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PolitikEuropa

Corona-Schutz ohne Grenzschließung?

Andreas Noll
23. Februar 2021

Die EU-Kommission verlangt im Streit um die verschärften Einreiseregeln für Tschechien und Tirol "weniger restriktive Maßnahmen". Ein erster Testfall für alternative Konzepte könnte nun die französische Grenze werden.

Grenzkontrolle zwischen Frankreich und Deutschland
Bild: BeckerBredel/picture alliance

Kein Land in der Europäischen Union hat so viele Nachbarländer wie Deutschland. Doch seit Deutschland wegen der Verbreitung der besonders ansteckenden Corona-Mutationen massive Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien und Tirol eingeführt hat, liegen die Nerven bei den Partnern blank. Österreich und Tschechien fühlen sich als Opfer deutscher Alleingänge - und bekommen Unterstützung aus Brüssel. Die EU-Kommission hat gerade einen offiziellen Beschwerdebrief an die Bundesregierung geschrieben. Aber auch andere Regierungen haben Post aus Brüssel bekommen: Belgien ebenso wie Ungarn, Dänemark, Schweden und Finnland. In allen Fällen ist die EU-Kommission mit den Grenzschutzmaßnahmen nicht einverstanden. Im Falle von Deutschland heißt es von der EU: "Wir glauben, dass das nachvollziehbare Ziel Deutschlands - der Schutz der öffentlichen Gesundheit in einer Pandemie - durch weniger restriktive Maßnahmen erreicht werden könnte". Nun soll sich die Bundesregierung erklären.

Während Brüssel an den deutschen Grenzen im Süden Lockerungen und Ausnahmeregelungen anmahnt, zum Beispiel für grenzüberschreitend lebende Familien, könnte Berlin noch in dieser Woche Verschärfungen für den Grenzverkehr nach Frankreich ankündigen. Zwar weisen die Inzidenzen in fast ganz Frankreich wöchentliche Neuinfektionen von mehr als 150 Menschen pro hunderttausend Einwohnern auf, doch besonders kritisch bewerten Fachleute den Osten des Landes - an der Grenze zu Deutschland. Im Département Moselle breiten sich die von den Virologen als besonders gefährlich eingestuften Mutationen aus Südafrika und Brasilien aus.

Wird die Grenzregion zum Hochinzidenzgebiet?

"Das verstärkte Auftreten der Virusvarianten bei unseren Nachbarn bereitet uns Sorge", erklärte der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans. Grenzschließungen wolle man verhindern, aber sie seien als letzter Schritt in einer Bekämpfungsstrategie nicht auszuschließen. 

Geschlossene deutsch-französische Grenze zwischen Lauterbach und Carling im April 2020Bild: Jean-Christophe Verhaegen/AFP

Noch in dieser Woche wird die Bundesregierung wohl darüber beraten, ob Deutschland das Département zum Hochinzidenz- oder sogar Virusvariantengebiet erklärt. Eine solche Einstufung hätte möglicherweise strengere Kontrollen an den Grenzen sowie die Pflicht auch für Berufspendler nach sich gezogen, bei der Einreise einen negativen Corona-Test nachzuweisen. Bei der Entscheidung über Grenzschließungen soll dabei nicht nur das Infektionsgeschehen berücksichtigt werden, heißt es dazu aus dem Bundesinnenministerium. Vielmehr werde die Entscheidung in Abstimmung mit der Bundesregierung und den betroffenen Bundesländern getroffen.

Lage unter Kontrolle

Dass die Verbreitung der Mutationen eine besondere Herausforderung ist, sieht auch die französische Regierung. Gesundheitsminister Olivier Véran reiste vor wenigen Tagen in die Region, um sich ein Bild von der Lage zu verschaffen. Doch der Minister war sich damals sicher: die Lage ist unter Kontrolle.

An dieser Einschätzung habe sich nichts geändert, versichert Christophe Arend, der für die Präsidentenpartei La République en Marche in der Nationalversammlung sitzt. "Wir haben viele Maßnahmen getroffen. Wir testen massiv und wir impfen massiv. Außerdem war die Feuerwehr von Marseille vor einigen Tagen hier und hat mit spezieller Ausrüstung das Abwasser auf Corona-Infektionen untersucht." Das Gesundheitssystem, so Arend, sei aktuell nicht überlastet und habe noch Kapazitäten.

Brief an Merkel und Macron

Die Mutationen nun mit Grenzschließungen aufhalten zu wollen, hält der Politiker für den falschen Weg. "Die Grenze ist nur ein Strich auf der Karte", erklärt der Lothringer sein Eintreten für offene Grenzen auch in Pandemiezeiten. Eine Grenzschließung in diesem gemeinsamen Lebensraum hätte dramatische Folgen für die Region - sie würde gewachsene Strukturen zerreißen. In guter Erinnerung ist ihm noch die von Berlin ohne Rücksprache beschlossene Grenzschließung im vergangenen Frühjahr. So etwas dürfe sich nicht wiederholen.

