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Absturz - sechs Monate später

Christoph Hasselbach22. September 2015

Vor einem halben Jahr endete Flug 4U9525 in einer Katastrophe: Der deutsche Co-Pilot steuerte die Maschine mit ihren 150 Insassen absichtlich gegen eine Felswand in den französischen Alpen. Ein Rückblick.

Trauerkerzen und das Schild "Warum?" Foto: DW/J. Walter
Bild: DW/J. Walter

Für die Passagiere scheint es ein ganz normaler Flug zu sein. Am 24. März dieses Jahres besteigen sie in Barcelona einen Airbus 320 der Gesellschaft Germanwings mit Ziel Düsseldorf. Die meisten sind Deutsche, unter ihnen befindet sich eine ganze Schulklasse aus dem westfälischen Haltern. Doch keiner der 150 Insassen kommt lebend in Deutschland an. Über den französischen Alpen verliert die Maschine immer mehr an Höhe. Das fällt wohl zunächst kaum jemandem auf.

Derjenige, der als erster Verdacht schöpfen würde und eingreifen könnte, sitzt zu diesem Zeitpunkt nicht im Cockpit. Er ist zur Toilette gegangen. Als er zurückkommt, ist die Cockpittür verriegelt. Als der Co-Pilot ihm nicht aufmacht, klopft und hämmert der Pilot immer heftiger dagegen, ruft und schreit schließlich, aber die Tür bleibt verschlossen. Minuten später zerschellt das Flugzeug an einem Berghang. Alle 150 Insassen kommen ums Leben. Der Absturz ist einer der schlimmsten Katastrophen der deutschen Zivilluftfahrt und bedeutet für die Germanwings-Muttergesellschaft Lufthansa einen schweren Schlag.

Andreas Lubitz hatte seinem Arbeitgeber psychische Probleme verheimlicht.Bild: picture alliance/AP Photo

Verheimlichte Probleme

War es technisches Versagen? Oder ist der Co-Pilot Andreas Lubitz zusammengebrochen? Die Experten sind sich zunächst unsicher. Auch wird lange darüber diskutiert, warum die Tür zu blieb. Doch rätselhaft ist, dass Lubitz zu keiner Zeit einen Hilferuf aussandte und die Leitstelle seinen Atem hören konnte, der Funkkontakt also funktionierte. Die Auswertung des Stimmenrekorders zwei Tage nach dem Absturz deutet dann erstmals auf eine Möglichkeit, die für die meisten zunächst unfassbar scheint: dass der Co-Pilot den Piloten bewusst ausschloss und dann das Flugzeug absichtlich zum Absturz brachte. Doch genau zu diesem Ergebnis kommt auch die Auswertung des Flugdatenschreibers eine Woche später.

Nach und nach kommen immer mehr Hinweise über das Leben und vor allem über den Seelenzustand von Andreas Lubitz ans Licht. Demnach hatte der 27-Jährige seit Jahren psychische Probleme und suchte Dutzende von Ärzten auf. 2008/2009 hat er eine schwere Depression und macht eine Therapie. Anschließend gilt er als geheilt und flugtauglich. Die - offenbar ausgestandene - Depression war der Lufthansa bekannt. Doch hätte sein Arbeitgeber später von einem Rückfall erfahren, hätte das sehr wahrscheinlich das Ende von Lubitz' fliegerischer Karriere bedeutet.

Offensichtlich hat der junge Mann seinen Zustand verheimlicht. Ermittler haben kurz nach dem Absturz in Lubitz' Wohnung mehrere zerrissene Krankschreibungen für die Zeit kurz vor der Katastrophe und selbst eine für den Absturztag selbst gefunden. Und auch an einen Suizid, der viele Unbeteiligte mit in den Tod reißen würde, scheint Lubitz durchaus gedacht zu haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat er sich kurz vor dem fraglichen Tag im Internet über die Funktionsweise von Cockpittüren und über Wege der Selbsttötung informiert.

Streit um Entschädigung

Die deutschen Ermittler jedenfalls sehen die Schuld allein bei Andreas Lubitz, nicht bei der Lufthansa oder Germanwings. Verschiedene Ärzte waren zwar über seinen Zustand beunruhigt, sahen aber keine Anhaltspunkte für das, was dann kam. Und den Arbeitgeber scheinen die Hinweise auf einen labilen Zustand nicht erreicht zu haben.

Eine andere Frage ist die der Entschädigung. Die Lufthansa als Germanwings-Mutterkonzern hat den deutschen Hinterbliebenen pauschal 25.000 Euro Schmerzensgeld, nächsten Angehörigen darüber hinaus ohne weitere Prüfung zusätzlich je 10.000 Euro angeboten. Die Anwälte von vielen der Opfer finden das aber zu wenig. Die beiden Anwälte Elmar Giemulla und Christof Wellens wollen jetzt die Verhandlungen in die USA verlagern und dort notfalls klagen, wo sie sich deutlich höhere Schadenersatzzahlungen erhoffen.

Bisher gibt es in der Nähe der Absturzstelle nur einen Gedenkstein.Bild: picture-alliance/dpa/A. Jerocki

Konsequenzen

Unabhängig von diesen Forderungen hat die Lufthansa aber einen Hilfsfonds in Höhe von 15 Millionen Euro für Gedenkprojekte eingerichtet. Ein Teil davon fließt auch in eine Gedenkstätte, die in der französischen Gemeinde Prads-Haute-Bléone nahe der Unglücksstelle errichtet werden soll. Bisher gibt es nur einen Gedenkstein in Vernet einige Kilometer weiter entfernt. Doch noch immer können Angehörige nicht unmittelbar an die Absturzstelle heran, weil einige der Arbeiten dort noch nicht abgeschlossen sind.

Die Katastrophe von vor einem halben Jahr hat auch bereits Konsequenzen für die Flugsicherheit. In Europa zumindest darf ein Pilot oder Co-Pilot nicht mehr allein im Cockpit sein. Und in Zukunft soll auch die psychische Stabilität der Piloten stärker überwacht werden. Nach Angaben von Matthias Wirth, dem Vizepräsidenten des Deutschen Fliegerarztverbandes, bedeutet eine vorübergehende seelische Krise aber nicht unbedingt das Aus als Pilot. Gedacht ist, dass man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen kann ähnlich wie bei Alkoholproblemen. Wer sich helfen lässt und sich wieder stabilisiert, hat grundsätzlich nichts zu befürchten. Doch wer psychische Krankheiten verheimliche, bei dem werde es keine Gnade geben.

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