Gespräche zu beginnen ist schwer, sie zum richtigen Zeitpunkt zu beenden ist fast unmöglich, zeigt eine Harvard-Studie
Bild: DW/P. Böll
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In Zeiten des Lockdowns ist es fast schon ungewohnt, überhaupt noch Gespräche zu führen. Aber egal, ob man sich kurz auf der Straße trifft, auf einer Party einen Smalltalk hält oder mit einem Freund einen kurzen Plausch: Fast nie werden Unterhaltungen zu einem Zeitpunkt beendet, mit dem beide Gesprächspartner zufrieden sind.
In zwei getrennten Untersuchungen nahmen sie 932 Gespräche unter die Lupe. In der ersten Studie unterhielten sich zwei fremde Menschen miteinander, in der zweiten Studie zwei vertraute. Die Gespräche konnten jederzeit beendet werden. Untersucht wurde nur, wann und wie die Unterhaltungen beendet wurden.
Anschließend wurde einer der Probanden befragt, was er beim Gesprächsende gedacht hat. Wann wollten Sie das Gespräch beenden? Wann wurde es tatsächlich beendet? Wann hätte Ihr Gegenüber wohl das Gespräch am liebsten beendet?
Eigentlich ist schon alles gesagt
Das Ergebnis ist ebenso klar wie überraschend: Egal ob Fremder oder Vertrauter - die Gespräche endeten fast nie zu einem Zeitpunkt, an dem beide Gesprächspartner dies wünschten, geht aus der Studie hervor, die im Fachjournal PNAS veröffentlicht wurde. Ob Smalltalk mit einem Fremden oder Plausch mit einem Vertrauten — rund 70 Prozent der Probanden sagten anschließend, dass sie das Gespräch eigentlich lieber früher beendet hätten.
Soziale Verbundenheit drücken wir in Gesprächen aus. Kommunikation ist das grundlegende Mittel aller menschlichen Aktivitäten. Trotzdem hatten bei der Studie beide Gesprächspartner kaum eine Vorstellung, wann das Gegenüber das Gespräch beenden wollte und wie sehr der eigene Wusch vom Wunsch des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin abwich. Selbst bei einem vertrauten Menschen, den wir doch eigentlich gut zu kennen glauben.
Fast die Hälfte aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen hätte sich ein um ein Viertel der Zeit längeres oder kürzeres Gespräch gewünscht, als es tatsächlich stattfand.
Aus Höflichkeit verbergen wir unsere tatsächlichen Gefühle wie Unwohlsein oder Langeweile in einem Gespräch. Bild: picture-alliance/dpa/B. Weissbrod
Laut Studie endete das Gespräch nur bei 1,59 Prozent zu einem von beiden gewollten Zeitpunkt. 46,8 Prozent aller Gespräche liefen weiter, obwohl sich einer der Gesprächspartner eigentlich längst ein Ende gewünscht hatte. Nur bei 9,52 Prozent endete das Gespräch, obwohl sich beide Gesprächspartner eigentlich noch länger hatten unterhalten wollen.
Aus Höflichkeit verbergen wir unsere Gefühle
Als Grund für diese sehr unterschiedliche Einschätzung der Gesprächssituation sehen die Verhaltensforscher "ein klassisches Koordinierungsproblem, das Menschen nicht lösen können, weil sie dazu Informationen benötigen, die sie normalerweise voneinander fernhalten. Infolgedessen scheinen die meisten Gespräche dann zu enden, wenn keiner es will."
Aus einer angewöhnten Art der Höflichkeit verbergen wir unsere tatsächlichen Gefühle in einem Gespräch. Das Gegenüber soll nicht merken, dass wir uns unwohl fühlen oder langweilen.
Nicht das eigene Gefühl ist entscheidend, sondern wir versuchen bei Gesprächen die möglichen Wünsche unseres Gegegenübers zu antizipieren. Das macht es für beide so schwer, den optimalen Zeitpunkt für das Gesprächsende zu finden.