Kämpft für offene Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich: Christophe Arend von der Präsidentenpartei La République en MarcheBild: Thomas Padilla/dpa/picture alliance

Dass die deutsche Seite auch aktuell mit Grenzkontrollen oder Grenzschließungen droht, kritisieren Kommunalpolitiker auf beiden Seiten. In einem gemeinsamen Brief haben sich Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt und der französische Präsident des Eurodistricts Gilbert Schuh an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron gewendet. Tenor: Eine Lösung wie in Österreich und Tschechien, wo die Grenzen bis auf weiteres geschlossen bleiben, müsste unter allen Umständen verhindert werden. Die Grenzschließung, so nennt es Conradt, sei "ein Horrorszenario". Aus Sicht der Politiker vor Ort gebe es intelligentere Alternativen zum Absenken des Schlagbaums: Gemeinsame Testzentren und eine gemeinsame Impfstrategie regen sie in ihrem Brief an.

Hoffen auf Berlin

Dass die Bundesregierung, anders als von französischen Politikern befürchtet, am Montag das Département Moselle noch nicht zur Hochrisikozone erklärt hat, macht den Regionalpolitikern aktuell ein wenig Hoffnung. Auch die Versicherung der Regierungschefs der betroffenen Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz. Sie verkündeten am Montag die Gründung einer Taskforce, unter anderem mit Beteiligung der Gesundheitsminister, die gemeinsame Maßnahmen der Bekämpfung der Pandemie abstimmen sollen. Die französische Diplomatie kann das durchaus als einen Erfolg verbuchen, hatten sich doch vor wenigen Tagen der Gesundheits- und der Europaminister mit einer Pressemitteilung auf Deutsch mit einer ähnlichen Forderung an den Nachbarn gewendet.

Gesundheitsminister Véran: Rund 30.000 zusätzliche Impfdosen hat die Regierung in die Region geschicktBild: Daniel Derajinski/abaca/picture alliance

Viel Zeit bleibt der Taskforce allerdings nicht. Nachdem sie heute zusammentritt, sollen bereits morgen entsprechende Vorschläge dem Bundeskabinett präsentiert werden. Für den Abgeordneten Arend ist klar: Wenn Deutschland und Frankreich hier eine gemeinsame Lösung finden, könnte dies auf ganz Europa ausstrahlen. "Wenn man sich die Grenzregionen in Europa anschaut - also 20 Kilometer vor und hinter den Grenzen, dann wohnen dort 140 Millionen Europäer. Das ist immerhin ein Drittel der gesamten EU-Bevölkerung."

Gemeinsame Teststrategien

Doch wie könnte eine Lösung aussehen? Vor Ort setzen die Verantwortlichen vor allem auf ein gemeinsames Testregime. Gerade haben sich die Partner auf beiden Seiten der Grenze verständigt, die kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Region mit 100.000 Schnelltests zu versorgen. Alle Unternehmen, die Mitarbeiter von beiden Seiten der Grenze beschäftigen, sollen die Testungen in den Betrieben massiv ausweiten. Auch das von den Lokalpolitikern geforderte gemeinsame Testzentrum wurde vereinbart. In der kommenden Woche soll das Zentrum seine Arbeit aufnehmen und bis zu 500 Menschen aus Frankreich und Deutschland täglich testen.

Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Macron: Die Entscheidung über die Grenzschließungen fällt in den HauptstädtenBild: John Macdougall/AFP/dpa/picture alliance

In ihrem Brief an Merkel und Macron forderten die Lokalpolitiker auch eine gemeinsame Impfstrategie. Wie die aussehen könnte, ist derzeit aber offen. Wegen der Verbreitung der Mutationen hat die französische Regierung gerade rund 30.000 Impfdosen zusätzlich ins Departement Moselle geschickt, um die Geschwindigkeit bei der Immunisierung der Bevölkerung zu erhöhen. Womöglich sei der Unterschied im Pandemie-Geschehen auf beiden Seiten der Grenzen auch gar nicht so groß, so Arend. Denn Frankreich teste und sequenziere viel mehr als Deutschland.

Am Ende, so sieht es Christophe Arend, spreche alles dafür, die Grenzen offen zu halten und an die Bedürfnisse von Deutschen und Franzosen zu denken: "Was man auf gar keinen Fall entscheiden sollte: Die Berufspendler können über die Grenze kommen, damit die deutsche Wirtschaft nicht zusammenbricht. Das hat schon im vergangenen Jahr für böses Blut gesorgt und wäre jetzt wirklich unerhört."

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