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Ein gespaltenes Land hat die Wahl

Khalid El Kaoutit26. Mai 2014

Zum zweiten Mal seit der Revolution wählen die Ägypter einen neuen Präsidenten. Ex-Militärchef Abdel Fatah al-Sisi gilt als Favorit. Doch wer am Ende auch gewinnen mag: Auf ihn warten gewaltige Aufgaben.

T-Shirts mit Al Sisi-Porträt in Kairo. Foto: DW/Ben Knight
Bild: DW/B. Knight

Eine Reichensiedlung am Rande von Kairo. Freistehende Häuser, großzügige Grünflächen und ein künstlicher Wasserfall am streng bewachten Eingang. Nur das Rattern elektrischer Bewässerungsanlagen und die wenigen Autos unterbrechen die Stille. Vom Verkehrslärm der Innenstadt ist hier nichts zu hören – obwohl die Siedlung keine dreißig Minuten Autofahrt entfernt liegt vom Zentrum der 18-Millionen-Metropole am Nil.

Die Hausherrin Dalila Ghozzi bietet einen für sie eigens gerösteten Kaffee an, den man "unbedingt probieren muss". Sie sitzt gemeinsam mit ihrer Tochter und deren Freunde im Garten. Für den Schatten sorgen Oliven-, Pfirsich-, und Avocadobäume, für den Duft Jasmin- und Rosenbäume.

Sehnsucht nach Mubarak-Zeiten

Die Revolution von 2011 war ein Fiasko, ja eine Katastrophe", sagt Dalila Ghozzi mit wütender Stimme. "Zu Zeiten von Mubarak hatte ich keine Angst, wenn meine Kinder zu später Stunde draußen waren. Jetzt kann ich ihnen so etwas nicht mehr erlauben." Hamdy Imam, ein Freund ihrer Tochter, nickt zustimmend. "Als Al-Sisi die Moslembrüder gestürzt hat, das war eine Revolution", sagt er. Trotzdem will er am nächsten Montag nicht wählen gehen. Von dem linken Kandidaten Hamdien Sabahi, so erzählt er, halte er wenig, und Feldmarschall Al-Sisi stehe bestimmt hinter den Interessen der Militärs und wolle seine Macht ausweiten. "Das haben wir nun seit über fünfzig Jahren gehabt. Das sollte nun reichen", sagt er entschlossen und löst damit neue Diskussionen am Tisch aus.

Ex-Militärchef al-Sisi bei einem Fernsehauftritt: Ein Garant für Ordnung?Bild: picture alliance/AP Photo

"Aber wer soll die Sicherheit wiederherstellen, wenn nicht das Militär?" fragt Yasmine, die Tochter von Dalila Ghozzi. Für sie ist klar, wem sie am Montag ihre Stimme geben wird: Ex-Verteidigungsminister al-Sisi. "Er ist einer von uns. Er weiß genau, was die Menschen brauchen", sagt sie und zeigt auf ihren zweijährigen Sohn. Dieser steht auf dem akkurat gemähten Rasen und ruft laut: "Sisi, mein Präsident!" Seine Mutter Yasmine lacht und ergänzt: "Es gibt Leute, die viel versprechen und nur an die Macht wollen. Aber al-Sisi ist einer, der seine Reden in Taten umsetzt."

Doch Yasmine ist sich sicher, dass ihr Wunschkandidat die Sicherheit wiederherstellen und die Armut bekämpfen wird. Argumente, die bei ihrer Freundin Hamdy Imam auf taube Ohren stoßen. Sie erinnert an die Zeiten der Muslimbrüder: "Da haben Frauen gearbeitet und hatten trotzdem keinen Wert in der Gesellschaft." Doch Yasmin zeigt sich überzeugt, dass ihr Favorit al-Sisi eine gute Strategie für den Kampf gegen den Terror der Muslimbrüder hat. In der Tat verspricht verspricht Al-Sisi in seinem Wahlprogramm mehr religiöse Aufklärung, um so Hasspredigern und der Ideologie des politischen Islam entgegen zu wirken. Seine Kritiker vermuten hingegen, dass er, so wie die Muslimbrüder es tun, die Religion missbrauchen will, um seine Macht zu legitimieren.