Um sich trotzdem aus der Gesprächssituation lösen zu können, ohne das Verhältnis zu belasten, verwenden wir oftmals vorgeschobene Gründe: Ich muss dann mal los! Tut mir leid, ich habe noch einen Termin! Das stimmt zwar meistens nicht, erleichtert aber den Abschied.
Berührungen sind lebenswichtig
In unserer hochdigitalisierten Welt, in der wir mehr übers Smartphone als persönlich kommunizieren, vergessen wir schnell, wie wichtig zwischenmenschliche Berührung ist. Dabei brauchen wir den Körperkontakt dringend.
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Der Hautkontakt macht den Ton
Unsere Haut fühlt alles: Forscher haben herausgefunden, dass Menschen bestimmte Emotionen wie Liebe, Wut, Dankbarkeit und Ekel anhand der Berührung erkennen können. Der bloße Körperkontakt gibt also schon den Ton an. Regelmäßige, positive Berührungen bauen außerdem Aggressionen ab und emotionale Bindung innerhalb von Beziehungen auf. So helfen sie, soziale Bindungen aufrechtzuerhalten.
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Besser durch Berührung
Taktile Kommunikation - also Kommunikation durch Berührung - kann helfen, Vertrauen aufzubauen und die Zusammenarbeit zu verbessern. So ergab eine Studie, dass professionelle Basketballspieler und Mannschaften, die zu Beginn der Saison stärker körperlich interagierten - beispielsweise durch High Fives oder Gruppenumarmungen - in späteren Spielen bessere Ergebnisse erzielten.
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Umarmen macht stark
Umarmungen signalisieren "Ich unterstütze dich“ und helfen so, akuten Stress abzubauen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Stimmung von Menschen, die an einem konfliktreichen Tag umarmt wurden, deutlich besser war. Diese Art der Unterstützung hilft Menschen mit geringem Selbstwert zudem, Selbstzweifel abzubauen. Auch Erkältungen wehrt die Knuddelei durch ihre stresspuffernde Wirkung ab.
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Fass mich an!
Paare, die sich liebevoll berühren, tun ihrer Gesundheit viel Gutes. Händchenhalten und umarmen machen nicht nur gefühlt stressresistenter, sondern tragen messbar zur kardiovaskulären Gesundheit bei: Die Herzfrequenz verlangsamt sich, der Blutdruck sinkt ebenso wie die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Paare können sogar ihre Herzfrequenzen und Gehirnströme durch Berührung synchronisieren!
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Massagen: Mehr als nur Entspannung
Berührungen sind nicht nur schön, sie sind auch als Schmerzmittel erfolgreich. Forscher des Duke University Medical Center haben herausgefunden, dass Ganzkörpermassagen Schmerzen lindern und die Mobilität von Patienten mit Arthritis erhöhen. Es profitieren übrigens nicht nur diejenigen, die massiert werden! Auch auf den Masseur wirkt sich die Behandlung positiv aus.
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Babys brauchen Berührung
Massagen können Frühchen helfen, Gewicht zuzulegen. Durch die Stimulation des Nervensystems werden Hormone freigesetzt, die die Aufnahme von Nahrung verbessern. Die schmerzlindernde Wirkung von Hautkontakt hilft Säuglingen, medizinische Eingriffe zu verarbeiten. Berührungen verringern nicht nur die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, sondern setzen auch das Bindungshormon Oxytozin frei.
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Mach’s selbst
Leider ist ja nicht immer jemand da, der massiert oder streichelt. Eine Selbstmassage wirkt aber ähnlich positiv. Dabei sind festere Berührungen allerdings effektiver als leichte. Sportarten wie Yoga oder Gewichtheben, bei denen entweder der Kontakt zwischen Körper und Boden intensiv oder der Druck auf bestimmte Körperstellen besonders hoch ist, haben deshalb auch einen stresslösenden Effekt.
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Technik, die berührt
Damit auch Menschen mit Amputationen nicht auf die so wichtigen Berührungen verzichten müssen, wird an sensorgestützten Prothesen gearbeitet. Andere Forscher beschäftigen sich mit der Entwicklung einer elektronischen Hauttechnologie, die zwischen verschiedenen Oberflächen unterscheiden, sowie Hitze und Kälte wahrnehmen kann.