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Mitbestimmung

Antje Passenheim, Washington12. Februar 2014

Das gibt es nur in China und in Chattanooga: ein größeres VW-Werk ohne Betriebsrat. Im US-Südstaat will der Wolfsburger Konzern das ändern - und zettelte damit unfreiwillig eine Revolutionsschlacht an.

Die Zufahrt zu dem VW-Werk in Chattanooga (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Sie rollt und rollt - die Kampfmaschine rund um das Volkswagen-Werk im US-Staat Tennessee. Vor den Toren wartet die amerikanische Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) auf Einlass. Doch die Schlacht spielt sich dahinter ab. Nicht - wie gewöhnlich - zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sondern diesmal in der Belegschaft selbst. Sie darf nämlich darüber abstimmen, ob sie sich künftig von einer Gewerkschaft vertreten lassen will. Und das auf einem Terrain, auf dem Arbeitnehmervertretungen gewöhnlich keinen Zutritt haben.

Denn in den US-Südstaaten heißt es bislang: Gewerkschaften müssen draußen bleiben. Dass ausgerechnet der Autobauer aus Wolfsburg diese Faustregel durchbricht, sehen die einen als revolutionär. Den meisten Politikern hingegen ist es ein Dorn im Auge. "Es ist doch verrückt, darüber die Arbeiter entscheiden zu lassen", empörte sich Tennessees Senator Bob Corker im amerikanischen Radiosender NPR.

Er und andere wähnen das Eldorado in Gefahr, das der Süden der USA bislang für Unternehmer ist: Right-to-Work-States, so der irreführende Name dieser Staaten, die auch Firmen wie BMW oder Mercedes Benz angelockt haben. In den einstigen landwirtschaftlich orientierten Sklavenstaaten gelten Gewerkschaften als Teufelszeug. Theoretisch sind sie erlaubt. Praktisch aber ausgehebelt.

Druckmittel

Damit eine "Union" den Fuß in einen Betrieb bekommt, muss mindestens die halbe Belegschaft dafür sein. Doch mit zahlreichen Druckmitteln wissen das die Gegner der Arbeiterorganisationen bislang zu verhindern, erklärt der Chefökonom der Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO in Washington, William Spriggs der DW. "In den USA gibt es schon Gesetze, die Arbeiter schützen, wenn sie sich organisieren wollen. Aber es ist schwer, von diesen Gesetzen auch Gebrauch zu machen", so Spriggs. "Wenn ein Arbeiter sagt, ich will einer Gewerkschaft beitreten, dann ist in der Regel die erste Antwort des Arbeitgebers, ihn zu feuern oder in einen Gerichtsprozess zu verwickeln."

Heerscharen haben auf diese Weise bereits ihren Job verloren und mit den Prozessen auch ihr Geld. Eine ganze Armada von Anwälten ist allein darauf spezialisiert, gewerkschaftsfreie Zonen zu schützen und diejenigen einzuschüchtern, die sie bedrohen. Auch deutsche Firmen glänzen teils in Berichten von Menschenrechtsorganisationen dadurch, dass sie moralische Standards über Bord werfen, sobald sie sich jenseits des Atlantiks niederlassen.

Die Wolfsburger stoßen bei ihren Mitbestimmungs-Bemühungen in den USA an ihre GrenzenBild: AP

Hilfesuchend wandten sich US-Gewerkschaften an ihre deutschen Kollegen. So gründete die US-Kommunikationsarbeiter-Gewerkschaft CWA mit ver.di die gemeinsame TU-Union. Zudem gibt es seit Jahren auch einen guten Draht zwischen der UAW und dem VW-Betriebsrat in Wolfsburg. Unter dem Druck des Gesamtbetriebsrats versucht der Konzern schon länger einen Betriebsrat einzurichten. Er soll über die Arbeitsbedingungen der rund 1600 Arbeiter von rund 2500 Angestellten des Chattanooga-Werks wachen, in dem die Mittelklasse-Limousine Passat vom Band läuft. "Die USA sind das Niedriglohnland unter den Industriestaaten", sagt Spriggs. "Ob das nun Löhne sind, Urlaubstage oder sonstige Leistungen - wir liegen weit hinter anderen Industriestaaten."

Ein anderer Weg

Doch der American Way geht anders, als sich das die Wolfsburger vorgestellt hatten. Von wegen - einfach so einen Betriebsrat einrichten: Keine Arbeitnehmervertretung ohne staatlich anerkannte Gewerkschaft, so will es das Arbeitsrecht. Volkswagen musste also die angekratzte UAW ins Boot holen.

Viele kreiden der Gewerkschaft den Konkurs der Autobauer GM und Chrysler in Detroit an. Der Vorwurf: An den teuren und inflexiblen Tarifverträgen, die sie für ihre Mitglieder herausgeschlagen hat, seien die Autobauer in der Wirtschaftskrise erstickt. Auch VW-Arbeiter in Chattanooga stemmen sich gegen die aktuellen Bemühungen der UAW - und zweifeln deren Rechtmäßigkeit an: "Wir glauben, dass es nicht legal ist, hier in den USA einen Betriebsrat nach deutschem Stil zu haben", erklärte Mauri Nicely, Anwalt der Aktionsgruppe "Southern Momentum". Der republikanische Gouverneur Bill Haslam schimpfte schon: "Es ist keine Frage, dass eine Öffnung für die UAW unsere Möglichkeit einschränkt, Firmen nach Tennessee zu locken." Diese Aussicht habe bereits einige Anwärter verschreckt.

Entscheidung bis frühestens Freitag

Stimmt nun in Chattanooga mindestens die Hälfte der Arbeiter zu, wird sie die UAW künftig bei Arbeitszeiten und Gehältern vertreten. Außerdem würden die Arbeiter von Chattanooga einen Sitz im VW-Gesamtbetriebsrat erhalten.

Hält die Freude bei VW an?Bild: picture-alliance/dpa

Ein Sieg der UAW im ersten ausländischen Autobaubetrieb der Südstaaten wäre für die US-Gewerkschaften nach der großen Wirtschaftskrise mal wieder eine Vitaminspritze. Gewerkschafts-Ökonom Spriggs wünscht sich, "dass weitere deutsche Firmen, die zu Hause Betriebsräte haben, sich leichter damit täten, diese Kultur aus Deutschland in die USA zu bringen."

Vor ihren Südstaaten-Mitbewerbern BMW, Mercedes Benz, Toyota, Kia Motors und Hyundai hätte VW dann zumindest im Arbeitskampf die Nase vorn. "Ich denke, diese Zusammenarbeit zwischen der IG Metall und der UAW ist sehr wichtig", sagt Spriggs. Es zeige, wie sehr die Arbeiter verstünden, dass sie auf einer anderen Ebene zusammenarbeiten müssten. "Das wird eine Erfolgsgeschichte."

Ob es für einen VW-Betriebsrat in Chattanooga tatsächlich ein Happy End gibt, wird sich frühestens am Freitag herausstellen. Dann läuft für die rund 1600 stimmberechtigten Arbeiter aus der Produktion nämlich die Entscheidungsphase ab. Beobachter rechnen aber auch damit, dass das Votum von den Gegnern angefochten wird.