Seit wann dürfen Kinder eigentlich Kinder sein? Die Meinungen dazu haben sich im Lauf der Jahrhunderte stark gewandelt. Wir geben einen Überblick.
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Die Kindheit, so Pierre de Bérulle, "ist der widerlichste und jämmerlichste Zustand der menschlichen Natur, überboten nur von dem des Todes." Das schrieb der französische Kleriker noch im 17. Jahrhundert. Dass man heutzutage den Weltkindertag feiert, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis eines langen historischen Prozesses: Die Kindheit musste gewissermaßen erst erfunden werden. Und das geschah in allen Teilen der Welt auf verschiedene Weise mit unterschiedlichen Ergebnissen zu verschiedenen Zeiten.
In Europa verstand man das Kind im 16. Jahrhundert noch als Wesen, das durch den Erwachsenen erlöst werden muss, so wie Jesus Christus in der christlichen-religiösen Vorstellung alle Christen erlöste. Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert wurde das Kind im Prinzip als fehlerhafter Erwachsener gesehen, schreibt Colin Heywood, emeritierter Professor an der University of Nottingham in seinem Grundlagenwerk "The History of Childhood" (deutsch: "Die Geschichte der Kindheit").
Erst mit der Romantik im 19. Jahrhundert wandelte sich das Bild von der Kindheit: Die Dichter und Denker dieser Epoche, die als Gegenbewegung zu den rationalen Idealen der Aufklärung entstand, idealisierten das Kind als unschuldig, da es der Natur noch sehr viel näher stehe als die Erwachsenen. Die Natur war für die Vertreter der Romantik ein Sehnsuchtsort, an dem sie sich zurückziehen konnten und mir der sie im Einklang sein wollten.
Dadurch wandelte sich auch der Blick auf die Kindheit: Kinder sollten behütet und beschützt aufwachsen. Im 19. Jahrhundert wurde diese Sicht auf Kinder im viktorianischen England noch weiter verklärt: Kinder galten als kleine Engel und durften auch nichts Anderes sein, so Heywood. Eine eigene Meinung haben, widersprechen, sich politisch einbringen - das stand Kindern in dieser Epoche nicht zu. Allerdings ebenso wenig wie das Recht auf körperliche Unversertheit. Noch weit ins 20. Jahrhundert hinein stand es in Europa nicht unter Strafe, die eigenen Kindern zu schlagen.
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Geburt der Kinderrechtsbewegung
Erst in den 1980er-Jahren kamen in Europa und Nordamerika mit dem sogenannten "Agency Approach" verstärkt Ansätze auf, die das Kind als handelnde Person bergreifen. Kinder werden hier als Menschen mit eigenen Interessen und Sichtweisen betrachtet, die sich zwar von denen Erwachsener unterscheiden, ihnen aber dennoch ebenbürtig sind.
Aus diesem Ansatz entstand unter anderem auch die Kinderrechtsbewegung: Seit dem Jahr 1992 gilt die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern sowie ihr Recht auf eine freie Entwicklung zu einem selbstständigen Menschen festschreibt.
Der "Agency Approach" wurde durch die Fridays-for-Future-Bewegung, in der sich hauptsächlich Menschen im Schulalter für das Klima engagieren, in den vergangenen Jahren noch populärer. Greta Thunberg, die die globale Protestbewegung begründete, war zu Beginn der Demonstrationen im Jahr 2018 gerade einmal 15 Jahre alt. Sie ist die Ikone einer weltweite Bewegung vieler junger Menschen, die sich für das Klima und ein wissenschaftsbasiertes, ökologisches Handeln in der Politik einsetzen.
Sie kämpfen für 1,5 Grad: Junge Umweltaktivisten im Portrait
Sie tun etwas gegen Plastikmüll, Luftverschmutzung und die Klimakrise: In vielen Ländern setzten sich junge Aktivisten für Umweltschutz ein. Wir stellen einige von ihnen vor, von Bali bis Berlin.
