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Lebendiges Museum

Janine Albrecht26. November 2012

Museen für Stadtgeschichte gibt es viele. Doch keines ist mit dem "Bremer Geschichtenhaus" vergleichbar. Denn hier wird Historisches aus drei Jahrhunderten buchstäblich vorgespielt.

Verkleidete Teilnehmer und Darsteller einer Führung im Bremer Geschichtenhaus (Foto: DW/J. Albrecht)
Bild: DW/J. Albrecht

Es flackert hinter dem Fenster und leuchtet rot-orange. Schemenhaft erkennt man die Uhr an einem Kirchturm. "Da brennt es", ruft ein Junge. Auch die anderen Kinder schauen zum Fenster. Davor sitzt ein älterer Herr in einem alten Lehnstuhl. "Was da brennt, ist unser Dom", sagt der Mann ganz ruhig. Denn es brennt nicht wirklich. In diesem Museum wird Geschichte nur sehr anschaulich dargestellt. Fast glaubt man, den Rauch riechen zu können.

Das "Bremer Geschichtenhaus" erzählt die Historie der norddeutschen Hansestadt. Dazu gehört auch der Brand des Doms im Jahr 1656, den ein Blitzeinschlag verursachte. Der hagere Mann auf dem Lehnstuhl erzählt von dem Brand und den Schweden, die zu dieser Zeit in Bremen waren, was für die Bremer keine Freude war. Er sitzt vor dem Fenster aus Gusseisen, auf dem dunklen Holztisch neben ihm steht ein Zinkbecher. Er heiße Olafson und sei selbst Schwede. Die Kinder sitzen ihm gegenüber auf einer langen Holzbank und hören gebannt zu. Kein Getuschel oder gelangweiltes Gähnen, wie sonst oft bei Schulklassen in Museen.

Der Darsteller bleibt gelassen sitzenBild: DW/J. Albrecht

Historisches bekommt persönliche Note

Denn dieses Museum ist anders, nirgends gibt es Vitrinen mit Exponaten vergangener Zeiten, bei den Führungen werden nicht in langen Monologen Daten und Fakten wiedergegeben. Vielmehr geht man hier auf eine Zeitreise, die um 1646 beginnt und Anfang des 19. Jahrhunderts endet. Ereignisse aus dieser Zeit werden schauspielerisch dargestellt. Insgesamt gibt es zwölf unterschiedliche Stationen. Die lebendige Darstellung zieht jedes Jahr mehr als 40.000 Besucher in das mittelalterliche Packhaus in der Bremer Altstadt.

Das Bremer Geschichtenhaus

03:59

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Die Rollen werden von Darstellern gespielt, die ursprünglich nichts mit Schauspielerei zu tun haben. Das Museum ist ein Projekt des Vereins "bras e.V. – arbeiten für bremen". Hier erhalten Langzeitarbeitslose wieder eine Aufgabe, vor und hinter den Kulissen des Museumsbetriebes, je nach Wunsch und Fähigkeiten. "Wer als Darsteller arbeiten möchte, sucht sich seine Rolle selbst aus", erklärt Sara Fruchtmann. Die Regisseurin leitet das Museum gemeinsam mit Ulrich Mickan. Für jede Rolle gebe es ein historisches Gerüst, so Mickan. In der Probenarbeit käme dann noch eine Menge historisches Wissen hinzu, erklärt er weiter. Zudem könnten sich die Mitarbeiter auch selbst im Archiv und in der Bibliothek des Hauses zusätzliche Informationen anlesen. Jeder Darsteller gebe seiner Figur eine persönliche Note. "Ich bin auch bei den Proben dabei, um eventuell historische Dinge zu korrigieren", sagt Mickan.

Berühren erlaubt, Fragen erwünscht

Im Durchschnitt dauert es drei Monate, bis die Darsteller fit für ihren ersten Auftritt sind. Dann stehen sie in selbst geschneiderten Kostümen in passender Kulisse. Die konnte das Museum teilweise von einer anderen Ausstellung übernehmen. Doch vieles wurde in Eigenarbeit neu entworfen und gebaut.

