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Gesucht: Bezahlbare Wohnung in der Großstadt

Helena Kaschel
23. Februar 2021

Auch zweieinhalb Jahre nach dem Wohngipfel von Bund, Ländern und Kommunen ist günstiger Wohnraum in deutschen Metropolen knapp. Die Corona-Pandemie könnte die Lage verschlimmern - aber auch Chancen bieten.

Symbolbild Wohnungsnot Köln Ehrenfeld
Bild: Geisler-Fotopress/picture alliance

Die Hiobsbotschaft erreicht Petra Fischer (Name geändert) und ihren Mann ausgerechnet am Silvestertag 2019: Sie sollen aus ihrer Wohnung im innerstädtischen Berliner Ortsteil Schöneberg ausziehen. Nach 36 Jahren. Der aktuelle Eigentümer benötigt sie für seine Tochter. Seitdem sucht das Ehepaar - beide Angestellte, sie in Teilzeit - nach einer neuen Wohnung. Maximal 800 Euro Warmmiete - rund ein Drittel des gemeinsamen Einkommens und deutlich mehr als bisher - würden sie für eine Wohnung zahlen, die ihrer jetzigen ähnelt: Zweieinhalb oder zwei Zimmer, Balkon. Weil sie vor Gericht gegen die Eigenbedarfskündigung vorgehen, müssen sie ihre Bemühungen dokumentieren. 120 Bewerbungen haben sie sich bislang geschrieben. Ohne Erfolg.

"Es sollte eigentlich gerne hier in der Nähe sein, weil wir natürlich sehr verwurzelt sind mit unserem Kiez. Das ist ja auch verständlich nach so vielen Jahren hier, zumal meine Familie hier wohnt und ich noch eine pflegende Angehörige bin, also auch noch jemanden zu versorgen habe", sagt Petra Fischer der DW. Dennoch suchen die 56-Jährige und ihr Mann im gesamten Stadtgebiet.

Sie nutzen die Alarmsysteme von Immobilienportalen und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, suchen aber auch im Freundes- und Bekanntenkreis. Doch in dem für sie passenden Preissegment gebe es wenig Wohnungen, "und wenn es welche gibt, dann ist man einfach nicht dabei", klagt Fischer.

Bauboom vs. Leerstand 

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Anzeigen würden oftmals nach wenigen Stunden deaktiviert. Absagen, wenn sie denn überhaupt kämen, würden mit einer zu hohen Nachfrage begründet. Wohnungen, für die man einen Wohnberechtigungsschein benötigt, kommen für die Fischers nicht infrage. Mit dem Schein können Mieter nachweisen, dass sie Anspruch auf eine mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnung haben. Eine Wohnung im Neubaugebiet gegenüber hätte das Paar bekommen, aber dort habe der Quadratmeterpreis bei fast 20 Euro gelegen, so Petra Fischer. "Das ist einfach zu viel."

Enormer Druck durch Wohnungsnachfrage

Mit ihrem Problem sind die Fischers nicht allein. Nach einer Analyse des Immobilienportals Immowelt sind die Mieten in deutschen Großstädten zwischen 2009 und 2019 überproportional gestiegen, in Berlin um 104 Prozent. Die Berliner kommunale Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE erhält durchschnittlich 300 Bewerbungen pro Wohnung, wie es in einer E-Mail an die DW heißt. Besonders junge Menschen zieht es vom Land in die Städte – die Metropolen sind attraktiv, ermöglichen berufliche Karrieren, Universitätsstudien und bieten vielseitige Freizeitangebote.

"Wir erleben schon seit Jahren vor allem in Metropolen und in Universitätsstädten einen ganz enormen Wohnungsnachfragedruck", sagt Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), der DW. "Wer bisher eine einigermaßen günstige Wohnung hatte und da nicht bleiben kann, zum Beispiel aufgrund von Eigenbedarfskündigungen, der hat fast keine Chance, im vergleichbaren Preissegment etwas zu finden." Am schwierigsten sei die Situation für Menschen, die gerade so viel verdienen, dass sie keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung haben.

Neben den Mieten steige auch die Anzahl der Menschen, die eine bezahlbare Wohnung benötigen, so Lukas SiebenkottenBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Ein Grund für die Knappheit: Laut dem Verbändebündnis "Soziales Wohnen", dem auch der DMB angehört, wird bezahlbarer Wohnraum in den Ballungsgebieten und Wachstumsregionen bis auf wenige Ausnahmen seit Jahren kaum noch gebaut.