Bild: Hannibal Hanschke/Reuters
Die Fridays-for-Future-Initiatorin
2018 begann die damals 16-jährige Greta Thunberg ihren Schulstreik für das Klima. Aus einem einsamen Protest vor dem schwedischen Parlament wurde schnell die weltweite Fridays for Future Bewegung. Thunberg ist seitdem viel unterwegs. Dabei reist sie immer möglichst klimafreundlich - ob mit der Bahn oder auch per Segelyacht über den Atlantik.
Bild: Jonathan Nackstrand/AFP
Sonnenaufgang fürs Klima
Die US-Amerikanerin Varshini Prakash wurde für die Umwelt aktiv, nachdem sie dramatische Bilder einer Flut in Indien, der Heimat ihres Vaters, sah. Mit einer Freundin startete sie 2015 das Sunrise Movement. Inzwischen ist die Gruppe in den USA eine wichtige Stimme gegen die Klimakrise und unterstützt den Green New Deal. Bei ihren Sit-Ins kommen auch Prominente wie Alexandria Ocasio-Cortez vorbei.
Bild: Mary Altaffer/AP Photo/picture alliance
Für ein sauberes Bali
Als sich am Strand ihrer Heimatinsel Bali eine Plastiktüte um Isabel Wijsens Knöchel wickelte, reichte es ihr und ihrer Schwester Melati. Sie wollten etwas gegen die wachsenden Müllberge tun. 2013 gründeten sie `Bye, Bye Plastic Bags’, da waren sie grade 10 und 12. Inzwischen entstand daraus eine internationalen Jugend-Bewegung für eine Welt ohne Plastikmüll.
Bild: Andrew Wyton
Aktiv gegen den Smog
Mit 12 Jahren wurden bei Kevin J. Patel Herzrythmusstörungen festgestellt - ausgelöst durch Luftverschmutzung zu Hause in Los Angeles. Inzwischen hat der 20-jährige unter anderem die Organisation ‘OneUpAction’ gegründet, die Jugendlichen aus ärmeren Gegenden hilft, ihre Umwelt lebenswerter zu machen. Auch Isabella Fallahi wurde im Umweltschutz aktiv, weil viele Freunde wegen Smog an Asthma litten.
Bild: Lev Radin/Pacific Press/picture alliance
Den Mächtigen die Stirn bieten
Für viele ist Luisa Neubauer das deutsche Gesicht von Fridays for Future. Die 24-jährige Geographie-Studentin ist in Deutschland oft zu Gast in politischen Talkshows und vertritt mit Nachdruck und klaren Argumenten die Positionen der Klimaschützer. Sie ist auch politisch aktiv und engagiert sich gegen weltweite Armut und für Generationengerechtigkeit.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen
Klimaschutz auf allen Kontinenten
Die Uganderin Vanessa Nakate gehört zu den bekanntesten Köpfen von Fridays for Future. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos löste ein Pressefoto ohne sie 2020 eine Debatte über Rassismus aus. Die Agentur AP beschnitt ein Foto von anwesenden Aktivisten so, dass Nakate, die einzige Afrikanerin in der Gruppe, nicht mehr sichtbar war. Nakates Kommentar: „Ihr habt einen Kontinent gelöscht.“
Bild: Getty Images/AFP/I. Kasamani
Müllsammeln beim Spazierengehen
Schon mit sieben Jahren begann Lilly Platt (links) aus den Niederlanden, Müll aufzusammeln und startete ´Lilly’s Plastic Pickup´. Beim Spazieren gehen mit ihrem Großvater war ihr aufgefallen, wie viel Abfall herumlag. Mehr als 100.000 Teile Müll hat sie inzwischen eingesammelt. 2018 schloss sich die heute 12-jährige Fridays for Future an.
Bild: Ana Fernandez/ZUMAPRESS.com/picture alliance
Kampf dem Plastik
50.000 Plastikstrohhalme verhindern, das war das Ziel von Aditya Mukarji aus Indien. Er begann 2018 seine Kampagne gegen Einmalplastik. Sein Ziel hat der heute 16-jährige bei weitem übertroffen. Aditya überzeugte mehr als 150 Restaurants und Geschäfte in Neu-Delhi, auf Plastik zu verzichten. Diese haben seitdem schon rund 28 Millionen Stück Einwegplastik eingespart und nachhaltig ersetzt.
