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PolitikSlowakei

Geschlechterstreit in der Slowakei: Wieder im "Mittelalter"?

Kay Zeisberg (aus Bratislava)
8. Oktober 2025

Die Slowakei erkennt nur noch zwei Geschlechter an - rein rechtlich gesehen. Das hat das Parlament in Bratislava entschieden und die Verfassung geändert. Das EU-Land schreibe damit Diskriminierung fest, sagen Kritiker.

Regenbogenfahne am Primatialpalais in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Im Hintergrund ist das Alte Rathaus zu sehen
Im Juli 2025 wehte in Bratislava noch die Regenbogenfahne Bild: Robert Poorten/imageBROKER/picture alliance

Der Nationalrat der Slowakischen Republik hat am 26. September 2025 mit denkbar knapper Mehrheit eine Verfassungsänderung verabschiedet, die weitreichende Folgen hat, auch für die Stellung des Landes innerhalb der Europäischen Union. "Die Slowakische Republik erkennt nur zwei Geschlechter an, nämlich männlich und weiblich, die biologisch gegeben sind", heißt es im Gesetzestext. Adoptionen bleiben verheirateten Paaren vorbehalten, Leihmutterschaft wird verboten. Außerdem soll die "Souveränität der Slowakei in kulturellen und ethischen Fragen" Vorrang vor EU-Recht haben. Schon seit 2014 ist festgeschrieben, dass die Ehe in der Slowakei nur für Mann und Frau möglich ist.

Die Abstimmung war zuvor zweimal vertagt worden - im Juni vor der Sommerpause und auch noch am 25. September. Die Drei-Parteien-Regierung unter dem linksnationalistischen Regierungschef Robert Fico verfügt nämlich nicht über die 90 Stimmen für die erforderliche Dreifünftelmehrheit, weshalb es lange aussichtslos schien, diese verfassungsändernde Stimmenzahl zusammenzubekommen. Vor allem die führende Oppositionspartei Progressive Slowakei (Progresivne Slovensko, PS) hatte die Abstimmung im Parlament boykottiert. Doch schließlich wurde sie von anderen Teilen der Opposition ermöglicht.

Verfassungsmehrheit mithilfe von Teilen der Opposition

Mehrere Abgeordnete der Christlich-Demokratischen Bewegung (Kresťanskodemokraticke hnutie, KDH) stimmten für die Gesetzesnovelle, aber auch zwei Parlamentarier aus der konservativen Antikorruptionspartei Bewegung Slowakei (Hnutie Slovensko), die eigentlich zu den schärfsten Gegnern von Ministerpräsident Fico zählt. Der bestätigte selbst, am Vorabend der Parlamentssitzung mehrere einflussreiche Personen angerufen und sie gebeten zu haben, mit den Abgeordneten Rastislav Kratky und Marek Krajci "zu kommunizieren". Diese beiden waren letztlich das Zünglein an der Waage.

In den Tagen vor der Verfassungsänderung war es zu landesweiten Protesten gegen die Politik der Regierung Fico gekommenBild: Robert Nemeti/Anadolu Agency/IMAGO

Als Reaktion auf die öffentliche Kritik an dem von vielen Oppositionsvertretern als Verrat empfundenen Sinneswandel berief sich Krajci auf den "Willen Gottes". In den Medien nährte das Spekulationen, damit könne auch Ficos Wille gemeint gewesen sein, der im Volksmund als "konfirmierter Kommunist" bezeichnet wird und gute Kontakte zu katholischen Kirchenführern pflegt.

Katarina Touquet Jaremova von der Vertretung der Europäischen Kommission in der Slowakei äußerte kurz nach der Parlamentsentscheidung in Bratislava ihr Bedauern darüber, dass die verabschiedete Verfassungsänderung die Bedenken der EU-Kommission nicht berücksichtige. Wenngleich die Regelung materieller familienrechtlicher Fragen im Ermessen der Mitgliedstaaten bleibe, dürfe deren Umsetzung das Grundprinzip des EU-Rechts der Nichtdiskriminierung nicht gefährden. Aber genau das geschehe nun, sagen Kritiker.

Angriff auf Menschen mit anderer Orientierung

Für den slowakischen Schauspieler, TV-Star und LGBTQ-Aktivisten Jakub Petranik ist die Verfassungsänderung ein weiterer Angriff auf anders orientierte Menschen mit dem Ziel, politische Punkte zu sammeln. Er verweist auf den Unterschied zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität und auf Umfragen, denen zufolge viele Wähler der jetzigen Regierungsparteien weniger gebildet seien und daher eben diesen Unterschied nicht begreifen würden. Auf Instagram schrieb Petranik bitter: "Das Mittelalter endet nicht."