Das hängt laut Frank Eckardt, Professor für Soziologische Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar, auch mit der Bevölkerungszusammensetzung in Großstädten zusammen. Die Mehrzahl der Menschen in den Zentren von Metropolen wie Frankfurt oder München seien Singles - und die Hälfte dieser Gruppe bestehe aus älteren Menschen. "Für Immobilieninvestoren ist es unattraktiv, in diesem Segment zu bauen: hohe Kosten und relativ geringe Mieteinkommen", erklärt Eckardt.

Hunderttausende Wohnungen fehlen

Insgesamt fehlten bundesweit aktuell 670.000 Wohnungen - fast ausschließlich Wohnungen mit bezahlbarer Miete und Sozialmietwohnungen -, sagte der Leiter des in Hannover ansässigen Pestel-Instituts, Matthias Günther, Anfang Februar in einer Pressekonferenz. Jährlich verschwinden laut dem Bündnis Soziales Wohnen 43.000 Sozialwohnungen vom Markt.

In einem "Akutplan" fordern die Verbände unter anderem bis 2030 den Neubau von 80.000 Sozialwohnungen im Jahr - mehr als doppelt so viele, wie in den Jahren 2017 bis 2019 durchschnittlich jährlich gebaut wurden. 10 Prozent davon müssten barrierefrei sein. Außerdem müsse der Neubau von jährlich 60.000 bezahlbaren Wohnungen in Ballungsgebieten und Wachstumsregionen gezielt gefördert werden.

Wohnungsdefizite hier, Leerstände dort: Nicht überall in Deutschland ist (bezahlbarer) Wohnraum knapp

Um dem Mangel zu begegnen, hatten Bund, Länder und Kommunen 2018 auf einem Wohngipfel zahlreiche Maßnahmen vereinbart, darunter auch eine Milliardenoffensive für den sozialen Wohnungsbau und eine steuerliche Förderung des Baus von Mietwohnungen. Insgesamt sollten bis diesen Herbst 1,5 Millionen neue Wohnungen in Deutschland geschaffen werden, so das Ziel. Bundsinnenminister Horst Seehofer hatte zuletzt erklärt, innerhalb der Legislaturperiode würden "1,5 Millionen Wohnungen im Bau oder fertiggestellt sein". Am diesem Dienstag (23. Februar) will die Bundesregierung nun ihre Bilanz der sogenannten Wohnraumoffensive vorstellen.

Corona als Gefahr - und als Chance

Wie auch immer das Ergebnis ausfällt: In den kommenden Monaten könnte sich die Wohnungsnot durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehende schwierige Arbeitsmarktlage weiter verschärfen, warnt das Bündnis Soziales Wohnen. Doch die Krise biete auch eine Chance: Sollte sich das Arbeiten im Homeoffice langfristig etablieren, könnten viele Büros zu Wohnungen umgewandelt werden. Allein bis 2025 könnten so potenziell etwa 235.000 neue Wohnungen in Büro- und Verwaltungsgebäuden entstehen, heißt es in dem Forderungspapier des Bündnisses.

Umbau von Speicherhäusern zu Eigentumswohnungen in Berlin-SpandauBild: Bildagentur-online/Joko/picture alliance

Stadtforscher Eckardt geht noch einen Schritt weiter. Eine Umwandlung könnte sich auch bei anderen Räumlichkeiten anbieten: "Man hat ja zum Beispiel 2015/2016 gesehen, dass man plötzlich ganz viele leerstehende Immobilien umbauen konnte zu Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge - alte Supermärkte, Baumärkte, leerstehende Gewerbeflächen oder Gewerbehallen." Im Zuge der Corona-Krise werde es durch Pleiten viele leerstehende Gebäude geben, unter anderem Hotels.

"Warum nicht nicht darüber nachdenken, ein Programm aufzulegen, dass man denjenigen, die es nicht schaffen in der Krise, zumindest ein Angebot macht, ihre Immobilie dann umzubauen in entsprechenden Wohnraum?" Für Städte sei das eine "einmalige Chance", bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

In Berlin müssen Petra Fischer und ihr Mann unterdessen weiter darauf hoffen, dass sie eine neue Wohnung finden oder in der alten bleiben dürfen. "Die Frage ist, wenn wir wirklich rausmüssen - ja, wohin?" In eine andere Stadt zu ziehen, ist wegen des Pflegefalls im Angehörigenkreis für das Ehepaar keine Option. Zur Not, so Fischer, müsse man erst einmal die irgendwo Möbel einlagern und bei Freunden oder Familie unterkommen.

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