Urteil: Deutschland muss Afghanen Visa erteilen
8. Juli 2025
Die Bundesregierung muss einer afghanischen Familie aufgrund bestehender Aufnahmezusagen Visa für die Einreise nach Deutschland erteilen. Das entschied das Berliner Verwaltungsgericht am Dienstag im Zusammenhang mit dem Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan.
Kein Visum trotz Zusagen
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte der Familie im Oktober 2023 eine Aufnahmezusage erteilt. Daraufhin stellte sie bei der deutschen Botschaft in Islamabad einen Visumsantrag - dieser wurde jedoch nicht bewilligt, obwohl das Bundesprogramm zur Aufnahme gefährdeter Afghanen und Afghaninnen bereits im Herbst 2022 gestartet war.
Die Frau und ihre 13 Familienangehörigen reichten daraufhin einen Eilantrag ein. Sie machten geltend, einen Anspruch auf Visa zu haben und nicht länger in Pakistan bleiben zu können. Dort drohe ihnen die Abschiebung nach Afghanistan, wo sie um ihr Leben fürchten müssten. Das Berliner Verwaltungsgericht gab dem Antrag nun statt.
Das Auswärtige Amt (AA) ist nach der Entscheidung laut Gerichtssprecherin verpflichtet, sofort zu handeln. Gegen den Beschluss kann jedoch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg eingelegt werden. Sollte die Behörde das tun, könnte es zu Verzögerungen kommen.
Rechtliche Bindung durch Aufnahmezusage
Die Richter erklärten, die Bundesregierung habe sich "durch bestandskräftige, nicht widerrufene Aufnahmebescheide rechtlich zur Aufnahme gebunden". "Von dieser freiwillig eingegangen Bindung" könne sich Deutschland nicht lösen, hieß es weiter zur Begründung.
Zugleich betonte das Gericht, dass die Bundesregierung grundsätzlich frei entscheiden könne, ob und unter welchen Bedingungen das Aufnahmeprogramm fortgeführt wird. Im konkreten Fall könnten sich die Betroffenen jedoch auf die erteilte Zusage verlassen.
Aufnahmezusagen nach Machtübernahme der Taliban
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden mehrere Aufnahmeprogramme für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen eingerichtet. 2022 startete die damalige Bundesregierung ein Bundesaufnahmeprogramm, das monatlich bis zu 1000 Menschen die Einreise ermöglichen sollte.
Tatsächlich kamen jedoch deutlich weniger: Bis Ende April 2025 wurden nach Angaben des AA nur rund 1400 Menschen aufgenommen, zuletzt überwiegend Frauen und Kinder. Die Verfahren laufen über Pakistan, da es in Afghanistan keine deutsche Botschaft mehr gibt.
Die aktuelle Bundesregierung aus Union und SPD einigte sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf, die freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme "soweit wie möglich" zu beenden. Laut Auswärtigem Amt warten rund 2400 Menschen in Pakistan darauf, dass sie ein Visum bekommen.
Pro Asyl: Bundesregierung macht sich strafbar
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl forderte die Bundesregierung auf, nun "alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diese Menschen zu retten". Zudem legte Pro Asyl am Dienstag ein Rechtsgutachten zu den Aufnahmen vor. Demnach macht sich die Bundesregierung strafbar, wenn sie gefährdete Afghanen mit Aufnahmezusage im Stich lässt und diese von Pakistan aus nach Afghanistan abgeschoben werden. Den Betroffenen drohten in Afghanistan schwerste Menschenrechtsverletzungen - von Folter und Misshandlungen bis hin zu sexualisierter Gewalt und Tötungen.
ch/fab (dpa, afp, epd, KNA)