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Gestoppte Richterwahl: "Es gab eine Kampagne"

17. Juli 2025

Weil Frauke Brosius-Gersdorf "ultralinks" und eine "Lebensfeindin" sei, stoppte der Deutsche Bundestag ihre Wahl zur Richterin am Bundesverfassungsgericht. Ist sie das Opfer einer Kampagne?

Die Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf sitzt im Fernsehstudio der Sendung "Markus Lanzt" und guckt in die Kamera. Sie trägt einen marineblauen Anzug, dunkle Brille und ein weißes Hemd und guckt in die Kamera.
Gescheiterte Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht: die Professorin Frauke Brosius-Gersdorf Bild: teutopress/picture alliance

Wann immer in Deutschland von einer Krise der Demokratie die Rede ist, verweisen Spitzenpolitiker stolz und beschwichtigend auf die etablierte Unabhängigkeit der "Richter aus Karlsruhe", wie die Verfassungsrichter wegen ihres Amtssitzes in der Stadt m Süden der Bundesrepublik genannt werden. 

Das Bundesverfassungsgericht ist eine der am höchsten geachteten Institutionen in Deutschland. Es ist die Hüterin über die Grundrechte: Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Diskriminierungsfreiheit, Asyl. Und nur das Bundesverfassungsgericht kann über das Verbot von Parteien entscheiden. Seine Urteile finden breite Anerkennung - und sind auch immer wieder ein Korrektiv für die Politik der regierenden Parteien.

Die gescheiterte Wahl von drei Kandidaten zu Bundesverfassungsrichtern schlägt deswegen hohe Wellen. Der Vorgang ist hochpolitisch, denn das Gericht ist einer der Grundpfeiler der deutschen Demokratie und symbolisiert die funktionierende Gewaltenteilung zwischen Regierung, Parlament und Justiz. Es gilt als Garant gegen jede Art von Politik, die in Konflikt mit den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger ist. 

Richter in roten Roben: das Bundesverfassungsgericht ist die höchste juristische Instanz in Deutschland Bild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Die Besetzung der Richterposten ist dabei immer auch auch ein Politikum - denn es sind Politikerinnen und Politiker, die darüber abstimmen. In Deutschland sind es der Bundestag und der Bundesrat, also die Vertretung der sechzehn Bundesländer. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Richterinnen und Richter nicht einfach ernannt werden, sondern durch gewählte Volksvertreter bestimmt werden. 

Allerdings war die Besetzung der Posten in Deutschland nie so heiß diskutiert und emotional aufgeladen wie zum Beispiel die Besetzung des Supreme Courts in den USA. Einzelne Kandidaten waren immer mal wieder auch umstritten. Zum Beispiel die Kandidatur und Wahl des Prädikatsjuristen Peter Müller zum Verfassungsrichter im Jahr 2011. Müller war kurz zuvor als Ministerpräsident des Saarlandes zurückgetreten. Ein Politiker also, Mitglied der Christdemokraten. Auch ihm schlug zunächst Skepsis entgegen. Denn natürlich war er vor seiner Wahl in eines der höchsten deutschen Richterämter nicht neutral. Müller positionierte sich als Ministerpräsident gegen das moderne Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Bundesregierung.

Aber trotzdem: Die Länderkammer aller Vertreter der sechzehn Bundesländer wählte ihn einstimmig zum Verfassungsrichter - also auch Sozialdemokraten und Grüne.

Kandidatin mit tadellosem Ruf

Die jetzt gescheiterte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf ist nicht einmal Politikerin, sondern eine renommierte Rechtsgelehrte an der Universität Potsdam. Sie genießt einen tadellosen Ruf. Und sie beschäftigt sich immer wieder mit Grenzgebieten der Rechtslehre. Zum Beispiel beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Wie bewerte ich den Lebensschutz eines ungeborenen Embryos im Verhältnis zu dem der Mutter? Wie verhält sich es in Grenzfällen? Wenn zum Beispiel die Gesundheit der Mutter durch die Schwangerschaft in Gefahr gerät? Wenn für ein Embryo im Mutterleib die Menschenwürde gleichermaßen gilt wie für die Mutter - wird sie dann nicht zu eine Art Gefäß degradiert, die jegliche Selbstbestimmung über ihren Körper verliert, weil sie der Austragung des Babys verpflichtet ist? 

Es sind umstrittene Fragen, mit denen sich Brosius-Gersdorf beschäftigt. Genauer: Mit denen sie sich im Auftrag der Politik beschäftigen soll!

Am Freitag, den 11. Juli 2025 ist ihre Wahl im Bundestag gescheitert. Die Regierungskoalitionen zogen die Abstimmung im Parlament zurück als klar wurde, dass der Widerstand bei den Christdemokraten zu groß sein würde. Und das, obwohl sich der parteiübergreifende Richterwahlausschuss des Bundestages zuvor mit breiter Zustimmung für die Kandidatin ausgesprochen hatte.