Ulrich Mickan (2.v.r.) und Sara Fruchtmann, die Leiter des MuseumsBild: DW/J. Albrecht

So gehen die Bremer Schüler an Bord eines Handelsschiffes aus der Zeit um 1700. Der Kapitän der Fleute, ein dreimastiges Handelsschiff mit großer Ladefläche, erwartet sie schon. Hier können die Kinder gleich mit anpacken. Als der Kapitän nach einem freiwilligen Helfer fragt, schnellen alle Finger in die Höhe. Ein Junge darf eine der kleinen Tonnen an Bord schleppen. Dann erzählt der Kapitän vom Handel mit den Norwegern, wie sie ihren Fisch essen, und warum sie ihm so viel Salz abkaufen. Die Schüler tauchen ein in die Geschichte, alles darf hier angefasst, die "Zeitzeugen" befragt werden.

Darsteller kreieren die Rollen selbst

"Was hast du da in der Hand", fragt ein Schüler bei einer anderen Station. Eine vornehme Kaufmannstochter namens Klara hält sich ein feines Spitzentuch vor Mund und Nase. "Riecht ihr denn nicht diesen Gestank?", fragt sie zurück. Hinter ihr ist ein weißes Kreuz auf eine Eingangstür zu einer ärmlichen Hütte gemalt. Hier wird von der Pest erzählt, schön schaurig, trotzdem kindgerecht. Die Darsteller passen ihre Erzählungen den jeweiligen Besuchsgruppen an. Rabea Stein spielt Klara, sie liest gerne historische Romane. Dabei habe sie sich von den reichen Damen zur Zeit Ludwigs XIV. für diese Rolle inspirieren lassen und die feine Kaufmannstochter Klara für diese Szene kreiert. Die 37-Jährige hat lange ihren kranken Vater gepflegt, ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt, auf Mittelaltermärkten gearbeitet, bis schließlich die Arbeitslosigkeit kam. "Hier fühle ich mich behütet", sagt sie. Nach der Maßnahme will sie studieren. Grundschullehrerin zu werden, ist ihr Ziel.

Es stinkt wie die PestBild: DW/J. Albrecht

Ihre Kollegin Tina Goldsweer, die hier schon einige Rollen gespielt hat, sei längst mit dem "Geschichtenhaus-Virus" infiziert, wie sie sagt. Goldsweer ist arbeitslos, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Fotografin arbeiten kann. Hier sei sie glücklich und würde am liebsten für immer bleiben. Doch die Arbeit ist zeitlich begrenzt, schließlich sollen die Darsteller stark gemacht werden, um wieder einen Job zu finden.

Neben der Arbeit im Museum und den Proben besuchen die Mitarbeiter weiterbildende Kurse. "Durch das Vorspielen hier bin ich selbstbewusster geworden", sagt Lucia (Name von der Redaktion geändert). Die schüchterne Frau kam 1987 aus Eritrea nach Deutschland, war Hausfrau und Mutter und hatte wenig Kontakt zu anderen Menschen. Das hat sich hier geändert.

Die Kinder sind voll bei der SacheBild: DW/J. Albrecht

Sie hat die "süßeste" Rolle im Museum. In der zweiten Etage erwartet sie die Zeitreisenden mit flüssiger Schokolade. Ganz nebenbei wird man so in die Kolonialzeit geführt. Über eine schmale Treppe haben die Besucher soeben das Mittelalter verlassen und sind ins 19. Jahrhundert empor gestiegen. Dass die Darsteller "nur" Laien sind, wissen die meisten Besucher nicht. Nichts deutet darauf hin, die Rollen sitzen perfekt. Die Figuren stecken voller Leben. Spannender kann man Geschichte nicht erzählen.

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