Bild: Altaf Qadri/AP Photo/picture alliance
Eine bessere Welt für alle
Isra Hirsi ist eine der Mitbegründerinnen der Schulstreiks für das Klima in den USA. Doch das Klima ist längst nicht das einzige wichtige Thema für die 17-jährigen Aktivistin. So setzt sich die Tochter der Kongressabgeordneten Ilhan Omar auch gegen Rassismus und für Diversität ein - auch beim Kampf gegen die Klimakrise.
Bild: Willy Sanjuan/Invision/AP/picture alliance
Viel Unterstützung für Umweltthemen
Weltweit gehen bei den Schulstreiks fürs Klima auf die Straße. Als die Klimakonferenz wegen des Coronavirus 2020 ausfiel, organisierten internationale Aktivistinnen einen virtuellen Jugend-Klimagipfel. Ob beim Umweltschutz, beim Müll-Vermeiden gegen die Klimakrise: Weltweit setzen sich junge Menschen dafür ein, dass die Erde auch für ihre Generation ein lebenswerter Ort bleibt.
Bild: Hannibal Hanschke/Reuters
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In Deutschland wird dem zunehmend Rechnung getragen: Bereits im Januar 2021 gab es Bestrebungen seitens des Bundeskabinetts, das Grundgesetz zu ändern, um die Kinderrechte auch in der Verfassung zu stärken: "Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt."
Als es zur Abstimmung über Das Gesetz kam, fehlten aber Stimmen aus anderen Parteien, um die nötige Zweidrittel-Mehrheit zu erreichen, die für eine Änderungen der Grundgesetzes nötig ist. Nun hat die neue Bundesregierung aus SPD, FPD und Grünen im Koalitionsvertrag festgeschrieben, einen neuen Anlauf zu unternehmen.
Zwei Weltkindertage - und viele Kindheiten weltweit
Wie wichtig es sei, Kinderrechte zu stärken, beschreiben Claudia Kittel und Sophie Funke vom Deutschen Institut für Menschenrechte e.V. in einem Artikel für die Bundeszentrale für Politische Bildung. Darin heißt es unter anderem, dass Kinder immer noch unterschätzt würden: "Ihnen wird zudem oftmals die Fähigkeit abgesprochen, ihre Rechte selbst wahrzunehmen, da sie die Folgen der damit verbundenen Entscheidungen nicht überschauen könnten." Außerdem würden die "Grundrechte von Kindern und Jugendlichen bei vielen wichtigen Entscheidungen von Politik, Verwaltung und Justiz immer noch nicht hinreichend beachtet."
Passend dazu hat UNICEF Deutschland das Motto des diesjährigen Weltkindertags ausgewählt: "Gemeinsam für Kinderrechte". Dazu veröffentlichte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen folgenden Appell auf seiner Internetseite: "Zusammen mit dem Deutschen Kinderhilfswerk rufen wir alle Verantwortlichen - von den Eltern über die Schulen, die Politik und Verwaltung bis zu den Unternehmen - dazu auf, sich gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen noch stärker für die Verwirklichung ihrer Rechte einzusetzen."
UNICEF plant dazu mehrere Aktionen - allerdings erst im November. Denn der Weltkindertag wird in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Daten begangen, genauso wie es auch heute noch in verschiedenen Weltregionen ganz unterschiedliche Vorstellungen von Kindheiten und Kindern gibt.
Die Vereinten Nationen begehen den Internationalen Tag der Kinderrechte am 20. November, also dem Tag, an dem 1989 die UN-Kinderrechtskonvention beschlossen wurde. China, Russland und mehrere osteuropäische Länder feiern am 1. Juni Kindertag. Auch in der DDR wurde der Kindertag traditionell am 1. Juni gefeiert. Doch reichen zwei Tage aus? Die Geschichte zeigt, es wurde schon viel erreicht, aber es gibt auch noch viel zu tun.
Beeindruckende Porträts: "Where Children Sleep"
Von China bis Brasilien: Der britische Künstler James Mollison reiste um den halben Globus, um die verschiedenen Schlafplätze von Kindern zu fotografieren.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
So schläft Dong in China...