Der Chefarzt der Psychiatrie im Universitätskrankenhaus Banska Bystrica, Michal Patarak, ist besorgt, weil nunmehr medizinisch vermittelte Hilfe für Transpersonen verhindert werde, die ja ebenfalls Bürger des Staates seien. Deren Transition schade doch niemandem aus der christlich-konservativ orientierten Gruppe, schrieb er auf Facebook. Es sei vielmehr "eine Unterstützung dafür, dass indirekt Diskriminierung in die Verfassung aufgenommen wird. Wie raffiniert aggressiv!"

Teilnehmer einer Pride Parade in Bratislava im Juli 2023Bild: Branislav Racko/IMAGO

Die Politikwissenschaftler Tomas Koziak und Radoslav Prochazka warnen vor den Folgen der Aufhebung der Vorrangstellung des europäischen Rechts vor dem slowakischen. Das könne der Regierung den Weg freimachen, bislang gültige Rechtsnormen zu relativieren. Laut Amnesty International werde dies sogar zu Menschenrechtsverletzungen führen.

"Heute ist ein schwarzer Tag für die Slowakei", erklärte Rado Sloboda, Direktor von Amnesty International Slowakei. Die Verfassungsänderung verschlimmere die Lage ohnehin diskriminierter Gruppen. "Anstatt die Bevölkerung anzugreifen, sollte die Staatsmacht den Mangel an Rechtsschutz für alle Familien, die Ehe für alle sowie die Rechte von Transgender- und nicht-binären Menschen einschließlich des Zugangs zu Gesundheitsversorgung und der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts angehen", so Sloboda. Die Abstimmung zeige, dass die slowakische Regierung beschlossen habe, dem Beispiel von Ländern wie Ungarn zu folgen und die Menschenrechte weiter zu schwächen.

Enorm gespaltene Gesellschaft

Ungeachtet dessen unterschrieb Präsident Peter Pellegrini das Gesetz, so dass es schon am 1. November in Kraft treten kann. Pellegrini gründete 2020 die Partei HLAS, die sich selbst sozialdemokratisch nennt. Aus der Präsidentenkanzlei kam eine schmallippige Erklärung, die bei genauem Lesen den Zustand der slowakischen Gesellschaft erstaunlich klar beschreibt. Es sei "in Zeiten einer enormen Spaltung der Gesellschaft ein wichtiges Signal dafür, dass in einer konkreten Frage Einigkeit besteht."

Der slowakische Präsident Peter Pellegrini bei einem Staatsbesuch in LettlandBild: GINTS IVUSKANS/AFP/Getty Images

Während die mächtige katholische Bischofskonferenz die Verfassungsänderung begrüßte, starteten zivilgesellschaftliche Organisationen eine Onlinekampagne dagegen. In der ersten Woche nach dem Start der Petition kamen gerade einmal knapp 5000 Unterschriften zusammen.

Solidarität mit Betroffenen, aber auch Häme und Hass

Themen wie Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare oder Leihmutterschaft sind auch in der Slowakei keine Mehrheitsthemen und werden demzufolge eher von den Betroffenen selbst als Probleme wahrgenommen. In den sozialen Netzwerken gibt es Solidarität und Bemühungen, die Gesellschaft hierfür zu sensibilisieren, aber auch Häme und Hass. 

Die oppositionellen Kräfte sind uneins und hadern nun erstmal mit der parlamentarischen Schlappe. Seit Monaten kommt es zwar immer wieder zu Protestdemonstrationen im ganzen Land, doch die richten sich vor allem gegen die russlandfreundliche Außenpolitik der Fico-Regierung.

 

Im September 2025 traf Ministerpräsident Robert Fico trifft den russischen Staatschef Wladimir Putin in Peking Bild: Alexander Kazakov/Sputnik/REUTERS

Schon vor der Verfassungsänderung hatten einzelne Parteien und Bürgerinitiativen einen Generalstreik am 17. November ins Spiel gebracht. Unklar ist derzeit jedoch, ob es angesichts der zersplitterten politischen Lager dazu kommen wird. Auch wenn der Tag ein passendes Datum für Mobilisierung sein könnte, denn in der Slowakei wird der Tag als Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie begangen. Er erinnert an die Geschehnisse im Jahr 1989, als in Bratislava und in Prag Studentendemonstrationen die "Samtene Revolution" (wörtlich: "Zarte Revolution") einleiteten. Sie führte zum Ende der kommunistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei und ein halbes Jahr später zu den ersten freien Wahlen im Land.