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Politik

"German Angst"? Deutsche werden mutiger

5. September 2019

Die Deutschen haben so wenig Ängste wie seit 1993 nicht mehr, sagt eine Langzeitstudie. Ein ordentliche Portion "German Angst" bleibt jedoch. Besonders vor Fremden fürchtet man sich hierzulande.

Symbolbild Angst
Bild: picture-alliance/chromorange

Es ist eines der wenigen Worte, die es aus dem Deutschen ins Englische geschafft haben: die Angst. Als "German Angst" ist sie weltberühmt wie Volkswagen, ein Markenzeichen und ein Alleinstellungsmerkmal.

Zwei Weltkriege, dann Flucht und Vertreibung und schließlich der Mauerbau hat dieses Volk im 20. Jahrhundert kollektiv furchtsam werden lassen, so die gängige Theorie. Waldsterben? Atomraketen? Ozonloch? Boten ausreichend Anlass, über den Untergang der Welt nachzudenken.

Der Terror und der Trump

In diesem Jahrhundert war es dann eher die Angst vor dem wirtschaftlichen Absturz, vor Terrorismus und zuletzt vor US-Präsident Donald Trump, die den Deutschen zu schaffen machte. All das hat die R+V-Versicherung herausgefunden, eine der größten Versicherungsgesellschaften Deutschlands. Seit 1992 befragt sie die Deutschen zu ihren Ängsten - schließlich leben Versicherungen von Furcht und Sorge.

Der Rückgang ihres Angst-Index auf 39 Prozentpunkte in diesem Jahr habe sie überrascht, sagt Brigitte Römstedt von R+V im Gespräch mit der DW. "Weil es ja doch drängende Probleme gibt wie zum Beispiel den Klimawandel. Aber wir sehen, dass in Jahren, in denen tatsächlich vorher die Angst sehr groß war, irgendwann Entspannung eintritt und das ist in diesem Jahr passiert." Außerdem habe sich die gute Konjunktur der vergangenen Jahre positiv ausgewirkt, so Römstedt weiter. "Die Angst vor Arbeitslosigkeit zum Beispiel ist so gering wie nie zuvor."

Weiter Furcht vor Flüchtlingen

Besonders groß ist in diesem Jahr die Angst davor, dass der Staat durch hohe Flüchtlingszahlen überfordert ist. 56 Prozent der Deutschen befürchten das – Platz eins im Sorgen-Ranking. Knapp dahinter rangiert die Befürchtung, dass es durch den weiteren Zuzug von Ausländern zu Spannungen kommt.

"Die wenigsten Menschen haben tatsächlich persönliche, unangenehme Erfahrungen mit Geflüchteten, die Sie verängstigten könnten ", erklärt Ulrich Wagner, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Marburg. Zudem ist die Zahl neuer Flüchtlinge seit 2016 stetig zurückgegangen. "Es ist eher die Debatte in Politik und Medien über dieses Thema, die solche Befürchtungen und Ängste auslöst", sagt Wagner der DW.

Die Angst sitzt tief im Osten

Wie intensiv ein Thema diskutiert wird, bestimmt demnach, wie sehr wir uns sorgen. "Bei den neuesten Daten ist beispielsweise die Angst vor Terrorismus ganz deutlich zurückgegangen im Vergleich zum vergangenen Jahr", so Wagner. "Wir reden einfach nicht mehr so viel über manche bedrohlichen Ereignisse und das macht die Menschen sicherer."

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Frauen machen sich etwas mehr Sorgen als Männer. Das habe sich seit 1992 nicht verändert, sagt Brigitte Römstedt von R+V. Gravierender sei jedoch ein anderer Unterschied: "Im Osten des Landes sind die Ängste bis zu zehn Prozentpunkte höher als im Westen." Das dürfte auch erklären, warum die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" im Osten besonders viel Stimmen sammeln kann - zuletzt bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen.

Wie das Fremde seinen Schrecken verliert

Römstedt erklärt diesen Unterschied damit, dass sich viele Menschen im Osten abgehängt fühlten, weil sie weniger Geld verdienten als im Westen. Für Sozialpsychologe Wagner spielt außerdem die mangelnde Erfahrung im Umgang mit Fremden eine Rolle.

"Das Paradoxe ist ja, dass im Osten Deutschlands weniger Menschen mit Migrationshintergrund und weniger Geflüchtete leben als im Westen Deutschlands und trotzdem sind die Befürchtungen dort höher." Wer persönliche Erfahrungen mit Fremden mache, sei durch Horror-Nachrichten über Geflüchtete nicht so leicht in Unsicherheit zu versetzen, so Wagner. "Und die Menschen im Osten Deutschlands haben einfach weniger Möglichkeiten, Erfahrungen mit Geflüchteten zu machen."

Ungewöhnliche Ereignisse ängstigen mehr

Die größte Angst müssten die Deutschen eigentlich vor Herzinfarkt und Krebskrankheiten haben. Das sind nämlich die Killer Nummer eins. Oder davor, bei einem Verkehrsunfall verletzt zu werden. Dieses Schicksal ereilt jedes Jahr etwa 400.000 Menschen in Deutschland. Und doch scheint das wenig Menschen Sorge zu bereiten. Täglich steigen Millionen Menschen hierzulande in Blechkisten, die sie auf mehr als 100 Stundenkilometer beschleunigen.

"Verkehrsunfälle sind Durchschnittsereignisse", sagt Sozialpsychologe Wagner, "sie sind nicht herausstechend. Und sie beeinflussen uns in unseren Ängsten viel weniger als ungewöhnliche Ereignisse." Diesen Fehler in der menschlichen Informationsverarbeitung müsse man versuchen zu korrigieren. Man könne etwa probieren, sich immer wieder klarzumachen, dass ein schreckliches Ereignis zwar entsetzlich sei, jedoch wenig Einfluss auf das eigene Leben habe.

Ängste sind auch wichtig

Die Ergebnisse der R+V-Studie deuteten darauf hin, dass völlig überzogene Ängste in Deutschland langsam zurückgingen, sagt Wagner. Eine komplette Angstfreiheit jedoch sei nicht erstrebenswert. "Ängste haben ja durchaus eine Funktion. Wenn ich weiß, dass bestimmte Dinge tatsächlich gefährlich sind, dann macht es ja Sinn, dass ich ihnen ausweiche." Seine Ängste ganz aufzugeben, sei deshalb leichtsinnig. Ein bisschen "German Angst "darf also sein.

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