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German-American Day: So deutsch sind die USA

Susanne Spröer
6. Oktober 2020

Millionen deutscher Einwanderer haben Kultur und Leben in den USA mitgeprägt. Ein Blick auf wichtige, fast vergessene Episoden der gemeinsamen Geschichte.

Männer und Frauen stehen Hand in Hand auf der Straße bei der Steuben Parade in New York.
Steuben Parade 2017 in New YorkBild: picture-alliance/abaca/V. T. Dennis

45 Millionen US-Amerikaner haben deutsche Wurzeln. Der German-American Day am 6. Oktober erinnert seit 1987 in den USA daran, wie deutsche Einwanderer zu Kultur und Leben beigetragen haben. Eine Zeitreise:

1904 -  Das Ende einer Gemeinde: Die tragische Fahrt der "General Slocum"

Ob "Little Italy" oder "Chinatown": Bis heute sind in diesen lebendigen New Yorker Vierteln die Wurzeln der Bewohner offensichtlich. Davon, dass genau hier einst das Zentrum deutschen Lebens war, mit deutschen Straßenschildern, Biergärten und Kneipen, ist heute nur noch wenig zu spüren, vom trendigen "Loreley Biergarten" mal abgesehen. "Little Germany" wurde das Viertel an der Lower East Side zu Beginn des 20. Jahrhunderts genannt, damals lebten hier rund 50.000 Menschen, die meisten mit deutschen Wurzeln. 
Aus "Little Germany" kamen auch die über 1300 Passagiere des mit bunten Fähnchen behängten Schaufelraddampfers "General Slocum", der am 15. Juni 1904 zu einer Ausflugsfahrt auf dem East River ablegte. Es war Mittwoch, ein Arbeitstag, an Bord befanden sich vor allem Frauen und Kinder der evangelischen Gemeinde, die zum Picknick nach Long Island wollten. 
Der fröhliche Ausflug wurde zur Tragödie. Das Schiff fing Feuer, Panik brach aus. Die Rettungsboote ließen sich nicht losmachen, die Schwimmwesten waren kaputt. Als die "General Slocum" schließlich auf Grund lief, stand sie in Flammen, zahllose Leichen trieben im Fluss. 1021 Menschen starben: Bis heute ist es das größte zivile Schiffsunglück in der Geschichte der USA. Fast jeder Bewohner von "Little Germany" hatte Angehörige verloren. Die meisten Familien verließen die Gegend, die sie an das Unglück erinnerte. 1910 wohnten nur noch wenige deutsche Familien an der Lower East Side. Italiener und Chinesen übernahmen die Straßenzüge. "Little Germany" war verschwunden - wie so viele deutsche Spuren in den USA. Um sie zu entdecken, hilft der Blick zurück in die Geschichte ...

Die "General Slocum" sank 1904 im New Yorker East River - über 1000 Menschen starbenBild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Die deutsch-amerikanische Freundschaft

04:03

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1683 - Flucht nach Westen: Die "Original 13" möchten glauben, woran sie wollen

Mehr als zwei Monate lang war der Dreimaster "Concord" über den stürmischen Atlantik gesegelt, bevor er am 6. Oktober 1683 im Hafen von Philadelphia anlegte. An Bord waren auch 13 deutsche Familien, Mennoniten aus der Nähe von Krefeld. Die Idee eines englischen Quäkers hatte sie in die "Neue Welt" gelockt: Dieser William Penn wollte Religionsflüchtlingen Land zur Kolonialisierung zur Verfügung stellen. Denn in den deutschen Fürstentümern und Königreichen des 17. Jahrhunderts waren nur die katholische, die lutherische und die reformierte Kirche erlaubt, andere Glaubensrichtungen wurden verfolgt. In Penns Kolonie gründeten die "Original 13" genannten Familien "Deitschesteddel": die erste deutsche Siedlung in den heutigen USA. 1790, als die noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika ihre erste Volkszählung veranlassten, lebten 434.000 Menschen im Bundesstaat Pennsylvania, ein Drittel von ihnen mit deutschen Wurzeln. Bis heute wird ihr altertümlich klingendes "Pennsylvania Dutch" in einigen Gemeinden gesprochen, wie zum Beispiel bei den Amischen. Das ehemalige "Deitschesteddel" heißt heute "Germantown" und gehört zu Philadelphia. Auch in anderen Regionen der USA, wie im Mittleren Westen, z.B. in den Staaten Ohio, Illinois, Michigan oder Wisconsin, war der deutsche Einfluss groß: Hier leben die meisten deutschstämmigen Amerikaner und viele große Brauereien sind deutsche Gründungen.  

Quäker William Penn gründete Pennsylvania als Kolonie für Religionsflüchtlinge Bild: picture-alliance/Photoshot

Jedes Jahr am 6. Oktober wird mit dem German-American Day an die Ankunft der ersten deutschen Siedlergruppe erinnert.

Amische in Pennsylvania sprechen noch heute "Pennsylvania Dutch"Bild: Getty Images

Unabhängigkeit und Bürgerkrieg: Deutsche Militärs organisieren amerikanische Truppen

Einem waschechten Preußen ist es zu verdanken, dass die amerikanischen Kolonialisten den Unabhängigkeitskrieg (1775 - 1783) gegen die britische Kolonialmacht gewinnen konnten: Friedrich Wilhelm von Steuben. Der 1730 geborene Spross einer Soldatenfamilie hatte unter Preußenkönig Friedrich dem Großen gedient, bevor er in Paris Benjamin Franklin kennenlernte. Der empfahl ihn dem kommandierenden General der überseeischen Kolonialisten, George Washington. 1778 traf Steuben im Winterlager der "Continental Army" ein. Seine Aufgabe: aus den Freiwilligen, die eigentlich Bauern, Kaufleute oder Politiker waren, ein Heer zu bilden, das den britischen Berufssoldaten die Stirn bieten konnte. Mit preußischer Disziplin und Drill organisierte Steuben die Ausbildung der Soldaten so gründlich, dass sie die Briten besiegten.  Seit 1957 erinnert die jährliche Steuben-Parade in New York an einen der wichtigsten Deutsch-Amerikaner der Gründungszeit. 