Auf seiner Reise traf Mollison zum Beispiel den neunjährigen Dong. Er lebt in der Provinz Yunnan im Südwesten Chinas. Sein Zimmer teilt er sich mit seiner Schwester, seinen Eltern und seinem Großvater. Die Familie ist arm und besitzt gerade genug Land, um Reis und Zuckerrohr anzubauen. Wenn er groß ist, möchte Dong Polizist werden, weil er dann "Diebe jagen und herumrennen kann".
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
... und so Harrison aus den USA
Ganz anders sieht das Leben des achtjährigen Harrison aus. Die Familie wohnt in einer Villa. Er selbst hat einen großen Fernseher, ein eigenes Badezimmer und zwei große Spielzimmer. Er hat keine Geschwister und besucht eine Privatschule. Die Fahrt zu seiner Schule dauert zwar zwei Stunden, trotzdem genießt Harrisons Mutter die Zeit mit ihrem Sohn im Auto. Später möchte Harrison Tierarzt werden.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
Ein Zimmer voller Spielzeuge
Auch Kaya zeigt ihr Spielzeugparadies. Sie ist vier Jahre alt und lebt mit ihren Eltern in einer kleinen Wohnung in Tokio. Ihr Zimmer ist voll mit Puppen und Plüschtieren. Kayas Kleider näht ihre Mutter alle selbst - meistens bis zu drei Stück im Monat. Zur Schule muss Kaya aber eine Schuluniform tragen. Wenn sie groß ist, möchte sie Comiczeichnerin werden und japanische Animes zeichnen.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
Kein eigenes Bett
Ein Bett für sich allein ist nicht selbstverständlich. Indiras (7) Haus in Kathmandu in Nepal besteht nur aus einem Raum. Nachts schläft sie mit ihren Geschwistern gemeinsam auf einer Matratze auf dem Boden. Indira arbeitet seit vier Jahren mit mehreren Kindern in einem Granitsteinbruch. Das kann sehr gefährlich sein, da viele von ihnen keine Schutzbrille tragen. Später möchte sie Tänzerin werden.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
79 Kinder in einem Raum
Auch Sherap zeigt seinen Schlafplatz. Er wohnt in einem Kloster in Nepal. Der Zehnjährige teilt sich ein Zimmer mit 79 weiteren Jungen, die zu Mönchen ausgebildet werden. Sie schlafen in Stockbetten und haben nur wenige persönliche Dinge. Sheraps Eltern haben ihn hierher geschickt. Sie glauben, dass es der Familie Glück bringt, wenn einer der Söhne ins Kloster geht.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
Die Schönheitskönigin
Und dann gibt es noch das ungewöhnliche Leben der siebenjährigen Jasmine: Sie lebt mit ihrer Familie in einem großen Haus in Kentucky. In ihrem Zimmer hängen mehrere Kronen und Schärpen, die sie bei Schönheitswettbewerben für Kinder gewonnen hat. Täglich trainiert sie für weitere Bühnenshows. Es ist ein sehr teures Hobby, das ihre Eltern bis zu mehrere tausend Dollar pro Wettbewerb kostet.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
Harte Unterlage
Ahkôhxet dagegen führt ein ganz anderes Leben. Der Achtjährige gehört dem Stamm der Krahô an, der im Amazonasbecken in Brasilien lebt. Die Krahô glauben, dass die Erde von Sonne und Mond erschaffen wurde. Die rote Farbe auf Ahkôhxets Brust stammt von einem Ritual seines Stammes. Der Fluss liefert ihnen Wasser, die Hälfte der Nahrungsmittel bauen sie in weitgehend unfruchtbaren Böden selbst an.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris
Ein Zimmer voller Poster und Träume
Thai (11) lebt mit ihrer Schwestern und ihren Eltern im dritten Stock eines Wohnblocks in Rio de Janeiro. Ihre Eltern sind nicht sehr wohlhabend, dennoch können sie ihre Familie gut ernähren. Die Wand in Thais Zimmer ist übersät mit Postern ihres Idols, des Popstars Felipe Dylon. Die Ausstellung "Where Children Sleep" ist noch bis zum 6. Februar 2022 im Neu-Ulmer Edwin Scharff Museum zu sehen.
Bild: James Mollison/Flatland Gallery/Utrecht/Paris