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Germanist: Neue Rechte instrumentalisiert deutsche Sprache

01.04.2021

Deutschland streitet über gendergerechte Sprache, Rechtschreibreform und Anglizismen. Der Sprachwissenschaftler Henning Lobin erklärt, wie Rechte mit diesen Diskussionen Wählerstimmen in der bürgerlichen Mitte suchen.

Die Rede ist von Aufmarschgebieten, Kampfverbänden und Frontstellungen. Dabei finden sich diese Begriffe in einem neuen Buch, das sich mit der deutschen Sprache befasst. Der Sprachwissenschaftler Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, analysiert in „Sprachkampf“, warum derzeit wieder „Sprachschlachten“ in der Bundesrepublik toben.

Geschlechtergerechte und diskriminierungsfreie Sprache, die Rechtschreibreform, die Aufnahme von Anglizismen in den Duden oder der Streit um Deutsch im Grundgesetz: Das alles hat sich politisch enorm aufgeladen. Lobin wirft der sogenannten Neuen Rechten vor, die deutsche Sprache für ihre Zwecke zu missbrauchen.

Mit ihrem Kampf etwa gegen politische Korrektheit oder geschlechtergerechte Sprache versuche diese politische Strömung gezielt, das gemäßigte Bürgertum und kulturaffine Schichten zu gewinnen, sagte der Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Eine neurechte Agenda wird durch Sprachpolitik wie mit einem trojanischen Pferd weit in die Mitte der Gesellschaft hineingeführt“, erklärte er.

Der jahrhundertealte Kampf gegen Fremdwörter

„Die Mutter aller Sprachschlachten ist der Kampf gegen Fremdwörter“, schreibt Lubin. Schon im 17. und 18. Jahrhundert kämpften Sprachgesellschaften gegen einen zu starken Einfluss des Lateinischen, Französischen oder Englischen auf das Deutsche. Das reicht bis zum Nationalsozialismus, der bestimmte Wörter als „Volksschädlinge“ bezeichnete.

In der Tradition des Sprachnationalismus sieht der Buchautor auch den gegenwärtig „wohl stärksten Kampfverband“, den „Verein Deutsche Sprache“ (VDS). Ihm sei es gelungen, über mittlerweile 25 Jahre hinweg die öffentliche Diskussion durch Polarisierung stark zu beeinflussen. Er habe auch den Weg bereitet für die AfD und ihren Versuch, die Auseinandersetzung um die deutsche Sprache mit ihren politischen Zielsetzungen zu verbinden: „Damit ist wohl erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland das Parlament zu einem sprachpolitischen Aufmarschgebiet geworden.“

Instrumentalisierung der Sprachdiskussionen

Denn den Akteuren gehe es nicht lediglich um die Sprache als solche, sondern um das, was durch sie ausgedrückt werde, erklärte der Sprachwissenschaftler. So verberge sich hinter der Forderung, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern, die Vorstellung kultureller Dominanz. Und die Ablehnung einer „Gendersprache“ stehe für eine traditionelle Vorstellung von Familie und Gesellschaft allgemein.

Nicht die diskriminierungsfreie Sprache, sondern der von der Neuen Rechten geschürte Sprachkampf sei aber der eigentliche Angriff auf die deutsche Sprache, betonte Lobin. Denn bewusste Verstöße gegen vorgebliche Regeln politischer Korrektheit führten oft direkt zu einer Verrohung der Sprache, wie sie gerade in den ersten Monaten nach dem Einzug der AfD im Deutschen Bundestag zu verzeichnen gewesen sei. Keine andere in Parlamenten vertretene Partei verknüpfe ihre Programmatik so eng mit Sprachpolitik wie die AfD. Der 56-jährige Direktor des Mannheimer Instituts sprach von einer „sehr problematischen Entwicklung“.

Empfehlungen des Autors

Mit Blick auf geschlechtergerechte Sprache plädiert der Germanist schlicht für Höflichkeit. Vor allem bei der Ansprache konkreter Personen gebiete der Respekt, etwa von Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen. „Sprachliche Rücksichtnahme ist wichtig und sollte nur dann kritisiert werden, wenn sie zum Diktat wird“, so Lobin.

Auch zur Diskussion um Fremdwörter und die Veränderung von Sprachen vertritt er eine pragmatische Position: „Das Deutsche gehört nicht der Nation oder einzelnen Gruppen, sondern Erst-, Zweit- und Fremdsprachlern in ihrer ganzen Vielfalt“, unterstrich Lobin. „Sie alle hauchen der Sprache wortwörtlich Leben ein und bewirken ihre ständige Anpassung an eine sich wandelnde Gesellschaft.“

rh/sts (mit epd/KNA)