weniger bekannten Klub "Smith Brother's Lounge" zieht es ihn aber zurück nach München.
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München sagt "Servus"
Am 20. September 1983 bekommt Müller in München sein verspätetes Abschiedsspiel. Der FC Bayern gewinnt gegen die Nationalmannschaft mit 4:2. Müller gehört ausgerechnet in diesem Spiel nicht zu den Torschützen. Nach der Karriere fehlt Müller die Perspektive, er verfällt dem Alkohol.
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Neue Aufgabe
Sein Freund Uli Hoeneß kommt ihm zu Hilfe und überredet ihn zu einem Alkoholentzug. "Die ersten Tage wünsche ich nicht mal meinem größten Feind", erinnert sich Müller später, nachdem er trocken geworden ist. "Ich war im Bett angebunden und habe mich losgerissen. Es war die Hölle." Hoeneß verschafft ihm 1992 einen Platz als Amateurtrainer des FC Bayern.
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Alzheimer
2015 gibt der FC Bayern München bekannt, dass bei Müller Demenz aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung diagnostiziert worden sei und er in einem Pflegeheim betreut werde. "Der Gerd schläft seinem Ende entgegen", sagt Ehefrau Uschi anlässlich Müllers 75. Geburtstag im November 2020. "Er ist ruhig und friedlich, muss, glaube ich, auch nicht leiden. Er schläft langsam hinüber."
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365 Bundesliga-Tore erzielt Müller in 427 Spielen für den FC Bayern. Eine unerreichbare Zahl. Auch seine 68 Tore in der Nationalelf sind lange Rekord, bis Miroslav Klose Müller im Jahr 2014 übertrumpft. Müller wird mit dem FC Bayern viermal Deutscher Meister und viermal DFB-Pokal-Sieger. Er gewinnt dreimal den Europapokal der Landesmeister, wird Weltpokalsieger, dazu Welt- und Europameister. Siebenmal sichert er sich die Torjägerkanone als bester Torschütze der Bundesliga, in der Saison 1971/72 sogar mit 40 Saisontreffern. Diese Marke war bis 2021 unerreicht, ehe der aktuelle Bayern-Torjäger Robert Lewandowski Müllers Rekord in der Saison 2020/21 mit 41 Toren überbot.
Neue Heimat in Florida
Bis 1979 geht Müller für den FC Bayern auf Torejagd, dann verlässt er den Klub im Streit - sauer auf den Trainer wegen einer Auswechslung aus sportlichen Gründen. Er wechselt nach Fort Lauderdale in den US-Sonnenstaat Florida. Nach der Fußballerkarriere führt Müller dort mit seiner Ehefrau und Freunden ein Steakhaus. Bis Mitte der 80er Jahre bleibt er in Florida. Nach der Rückkehr nach München fällt Müller in ein Loch. Er hat keinen Job, keinen geregelten Tagesablauf und fängt an zu trinken. Müller wird schwer alkoholabhängig. Erst als es schon fast zu spät ist, rettet ihn die Initiative seiner alten Teamkameraden vom FC Bayern.
Uli Hoeneß, damals Bayern-Manager, bietet Müller Ende 1991 zunächst Hilfe, danach einen Job an. "Gerd, wenn du Hilfe brauchst und annimmst, sind wir bereit. Aber wir können dir nur helfen, wenn du dir helfen lassen willst", soll Hoeneß laut der Münchner "Abendzeitung" damals zu Müller gesagt haben. Müller streitet erst alles ab, überlegt dann eine Woche und entschließt sich zur Entziehungskur. Danach wird er in den Trainerstab der Münchner integriert. Für Gerd Müller beginnt eine Art zweite Karriere beim FC Bayern. Wenn er mit dem Klub auf Auslandsfahrten geht, ist oft er, der "Bomber", das Idol aus den 70er Jahren, die größte Attraktion. Fans aus aller Welt möchten fast häufiger sein Autogramm und mit ihm auf ein Foto als mit den Stars der aktuellen Mannschaft.
Stiller Abschied
Im Herbst 2014 zieht sich Gerd Müller aus gesundheitlichen Gründen von seinem Posten zurück. Ein Jahr später macht der FC Bayern öffentlich, dass Müller an Alzheimer erkrankt ist und abgeschirmt von der Öffentlichkeit in einem Pflegeheim betreut wird. "Er ist ruhig und friedlich, muss, glaube ich, auch nicht leiden. Er schläft langsam hinüber", sagt Müllers Ehefrau Uschi, mit der er seit 1967 verheiratet war, Anfang November 2020 der "BILD"-Zeitung. "Ich hoffe, dass er nicht nachdenken kann über sein Schicksal, über eine Krankheit, die dem Menschen die letzte Würde raubt."
Mit Müller ist eine Größe des deutschen Fußballs verstorben. Er selbst hat aber nie besonderen Wert darauf gelegt, im Mittelpunkt und Rampenlicht zu stehen. Still ist er mit 75 Jahren aus dem Leben geschieden, einem Leben, an das er selbst sich zuletzt nicht mehr erinnern konnte. In der Erinnerung der anderen - der Fans, seiner Mitspieler und Kollegen - und auch in der deutschen Fußball-Geschichte, wird Gerd Müller aber immer einen besonderen Platz behalten.