Auch deutsche Soldaten kämpften mit Washington im amerikanischen UnabhängigkeitskriegBild: ullstein bild - histopics

Auch im amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) kämpften deutsche Militärs mit: wie Franz Sigel aus der Nähe von Heidelberg. Der deutsche Leutnant brachte es bis zum Generalmajor und gehörte zu den ranghöchsten Befehlshabern der Nordstaaten-Armee. Das damals sehr populäre Bürgerkriegs-Lied "I goes to fight mit Sigel" erinnert mit seinem deutsch-englisch radebrechenden Text an die rund eine halbe Million deutschen und deutschstämmigen Soldaten, die auf beiden Seiten am Krieg der Nord- gegen die Südstaaten teilnahmen.

1848: Frauenrechtlerin Mathilde Franziska Anneke und die "Forty-Eighters"

Franz Sigel hatte in Europa zu denjenigen gehört, die sich 1848 gegen die Fürsten und Könige aufgelehnt hatten. Nach dem Scheitern der Revolution war er in die USA geflohen. Genauso wie Fritz Anneke aus Westfalen (der später im Bürgerkrieg ebenfalls für die Nordstaaten kämpfte) und seine Frau Mathilde Franziska Anneke. Sie hatte schon in Europa als Journalistin gearbeitet, unter anderem für eine Zeitung, für die auch Heinrich Heine geschrieben hatte.
In den USA durfte sie nun tun, was in den deutschen Staaten verboten war: Sie hielt Vorträge für Bildungschancen, die Gleichstellung der Geschlechter und gegen die Sklaverei. 1852 gründete sie die deutschsprachige "Frauen-Zeitung", 1869 wurde sie erste Vize-Präsidentin der "National Woman Suffrage Association" - und damit eine der wichtigsten Frauen der US-amerikanischen Frauenbewegung.  

Mathilde Franziska Anneke wurde eine der führenden Frauenrechtlerinnen der USABild: Gemeinfrei

Auch andere "Forty-Eighters" machten in den USA Karriere: Der Revolutionär Friedrich Hecker engagierte sich für die neu gegründete republikanische Partei und Carl Schurz wurde Innenminister und Berater von US-Präsident Abraham Lincoln . 
Insgesamt waren die ehemaligen Revolutionäre aber nur eine kleine Gruppe unter den Auswanderern. Die meisten flohen vor Hunger und Armut gen Westen. Und es wurden immer mehr: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren eine Million Deutsche in die USA übergesiedelt. Erst gegen Ende des Jahrhunderts gingen die Zahlen zurück. 

1917: Im Ersten Weltkrieg wird aus Sauerkraut "Liberty Cabbage"

"Liberty Cabbage"? Typisch deutsches Sauerkraut mit Wacholderbeeren und PetersilieBild: Colourbox

1914 begann der Erste Weltkrieg. Als die USA 1917 in den Krieg eintraten, änderte sich auch das Verhältnis zu den Deutsch-Amerikanern in den USA. Deutsch-Amerikaner amerikanisierten ihre Namen, Behörden riefen zum Boykott deutscher Waren auf. Deutsche Begriffe verschwanden aus dem Sprachgebrauch. Sogar das beliebte "Sauerkraut" wurde umbenannt: "Liberty Cabbage" hieß es fortan. Und im Staat Illinois lauerte eine Meute dem Deutsch-Amerikaner Robert Prager auf, zwang ihn, die amerikanische Flagge zu hissen und die Nationalhymne zu singen. Schließlich wurde er aufgehängt. 

Schon zwischen den Weltkriegen war viel typisch Deutsches aus dem US-amerikanischen Alltag verschwunden. Und die Menschen, die ab 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland in die USA flohen, wollten mit dem Land, das Juden und andere missliebige Minderheiten verfolgte und millionenfach ermordete, nichts mehr zu tun haben. Viele wurden rasch Amerikaner. Wie Henry Kissinger, der spätere US-Außenminister: 1938 als Jugendlicher mit seiner jüdischen Familie aus Deutschland geflohen, nahm er 1943 die amerikanische Staatsangehörigkeit an und kämpfte als GI gegen sein Geburtsland. Anders als bei den später eingewanderten Italienern oder Chinesen sind die Spuren der Deutschen heute eher verborgen. Und so eng mit der amerikanischen Kultur verwoben, dass beides kaum zu trennen ist. Denn sogar seinen Namen verdankt das Land eigentlich einem Deutschen: dem Kartographen Martin Waldseemüller. Denn er gab dem neu entdeckten Land im Westen auf seiner Weltkarte von 1507 seinen Namen: "Amerika", nach dem Seefahrer Amerigo Vespucci. Der immerhin war kein Deutscher, sondern Italiener.  

US-Präsident Richard Nixon mit Henry Kissinger 1973Bild: AFP/Getty Images

Dies ist die aktualisierte Fassung eines früheren Artikels.

Zum Weiterlesen: 
Alexander Emmerich: Die Geschichte der Deutschen in Amerika. Von 1860 bis zur Gegenwart, Köln 2013
ZEIT Geschichte: Unser Amerika. Wie Deutsche die USA prägten, aus der Reihe ZEIT Geschichte, Band 3/2011

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