Demonstration gegen die Muslimbrüder in Kairo im März 2014.Bild: picture-alliance/dpa

Downtown zeigt sich Kairo von seiner anderen Seite: Autos stehen dicht an dicht, Musik dringt durch die heruntergelassenen Scheiben, der Verkehr quält sich nur schleppend durch die Nacht. Autofahrer hupen ohne erkennbaren Grund, Menschen passen ihre Unterhaltungen der Lautstärke der Straße an. Ein paar Straßen weiter, am Talaat-Harb-Platz unweit des Tahrir-Platzes, hat sich eine Traube Menschen versammelt. Sie rufen Parolen für den linken Kandidaten Hamdien Sabahi. An der gegenüberliegenden Fassade hängt ein überdimensionales Banner mit Porträts von al-Sisi. "Völker schreiten durch Arbeit voran", ist darauf unter anderem zu lesen. Die Unterstützer von Sabahi wissen, dass sie noch viel tun müssen, um den Favoriten al-Sisi einzuholen. Heute ist ihr Kandidat zum letzten Mal öffentlich aufgetreten, ab Mitternacht gilt für beide Kandidaten ein Auftrittverbot.

"Nicht al-Sissi wird den Terror bekämpfen"

Viele sind aus anderen Städten gekommen, um ihren Kandidaten zu unterstützen. So wie Adel Hussein, der aus der östlichen Provinz Manufia angereist ist. Fleißig verteilt er Flyer mit dem Wahlprogramm von Sabahi an Fußgänger und Autofahrer. Die lauten Aufforderungen einiger Fahrer, die Kreuzung zu verlassen, ignoriert er einfach. "Ich bin ein einfacher Arbeiter", schreit er in sein Mikrofon. "Ich habe keinen Hochschulabschluss. Hamdien Sabahi ist der einzige, der seit vierzig Jahren für die Rechte der Arbeiter kämpft. Deshalb wollen wir Arbeiter ihn wählen, damit er uns unsere Rechte bringt."

Gegenkandidat Sabahi: Sorgt er für mehr Gerechtigkeit?Bild: DW/A.Wael

"Wir respektieren Al-Sisi dafür, dass er gegen die Muslimbrüder und auf der Seite des Volkes gestanden hat", sagt ein anderer Sabahi-Unterstützer, der ein grünes T-Shirt mit dem Konterfei seines Wunschkandidaten trägt. "Aber es war nicht er, der gegen die Herrschaft der Islamisten auf die Straßen gegangen ist, sondern wir. Nicht er wird den Terror bekämpfen, sondern wir." Bei jedem "Wir" schlägt er heftig mit der Faust auf die Brust. "Sabahi wird sein Programm umsetzen", sagt eine weitere Unterstützerin. "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit, das ist sein Programm, und das sind die Forderungen unserer Revolution."

"Diese Wahlen sind eine Farce"

Adel Hussein diskutiert inzwischen mit zwei jungen Männern, die seine Flyer nicht entgegen nehmen wollten. "Diese Wahlen sind nur eine Farce", sagt einer von ihnen. "Über welche Wahlen redet ihr denn? Wo ist die Opposition? Die sitzen doch alle im Knast." Seine Stimme wird noch lauter: "Wer die da oben kritisiert, wird auf der Straße erschossen." Adel Hussein stimmt ihm zu. "Aber genau deshalb wählen wir Sabahi. Damit so etwas nicht passiert." Der andere, der bisher nur zugehört hat, schüttelt den Kopf. "Unsere Gesellschaft ist tief gespalten", sagt er. "Gegner, Befürworter, Gefangene, Tote und Verletzte. Wir leben in einem beschämenden Land."

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