War es eine Kampagne?  

Für den Geschäftsführer des Beratungsnetzwerks Polisphere in Berlin, Philipp Sälhoff, ist die Antwort eindeutig: "Ja, es gab eine Kampagne", erklärt Sälhoff im Interview mit der DW.

Seine Agentur hat rund um die Entscheidung zur Personalie der Richterin 40.000 Posts auf der Social-Media-Plattform X ausgewertet. Mit dem Ergebnis, dass alle Elemente einer Kampagne in diesem Fall auftraten, so Sälhoff. "Online-Petitionen, Aufrufe, teilweise vorformulierte Mails oder Briefe an Bundestagsabgeordnete zu verschicken, bezahlte Werbung oder die Vernetzung von Akteuren in den Sozialen Medien mit einem klaren Ziel: Der Verhinderung der Wahl der Kandidatin."

Dabei grenzt Sälhoff die Kampagne von der Berichterstattung um Brosius-Gersdorf in der Presse ab. "Die kritische politische Berichterstattung ist nicht Teil einer Kampagne sondern legitim und notwendig, wenn es um Abstimmungen von Abgeordneten geht, zum Beispiel eben über Verfassungsrichter."

Das Problem sei, dass die Kampagne in den Sozialen Medien manipulativ geführt wurde: "Problematisch wird es dann, wenn Falschbehauptungen und Überspitzungen genutzt werden." 

Julian Reichelt ist Chefredakteur des Nachrichtenportals NIUS und einer der umstrittensten Journalisten in DeutschlandBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Besonders  auffällig wurde das in neuen Medien-Outlets wie "NIUS". Die Onlineplattform des Unternehmers und Miliardärs Frank Gotthardt schoss aus allen Rohren gegen die Kandidatin. Und das auch mit Falschbehauptungen und Diffamierungen. Als "Richterin des Grauens" und Befürworterin von Abtreibungen noch bis kurz vor der Geburt wurde Brosius-Gersdorf angegriffen. Sie wurde als "linksradikal", "extrem links" und als Feindin der Meinungsfreiheit gebrandmarkt. Gemeinsam mit anderen Newsportalen der neuen Rechten wurde vor einem Millionenpublikum getrommelt. Mit Erfolg.

Als die Wahl der Richterin gestoppt war, jubelte NIUS-ChefredakteurJulian Reichelt: "Das ist ein guter Tag für uns: Man hat nicht erkannt, dass es eben neue Medien gibt, die das Spiel des politisch-medialen Komplexes nicht mitmachen!" Eine Diffamierungskampagne als Erfolg gegenüber den seriösen Medien.

Polisphere Geschäftsführer Sälhoff sieht in dem Erfolg ein Ausrufezeichen. "Es geht nicht darum, dass diese Art von Medien Meinungen in Deutschland beeinflussen - das tun sie schon sehr lange. Aber in so kurzer Zeit und dann vor den Augen der bundesdeutschen und internationalen Öffentlichkeit im Bundestag eine Situation herbeizuführen, in der die Bundesregierung mehr oder weniger aus dem Nichts so bloßgestellt wird, das ist natürlich ein Erfolg für sie", analysiert er im DW-Interview.

Gleichzeitig bleibt die Entscheidung des Parlaments aber auch eine Entscheidung von frei gewählten Abgeordneten. Und Kampagnen gehören zum politischen Geschäft. Sie trommeln regelmäßig auf die Parlamentarier ein - egal von welcher politischen Richtung. 

Führungsversagen der Christdemokraten? Bundeskanzler Friedrich Merz und CDU-Fraktionschef Jens Spahn im Deutschen BundestagBild: Katharina Kausche/dpa/picture alliance

Der Christdemokrat und ehemalige Verfassungsrichter Peter Müller geht deswegen auch mit seiner eigenen Partei hart ins Gericht, und nicht mit den Medien. "Dies ist ein eklatantes Führungsversagen der Union“, kritisiert er seine eigenen Parteifreunde in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "So etwas darf nicht passieren.“ Denn noch kurz vor der angesetzten Wahl hatten Bundeskanzler Friedrich Merz und der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn signalisiert, dass sie mit Zustimmung für die Kandidatin rechnen. Doch es sollte anders kommen.

Was wird aus der Kandidatur?

Bis auf weiteres ist die Wahl der neuen Verfassungsrichter von der Tagesordnung des Bundestages genommen. Frauke Brosius-Gersdorf nahm in einem langen TV-Interview zu den Anschuldigungen Stellung. Sie wies die Vorwürfe, eine Aktivistin und radikal zu sein von sich und versuchte ihre Positionen aus juristischer Sicht zu erklären. Was wird nun aus ihrer Kandidatur? Sobald Gefahr für das Ansehen des höchsten deutschen Gerichtes drohe, "würde ich an meiner Nominierung nicht festhalten", erklärte die 54-Jährige Juristin.